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Horror in der Kunst

Philipp Jedicke
23. September 2023

Unter dem Titel "Tod und Teufel" befasst sich erstmals eine Ausstellung epochen- und genreübergreifend mit dem Thema Horror. Wie wirkmächtig ist das Grauen?

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Ein Schatten an einer Wand zeigt eine seltsam verzerrte Figur auf einer Treppe
Szene aus "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" von 1922Bild: Image courtesy Ronald Grant Archive/ Picture Library/IMAGO

Ob in Bildern, Erzählungen und Märchen, ob in Form von Skulpturen, Bildern, Liedern oder im Film: In jeder Kunstform begegnet uns seit Menschengedenken das Grauen. Trotz seiner Langlebigkeit hatte der Horror in der Kunst- und Kulturkritik jedoch lange den Ruch des Kitschigen oder Oberflächlichen. Zu Unrecht, findet Westrey Page, Kuratorin der Ausstellung "Tod und Teufel - Faszination des Horrors" im Kunstpalast Düsseldorf. 

In den letzten Jahrzehnten sei das Thema in anderen Museen und Ausstellungen nur am Rande vorgekommen oder sei als Phänomen behandelt worden, wie Page im Gespräch mit der DW erzählt. Die Verbindungen zwischen den verschiedenen Gattungen hingegen seien bisher nie im Mittelpunkt gestanden. Darum hat Westrey Page mit "Tod und Teufel" eine Ausstellung kuratiert, die zum ersten Mal die Faszination des Horrors in all seinen Ausprägungen in Bildender Kunst, Mode, Musik und Film beleuchtet. "Dieser breite Ansatz oder Blickwinkel war wichtig für diesen ersten Versuch", so Page.

Geschichtliche Einordnung

Ein Gemälde, auf dem sich Menschen und Dämonen tummeln.
Fegefeuer, Paradies und Hölle auf dem Triptychon "Das Jüngste Gericht" (1848-1852) von Friedrich Wilhelm von Schadow und Schülern Bild: Kunstpalast – Horst Kolberg

Den Anfang der Ausstellung macht ein historischer Prolog. Dieser veranschaulicht, wie die Kunst- und Kulturgeschichte seit Jahrhunderten vom Grauen geprägt ist. Er spannt einen Bogen von den fantastischen Dämonen der Renaissance über die Landschaften der Romantik mit ihren dunklen Schatten bis hin zu Figuren wie Nosferatu, die in den frühen Horrorfilmen des 20. Jahrhunderts die Menschen zum Schaudern brachten. 

Der Prolog zeigt, dass sich aus unterschiedlichen Epochen stammende Maler wie Albrecht Dürer, Friedrich Wilhelm von Schadow oder Francisco de Goya mit Horror und dunklen Träumen beschäftigt haben. "Vor allem ist meine Hoffnung, dass viele Besuchende dann die heutigen Interpretationen des Horrors anders einordnen können, vielleicht sogar mehr Respekt davor haben können", so Page.

Kontinuität durch Adaption

Ausschnitte aus Horrorfilmklassikern des Deutschen Expressionismus wie "Nosferatu" oder "Das Cabinet des Dr. Caligari" und Plakate berühmter späterer Gruselklassiker wie "Der Exorzist" oder "Halloween" zeigen die Kontinuität, mit der der Horror sich in die Filmgeschichte eingeschrieben hat. Der Hauptteil der Schau, die mit 120 Exponaten aufwartet, besteht aus Bildern, Illustrationen und Exponaten diverser Kunstformen aus den letzten zwei Jahrzehnten und lässt wiederkehrende Adaptionen von Strategien des Horrors erkennen. 

