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Depression

Gudrun Heise30. September 2014

Die Diagnose "Depression" wird heute fünfmal so oft gestellt wie noch vor 30 Jahren. Woran liegt das? Am erhöhten Leistungsdruck? Ist es Veranlagung? Wie erleben depressive Menschen ihre Erkrankung?

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Symbolbild Mann Trauer
Gefühlte GefühllosigkeitBild: hikrcn/Fotolia

Depressionen - ein Schicksal das jeden treffen kann

"Ich war vollkommen empfindungslos. Ich konnte meine Kinder überhaupt nicht mehr als Kinder wahrnehmen, mich nicht mehr mit ihnen freuen oder irgendwelche Ausflüge machen. Ich war bloß noch ein Häufchen Elend", erzählt Thomas Müller-Rörich. Die ersten Anzeichen dafür, dass er unter einer Depression litt, machten sich 1992 bemerkbar. Er war nicht mehr fähig, seine Arbeit zu erledigen. Der Programmierer und selbständige Unternehmer begann, sich zurückzuziehen. Er hatte keine Lust mehr, überhaupt mit Leuten zu reden, wartete nur darauf, dass der Tag zu Ende gehen würde.

Depression ist eine ernsthafte Erkrankung

In Deutschland leiden etwa vier Millionen Menschen an Depressionen. Es ist eine Erkrankung wie andere auch. Eine Depression betrifft die Funktion des Gehirns, das steuert, ob wir uns freuen, Trauer empfinden oder schlafen können. Bei Depressiven ist der Antrieb massiv gestört. Zu Schlafstörungen kommen häufig Appetitstörungen mit Gewichtsverlust, Hoffnungslosigkeit, Neigung zu Schuldgefühlen, oft auch finstere Gedanken und Verzweiflung. Einige Depressive werden sogar von Selbstmordgedanken geplagt.

Eine Reihe von Krankheitszeichen müssen über einen Zeitraum von vier, fünf oder sechs, mindestens aber über zwei Wochen durchgehend vorhanden sein. Erst dann spreche man von einer Depression, erklärt Professor Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie in Leipzig. "Ein depressiver Kranker kann keine Trauer wahrnehmen. Das Ganze ist nur Elend, Leid und Hoffnungslosigkeit. Wenn Sie unter Krebs oder einer anderen Krankheit leiden, haben Sie immer noch Hoffnung und wollen die verbleibende Zeit nutzen. Aber in der Depression leiden die Menschen so immens, dass viele von ihnen Suizidversuche unternehmen und viele dann auch Suizid begehen."

Viele Menschen mit Depressionen haben das Gefühl, ständig in einer inneren Alarmsituation zu sein, sind innerlich angespannt. "Man weiß, dass die Stresshormone aus dem Gleichgewicht sind, viele Depressive haben eine hochgesteuerte Stresshormonachse. Es werden mehr Stresshormone ausgeschüttet", erläutert Hegerl. Aber unser Gehirn sei eben ungeheuer komplex, so dass man viele Details noch nicht verstanden habe.

Der lange Weg zur Diagnose

Symbolbild Depression (Foto: Irna)
Hoffnungslosigkeit ist ein SymptomBild: Irna

Wenn Symptome, die auf eine Depression hindeuten, zum ersten Mal auftauchen, wissen die meisten Menschen nicht, was mit ihnen los ist. Manche denken zunächst vielleicht, sie hätten eine schwere Virus-Infektion oder eine andere Erkrankung. Andere wiederum meinen, die Schlafstörungen seien der Grund dafür, dass es ihnen schlecht geht. Dabei sind die Schlafstörungen Symptome für eine Depression. Aus eigener Erfahrung empfiehlt Thomas Müller-Rörich Betroffenen, sich so schnell und so intensiv wie möglich zu informieren, zum Beispiel bei der Selbsthilfegruppe "Deutsche Depressionsliga", deren Vorsitzender er ist. "Immer mehr Menschen mit Depressionen holen sich Hilfe, und die Erkennungsrate bei Ärzten ist viel besser geworden. Vor allem werden Depressionen heute auch beim Namen genannt und als Depressionen bezeichnet."

Vorurteile und Beziehungsstörungen

Für die meisten ist es schwer nachzuvollziehen, was hinter der Erkrankung Depression steckt und auf welche Art die Betroffenen darunter leiden. Wenn jemand soziale Kontakte nicht mehr aufrechterhält, im Beruf keine Leistung mehr bringt, ist er sehr schnell dem Vorwurf ausgesetzt: Der will gar nicht arbeiten. Vielleicht werden die Kollegen sogar wütend, weil sie zusätzliche Aufgaben haben. Das führt dazu, dass der Erkrankte immer mehr Schuldgefühle entwickelt. Es bricht alles weg, auch der soziale Zusammenhalt, weiß Müller-Rörich. "Nehmen wir mal jemanden, der es gewohnt ist, bei seinem Freund anzurufen, um mit ihm gemeinsam etwas zu unternehmen. Er ruft seinen an Depressionen erkrankten Freund an, und der sagt immer wieder, dass er keine Lust hat. Dann kommt irgendwann das Gefühl auf: Der will nichts mehr mit mir zu tun haben." Allmählich leidet der Erkrankte nicht nur an seiner Erkrankung, sondern auch am Verlust jeglicher Kontakte.

