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Politik

Der Brexit-Vertrag aus internationaler Sicht

Patrick Große mit dpa
26. November 2018

Die EU hat den Vertrag zum Austritt Großbritanniens aus der Union unterzeichnet. Ein historischer Moment, den Medien in Europa und der Welt aufgreifen. Sie warnen vor den Folgen für Großbritannien und den Kontinent.

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EU-Sondergipfel zum Brexit in Brüssel
Bild: Reuters/D. Martinez

Der britische "Guardian" bezeichnet die Unterzeichnung des Brexit-Vertrags als "Beerdigung verkleidet als Taufe". Der Deal zwischen Großbritannien und der EU sei jetzt schon tot – die Zustimmung im Parlament sehr unwahrscheinlich. Die Regierung werde nun alles tun, um den Deal durch das Parlament zu drücken: Für sie gehe es "um Leben und Tod". Zur Not würden die Unterstützer des Brexit auch vor "dunklen Künsten" nicht zurückschrecken: "Abgeordnete, die vorhaben, den Plan abzulehnen, wird man fragen, ob sie wollen, dass ihre Familien aus der Zeitung von ihren sexuellen Seitensprüngen erfahren." Allein - es werde nichts nützen: "Auch wenn sich die Meinung eines Großteils der Abgeordneten noch einmal komplett ändern würde, dieser Vertrag kann die Abstimmung im Unterhaus einfach nicht überleben."

Die italienische Tageszeitung "La Stampa" sieht in der Brexit-Einigung einen Wendepunkt in der jungen Geschichte Großbritanniens: "Das Land ist noch immer dabei, sich von dem politischen und sozialen Erdbeben zu erholen, das der Brexit bedeutet: Die politische Klasse steckt in einer Glaubwürdigkeitskrise, die öffentliche Meinung ist polarisiert." Die Verhandlungen mit der EU hätten zudem eine Art Identitätskrise ausgelöst, "indem sie das Land dazu gezwungen haben, seine Rolle in der Welt neu zu definieren und sich seiner Schwächen bewusst zu werden."

"EU-Mitgliedschaft war stets Kopf-Entscheidung"

Die spanische Zeitung "El Mundo" warnt nach dem Brexit-Sondergipfel allerdings auch vor einem Bedeutungsverlust für die EU: "Durch die Amputation eines ihrer Mitglieder ist die Europäische Union seit gestern weniger stark und weniger einflussreich. Und das in einer zunehmend globalisierten Welt, die Herausforderungen mit sich bringt, die multilaterale Lösungen erfordern. Kein Europäer kann nach dem EU-Austrittsabkommen glücklich sein." Im Rückblick sei der Brexit aber unvermeidlich gewesen: "Die politische Unverantwortlichkeit, die zu dem schicksalhaften Referendum geführt hat, wurde von populistischen Lügnern souverän ausgenutzt und hat zu einer Scheidung geführt, die die Mehrheit der Briten Umfragen zufolge heute gar nicht mehr will."

Symbolbild EU-Brexit-Gipfel
"Eine Scheidung, die die Mehrheit der Briten gar nicht mehr will" - schreibt "El Mundo"Bild: AFP/Getty Images/D. Leal-Olivas

Auch die "Süddeutsche Zeitung" wagt einen Rückblick und versucht, den Austritt Großbritanniens zu erklären: "Es gibt zwei Motivquellen, in der EU mitzumachen." Zum einen Herz und Verstand: "Herzenseuropäer sind solche, die keine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen müssen, um sich für die europäische Einigung zu begeistern." Die Briten hingegen folgten vor allem einem rationalen Kalkül: "Sie betrachten die EU als Instrument, um Wohlstand zu schaffen, Frieden zu garantierten und sich in der Welt zu behaupten. Für die meisten Briten war die EU-Mitgliedschaft stets eine solche Kopf-Entscheidung. Es ging ihnen vor allem um Handel und Wirtschaftswachstum. Sie fragten sich wie die Aktionäre eines Unternehmens: Wie viel stecke ich hinein, und wie viel hole ich heraus?" Beim Volksentscheid 2016 sei es den Brexit-Verfechtern gelungen, die EU-Mitgliedschaft als Minusgeschäft zu verkaufen.

