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Der Aufschrei äthiopischer Juden

Diana Hodali4. Mai 2015

Seit Jahrzehnten haben Israels äthiopische Juden mit Rassismus und Diskriminierung zu kämpfen. Bei Demonstrationen machten sie ihrem Frust Luft - doch das reicht noch lange nicht aus, um ihre Situation zu verbessern.

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Demonstration von äthiopischen Juden in Tel Aviv (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Auf den Straßen der israelischen Stadt Holon, südlich von Tel Aviv: Damas Pakada trägt eine Uniform der israelischen Armee. Der Israeli mit äthiopischen Wurzeln schiebt sein Fahrrad den Bürgersteig entlang. Er sieht zwei Polizisten. Was genau die drei Männer sagen, kann man in dem Video, das Anwohner filmten, nicht hören. Doch die Situation eskaliert schnell: Einer der beiden Polizisten geht aggressiv auf Pakada zu und schlägt ihn brutal zu Boden, der zweite kommt hinzu. Erst nachdem es Pakada gelingt, nach einem Stein zu greifen, lassen sie von ihm ab, nehmen ihn aber fest.

Diese Szene ereignete sich Ende April. Das Video verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den sozialen Netzwerken. Daraufhin kommt der IDF-Soldat (Israeli Defence Force) sofort frei. Der Polizist soll mittlerweile gefeuert worden sein.

"Das passierte mir nur aufgrund meiner Hautfarbe", erzählt Damas Pakada später dem israelischen Nachrichtensender Channel 2. "Ich habe mich schrecklich gedemütigt gefühlt. Er hatte sogar gedroht, mir eine Kugel in den Kopf zu jagen. Das ist eine Schande für Israel."

Auf Diskriminierung aufmerksam machen

Es sind Ereignisse wie diese, die Tausende äthiopischer Juden am Sonntagabend auf die Straßen Tel Avivs trieben, um gegen Diskriminierung, Rassismus und unverhältnismäßige Polizeigewalt zu demonstrieren. "Der IDF-Soldat wurde einfach so brutal verprügelt - er hatte nichts gemacht. Viele der äthiopischen Demonstranten in Tel Aviv haben so etwas selber schon erlebt", sagt Fentahun Assefa-Dawit, Direktor der Organisation Tebeka, die sich für Gerechtigkeit und die Gleichberechtigung äthiopischer Juden in Israel einsetzt. Damas Pakada habe die Polizisten lediglich locker gefragt, was sie heute so zu tun hätten. Dieses Video habe das Fass zum Überlaufen gebracht.

Über mehrere Stunden hinweg verliefen die Proteste friedlich. Dann jedoch kam es auf dem zentralen Rabin-Platz zu blutigen Auseinandersetzungen. Mindestens 55 Polizisten und zwölf Demonstranten wurden leicht verletzt, 43 Demonstranten wurden festgenommen. "Wir haben zwar damit gerechnet, dass es laut wird am Sonntag, aber nicht gewaltvoll", sagt Inbal Bogale der israelischen Tageszeitung Haaretz. Sie ist eine der 20 Organisatoren der Demonstration. "Wir können doch keine Gewalt anwenden, wenn wir gegen Gewalt demonstrieren."

Die Polizei habe den Ablauf des Abends genau dokumentiert, sagt sie: "Ich möchte gerne erfahren, ob die Gewalt wirklich von uns ausging, so wie die Polizei behauptet. Sie haben uns mit Blendgranaten beworfen." Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte bereits am Sonntagabend zugesagt, alle Vorwürfe gegen die Polizei würden geprüft. Gewalt werde aber nicht akzeptiert.

Äthiopier wollen mehr, als gehört zu werden

Israels Präsident Reuven Rivlin zeigte sich verständnisvoll, erklärte aber: "Demonstrationen sind ein wichtiges Werkzeug in einer Demokratie, aber Gewalt ist weder der Weg noch die Lösung. Polizei und Demonstranten haben rücksichtsvoll gehandelt. Wir dürfen nicht zulassen, dass eine kleine randalierende Gruppe den legitimen Aufschrei einer Gemeinde übertönt."

Für Organisator Misganaw Fanta war es nur eine Frage der Zeit, bis sich der Druck im Kessel entladen und die äthiopischen Juden Israels ihre Rechte einfordern würden. "Es gibt hunderte junger Äthiopier, gegen die die Polizei grundlos ermittelt und die somit aktenkundig werden. Das ruiniert ihr Leben", sagt Fanta der Tageszeitung Haaretz. "Sie wollen zum Wohlstand des Staates beitragen, aber so können sie keine Berufssoldaten werden, die wenigsten können studieren. Stattdessen werden sie Kriminelle genannt", fügt er hinzu.

Wenig Zugang zu Bildung

In Israel leben nach Angaben des Statistikbüros mehr als 135.000 Juden mit äthiopischen Wurzeln. Viele von ihnen beklagen eine Benachteiligung in Beruf und Alltag sowie ständige Übergriffe durch die Polizei. Nach Angaben der Organisation Ethiopian National Project (ENP), die sich um soziale und bildungspolitische Belange äthiopischer Juden in Israel kümmert, leben 49 Prozent der äthiopischen Familien in Armut. Die Mehrheit lebt in dicht besiedelten Wohngegenden, in denen das Risiko für Konflikte oft höher ist. 45 Prozent der äthiopisch-jüdischen Frauen haben keinen Abschluss - im Vergleich zu zwei Prozent aller jüdischen Frauen in Israel. Zudem könnten es sich die meisten nicht leisten, ihre Kinder nach der Schule bei der Ausbildung oder dem Studium finanziell zu unterstützen.

Demonstration von äthiopischen Juden in Tel Aviv (Foto: Reuters)
Demonstration gegen Polizeigewalt - Anfang Mai in Tel AvivBild: Reuters/Baz Ratner

Misganaw Fanta betont daher, dass die Demonstrationen nicht von einzelnen Leuten angeführt würden. Einige wenige hätten sie lediglich organisiert: "Es ist vielmehr eine ganze Gemeinde, die hier protestiert und ihrem Unmut Gehör verschaffen will." Auch Gadi Ben-Ezer war bei der Demonstration dabei. Er ist Professor für Anthropologie an der Ben-Gurion Universität in Beersheva: "Die Diskriminierung äthiopischer Juden ist allgegenwärtig und sie muss endlich gestoppt werden - nicht nur der Äthiopier wegen: Wir sind eine Gesellschaft. Es geht um uns alle."

Präsident Reuven Rivlin räumte Fehler im Umgang mit den äthiopischstämmigen Juden in Israel ein. Die gewaltsamen Proteste der vergangenen Tage hätten gezeigt, dass es "im Herzen der israelischen Gesellschaft" eine "offene Wunde" gebe. Netanjahu hat jetzt ein spezielles Hilfsprogramm für äthiopische Juden in Aussicht gestellt.