Schwierig ist auch die Konstellation innerhalb der Familie, wenn der Vater oder die Mutter, der Partner oder die Partnerin an nichts mehr interessiert sind, an nichts mehr teilhaben, wenn sie vollkommen gefühllos werden. Für Angehörige ist es oft schwierig, das geänderte Verhalten richtig einzuordnen. Es tauchen immer mehr Fragen auf, sagt Hegerl: "Warum zieht er sich zurück? Warum will er keine körperliche Nähe? Warum sagt er nichts mehr? Warum ist er nicht mehr an meiner Seite und unterstützt mich? Und man nimmt es dann persönlich, und glaubt, man wird nicht mehr geliebt oder man wird einfach nur verärgert."

Depression und Suizid

Symbolbild Selbstmord (Foto: N.N. - Aufnahme von 1993)
Geplagt von SuizidgedankenBild: picture-alliance/dpa

Heute gibt es die Diagnose Depression häufiger als noch vor etwa 30 Jahren. Parallel zu dieser Entwicklung hat die Suizidrate abgenommen. Sie ist von einstmals 18.000 auf 10.000 Fälle pro Jahr gesunken.

Vor 30 Jahren sind etwa acht Prozent wegen psychischer Probleme vorzeitig in den Ruhestand gegangen. Heute liegt diese Zahl bei 42 Prozent. Das heiße aber nicht, dass die Zahl von Menschen mit Depressionen angestiegen ist, so Hegerl. "Insgesamt haben ja die Frühverrentungen nicht zugenommen, sondern es ist nur eine Verschiebung der Diagnosen. Früher waren die Menschen frühverrentet wegen chronischer Rückenschmerzen, wegen Tinnitus, wegen Herzerkrankungen. Weil psychisch Kranke diskriminiert wurden, wurden häufig auch andere Diagnosen angegeben. Das ist jetzt nicht mehr der Fall."

Psychotherapie und Antidepressiva

Die Gabe von Antidepressiva ist nach wie vor eine gängige Behandlungsmethode, genauso wie bestimmte Formen der Psychotherapie. Dazu gehört vor allen Dingen die so genannte kognitive Verhaltenstherapie. In dieser Therapie geht es darum, dem Tag eine klare und augewogene Struktur zu geben. Diese Erfahrung hat auch Thomas Müller-Rörich gemacht. Für ihn war seine Diagnose eine Erleichterung. Endlich wusste er, was los ist und konnte die Erkrankung entsprechend behandeln. Er hat sich damals zu einem Klinikaufenthalt entschlossen. "Es gibt verschiedene Therapieangebote. Da ist ein bisschen Sport dabei, da ist ein bisschen Malen und Werken, Spazierengehen und so weiter. Man muss Anschluss haben, braucht dringend andere Menschen, die sich mit einem unterhalten. Man braucht Zuwendung, Zuspruch und man braucht vor allen Dingen diesen gesicherten Rahmen. Den habe ich damals in der Klinik gefunden."

Die richtige Dosis Schlaf

27.11.2013 DW Depression 2 (Foto: DW)
Die Forschung sucht nach Ursachen

Viele Menschen sind der Meinung, dass Schlaf gerade bei Depressionen gut ist. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, erklärt Hegerl. "Die Menschen sind zwar erschöpft, aber was antidepressiv wirkt, ist Schlafentzug. Das ist bestens belegt und hochwirksam. Wenn die Menschen mitmachen und die zweite Nachthälfte wachbleiben, dann zeigen 60 Prozent eine abrupte Besserung in den frühen Morgenstunden. "In den letzten Jahren haben sich Forscher intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Menschen mit Depressionen gehen häufiger früh ins Bett, weil sie endlich wieder einmal durchschlafen möchten. Sie glauben, am nächsten Morgen besser und frischer zu sein – ein Trugschluss.

Auch auf gesunde Menschen trifft das nicht zu, sagt Hegerl. "Wenn man früher mal die Nacht durchgemacht hat, ist man am nächsten Tag oft sogar aufgekratzt, oder wenn man am Wochenende mal länger schläft und bis zehn im Bett bleibt, ist man tagsüber nicht frischer und lustiger, sondern man ist vielleicht sogar etwas gedämpfter Stimmung. In Verbindung mit einer depressiven Erkrankung kann dieser merkwürdige Mechanismus sehr stark werden. Und warum das so ist, das untersuchen wir zurzeit auch mittels EEG und anderen Verfahren."

Erkenntnisse umsetzen

Seit etwa 20 Jahren nimmt Thomas Müller-Rörich Antidepressiva. Medikamente hatte er zunächst abgelehnt, war der Meinung, sie könnten zwar seine Situation verbessern, aber nicht wirklich etwas ändern. Heute ist er anderer Ansicht. "Die Depression hat auch eine sehr ausgeprägte körperliche Seite. Es ist auch eine organische Angelegenheit. Es kann unter Umständen nicht ausreichend sein, nur auf sein Verhalten zu achten, sondern man muss die Behandlung durch ein entsprechendes Medikament unterstützen." Der Körper lerne gewissermaßen, depressiv zu sein und je länger dieser Zustand andauere, umso wahrscheinlicher sei es, dass das Ganze chronisch wird.

Müller-Rörich arbeitet schon seit vielen Jahren wieder in seiner Firma, hat sein Leben im Griff und engagiert sich intensiv für die "Deutsche Depressionsliga". Seine Empfehlung für Menschen, die möglicherweise unter einer Depression leiden, baut auf eigenen Erfahrungen auf: "Bitte nicht auf die lange Bank schieben und einen Arzt aufsuchen. Es wird nicht besser, es wird schlimmer."