"Wichtigste Abstimmung ihrer Laufbahn"

"Die Presse" aus Wien analysiert das Kalkül der EU in den Brexit-Verhandlungen und lobt Unterhändler Michel Barnier: "Der erfahrene Ex-Kommissar entpuppte sich als richtige Wahl für die EU-Verhandlungsführung. Er führte die Gespräche mit Härte und Umsicht - ganz nach dem Kalkül: Wenn wir es London schwer machen, wird den Briten das Austrittsreferendum so bald kein zweiter Mitgliedstaat nachmachen. Das Kalkül ist aufgegangen." Bei aller Tragik bedeute der Brexit für die EU auch eine "Win-Situation".

EU billigt Brexit-Deal

Die "Washington Post" zeichnet ein Bild der aktuellen Situation zwischen Großbritannien und der EU: "Zwei Seiten, die beide in den Abgrund schauen". Europa habe während der Verhandlungen sehr geschlossen agiert, indem es klar machte, dass Großbritannien alle Vorteile der EU verlieren wird, sobald das Land austrete. "Die Staats- und Regierungschefs sind nicht froh über den Austritt, wollten aber den Deal festzurren, um sich wieder auf drängende Probleme wie Populismus, die instabile Wirtschaft mancher Länder und Russland zu konzentrieren."

Für die slowakische Tageszeitung "Pravda" ist die EU den Briten so weit wie möglich entgegengekommen. Nun sei Großbritannien am Zug: "Unter den gegebenen Umständen ist das die bestmögliche Vereinbarung, und die britischen Politiker sollen sich darüber klar sein, dass es keine andere geben wird. Anders ausgedrückt: Alles, was in Brüssel gemacht werden konnte, wurde gemacht; jetzt ist das britische Parlament am Zug. Sollte dieses wie befürchtet die Vereinbarung vom Tisch wischen, bleibt Großbritannien nur ein Austritt ohne Vertrag." Das könnte für die britische Wirtschaft und das britische Pfund aber zu einer "harten Ernüchterung" führen.

Premierministerin Theresa May habe "ihren Teil der Aufgabe" erfüllt, meinte die belgische Zeitung "De Standaard". Jetzt seien die Abgeordneten des Parlaments in der Verantwortung, eine weitere Eskalation zu verhindern: "Sie sind hin- und hergerissen zwischen Parteidisziplin, ihren Wählern und ihren persönlichen Überzeugungen. Sie stehen kurz vor der wichtigsten Abstimmung ihrer Laufbahn. Das Ergebnis bestimmt nicht allein die Zukunft ihres Landes, sondern auch die Europas. "Das Unterhaus kann nun die bittere Pille schlucken oder für ein noch verrückteres Abenteuer stimmen - samt der Aussicht auf eine wirtschaftliche Katastrophe""

Großbritanien Britisches Parlament beginnt mit Debatte über Brexit-Gesetz
Die britischen Abgeordneten "stehen kurz vor der wichtigsten Abstimmung ihrer Laufbahn", kommentiert "De Standaard"Bild: picture alliance/dpa/PA Wire

"Großbritannien nicht dafür bestrafen"

Die rumänische Tageszeitung "Adevarul" diskutiert die möglichen Folgen des Brexits für Großbritannien: "Jetzt haben sie ein zutiefst gespaltenes Land, mit unsicheren wirtschaftlichen Aussichten, mit der Möglichkeit eines Zerfalls Großbritanniens in drei Teile, von der bereits in Schottland oder Nordirland gesprochen wird. Was für das System internationaler Beziehungen eine Tragödie mit riesigen Auswirkungen wäre." Den Austritt aus der EU nehme man mit Trauer zur Kenntnis – "immerhin wenigstens unter den besten Bedingungen, die dieses zeitgenössische Trauerspiel zu bieten hatte."

Die konservative Zeitung "Lidove noviny" aus Tschechien findet auch positive Worte für den Abgang Großbritanniens: "Selbst dieser Scheidung einer mehr als 40 Jahre währenden Ehe muss man etwas Positives abgewinnen. Großbritannien holt sich nicht etwa seine gestohlene Souveränität und Freiheit zurück, sondern hat einzig und allein entschieden, seinen eigenen Weg zu gehen. Wir sollten das Land dafür nicht bestrafen." Tschechien werde weiter mit Großbritannien zusammenarbeiten und der Fortgang der Briten könne sogar zu einer "besseren Integration der Europäischen Union" führen. Der Brexit könnte aber auch den Tschechen die Augen dafür öffnen, "dass nicht alles, was in Brüssel entschieden wird, immer gut war und gut ist. Das, wonach sich viele europäische Bürger und Wähler am meisten sehnen, ist zweifellos ein Funken Selbstreflexion seitens der EU."