Eine Frau in einem altertümlichen Kleid mit blutverschmiertem Dekolleté.
Szene aus dem Horror-Mystery-Film "The Witch" von Robert Eggers aus dem Jahr 2015Bild: A24 Films

Horrorfilme können sowohl eine subversive als auch eine konservative Kraft entfalten. Sie können als Warnung vor dem Unbekannten dienen, sie können aber auch einen Perspektivwechsel auf die Gesellschaft ermöglichen und die Frage stellen: Wer ist hier das Monster und wer ist der Held oder die Heldin? Spätestens seit dem ersten "King Kong"-Film ist das alte Held-gegen-Monster-Schema herausgefordert. In zahlreichen moderneren Vampirfilmen sind die Blutsauger nicht mehr die Bösewichte, sondern die Identifikationsfiguren, die in einer wesentlich grausameren Gesellschaft zurechtkommen müssen.

Machtsysteme hinterfragen

Ein zentraler Topos im Horror lautet: Das Zentrum wird von etwas bedroht, das von außen kommt. Diese Dynamik könne man laut Westrey Page auch nutzen, um die Rollen zu tauschen, "das heißt, die Figur, das Monster, die Hexe, der Vampir oder die Außenseiterinnen, können ein ermächtigtes Anderssein behaupten." Dies könne dazu beitragen, gesellschaftliche Normen und Machtsysteme zu hinterfragen. "Und das ist letztendlich, was wir vermehrt in der heutigen Zeit im Horror sehen, in ganz unterschiedlichen Genres, auch in der Popkultur", so Page.

So waren etwa die Looks der jüngeren Gothic-Szene prägend für die Kreationen von Designer*innen wie Rei Kawakubo, Rick Owens oder Viktor & Rolf. Die Ästhetik von Plattencovern, Band-T-Shirts und Schriftzügen aus Gothic, Wave und vor allem Metal baut stark auf alten Mythen, Horror und Ekel auf. Heute erscheint ihre Symbolik auch im Pop - unter anderem bei Lady Gaga, die ihre Fans liebevoll als "Little Monsters" bezeichnet.

Ein Plattencover zeigt eine Figur halb Mensch, halb Maschine: Frauentorso und Motorrad. Darüber steht: "Born this way".
Plattencover von Lady GagaBild: Universal Music International, Interscope Records

Grenzüberschreitungen, die den Geist öffnen

Horror erlebt in den letzten Jahren tatsächlich eine Renaissance, was sich unter anderem in dem großen internationalen Erfolg von Serien wie "The Walking Dead" zeigt, oder in der extrem erfolgreichen Schauer-Puppenreihe "Monster High" des Barbie-Herstellers Mattel, in dem Figuren wie Frankie Stein oder Draculaura ihr Unwesen treiben. Der Werbeslogan des Franchise Unternehmens lautet: "Be yourself, be unique, be a monster."

"Es geht darum, dass ich mein eigenes Anderssein feiere und akzeptiere", so Page. Sie selbst sei bei der Vorbereitung der Ausstellung von der Vielfalt des Genres Horror überrascht worden: "Er kann durchaus ernst sein, soziopolitisch sein, er kann aber auch entzückend sein. Horror kann Spaß machen mit schwarzem Humor, er ist einfach so vielfältig."

Eine Installation zeigt an Haken aufgehängte Fleischstücke, die von der Seite rot beleuchtet werden.
Ekel mit Sinn und Zweck: Skulptur der US-Künstlerin King CobraBild: Doreen Garner / Foto: kunst-dokumentation.com / Manuel Carreon Lopez

Eine Skulptur der US-amerikanischen Künstlerin King Cobra mit Fleischimitaten, die die Verletzlichkeit des Körpers und den daraus entstehenden Ekel erforscht, ein Plattencover von Lady Gaga, die darauf teils Motorrad, teils Mensch ist und Max Schreck als Graf Orlok in "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens": Alle drei sind Grenzüberschreitungen, die den Geist öffnen, gerne auch durch einen kleinen oder großen Schockmoment. "Ich denke, dass Horror uns Spielraum lässt, um unsere eigenen Ängste zu verarbeiten und letztendlich unsere Gesellschaft aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und zu analysieren", fasst es Page zusammen. 

Die Ausstellung "Tod und Teufel - Faszination des Horrors" ist von 14. September 2023 bis zum 21. Januar 2024 im Kunstpalast in Düsseldorf zu sehen. Empfohlen ab zwölf Jahren.