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Der Bürgerschreck als Dandy

6. Dezember 2013

Rock-Star Marilyn Manson hat ein neues Album veröffentlicht und eine bisher ungekannte Form der Provokation entdeckt: Er zieht schräge Vergleiche zwischen der deutschen Geschichte und der US-amerikanischen Gegenwart.

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Marilyn Manson mit neuer MessageBild: Marilyn Manson

Seine neue Platte soll klingen, "als ob man den Boden einer Herrentoilette" ableckt, sagte Marilyn Manson jüngst in einem Interview. Was das konkret heißen mag, vermittelt der Vergleich nicht wirklich. Aber der Schock sitzt und ist damit ein wirksamer Werbe-Gag für sein neues Album "The Golden Age of Grotesque".

Man kennt ihn so: Gruselig aussehend, mit einer milchigen Kontaktlinse im Auge, rabenschwarzen Haaren und bleich geschminkter Haut. Er selbst bezeichnet sich als "ureigene, atmende Verkörperung des Teufels". Marilyn Manson, mit bürgerlichem Name Brian Wagner, will Gegensätze zusammenführen. Schon der Künstlername Marilyn Manson folgt diesem Konzept: "Ich repräsentiere gleichermaßen den amerikanischen Traum und Alptraum – so wie (Filmstar) Marilyn Monroe und (Massenmörder) Charles Manson".

Kunst macht Politik

Doch bei Marilyn Manson, Punkrocker und Amerikas Elternschreck Nummer eins, täuscht die Fassade. In Michael Moores Anti-Waffen-Dokumentation "Bowling For Columbine" überrascht er mit nachdenklichen Tönen. Niemand habe den jugendlichen Amokschützen von Littleton zugehört, sagt Manson darin schlicht. Damit wehrt er sich gegen jene konservativen Stimmen, die seine brachiale Musik für das Blutbad von 1999 im US-Bundesstaat Colorado mitverantwortlich gemacht haben.

Die Amokläufer aus Littleton, Eric Harris und Dylan Klebold, hatten sich unter anderem als Fans von Marilyn Manson identifiziert. Gewalt in den Medien erzeugt reale Gewalt, warnen immer wieder Medienkritiker lautstark. Der Zusammenhang lässt sich statistisch nicht beweisen - aber auch nicht eindeutig ausschließen. Ein heikle Thematik, mit der Marilyn Manson wie auf Messers Schneide balanciert.

Bei der Vorstellung von Mansons neuem Album, das am 12. Mai erscheint, gab es wieder Neues vom Schockrocker: Er sieht sich als Amerikaner und als Patriot, wenn auch nicht so, wie es US-Präsident George W. Bush wohl gern hätte. "Ich habe nie einen Präsidenten oder die Regierung unterstützt", erzählt er den Journalisten in Berlin. Aber seine provozierende Kunst sorge dafür, dass Demokratie funktioniere, meint Manson.

Historische Vergleiche

"Es gibt viel Zensur in den USA. Die momentane Stimmung erinnert mich an die Art, wie in Deutschland vor gar nicht so langer Zeit mit so genannter 'entarteter' Kunst umgegangen wurde," sagte Manson dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel".

Der Vergleich sorgte für Schlagzeilen - hinkt aber in einem wesentlichen Punkt, dass es den Nationalsozialisten nicht nur um die Vernichtung der "entarteteten" Kunst ging, sondern in der Konsequenz um die auch körperliche Vernichtung der Künstlerpersönlichkeit.

The Golden Age of Grotesque
Cover "The Golden Age of Grotesque"

Manson will seine Fans in den "Jahrmarkt der Gedanken" entführen, sie verstören und immer wieder auf Zensur und die Grenzen der Kunst aufmerksam machen. "Ein Künstler, der nicht provoziert, wird unsichtbar", sagt Manson. Bei "The Golden Age Of Grotesque" hat er sich von der Endzeitstimmung des Berlins der 1920er und 1930er Jahre inspirieren lassen.

Das Berlin-Album

Für die Europa-Premiere seines neuen Albums kam Manson Mitte April an die Volksbühne nach Berlin. An diesem Theater provozieren ansonsten Theatermacher wie Christoph Schlingensief und Frank Castorf. Hier trifft sich an normalen Theatertagen die Bohéme der Theaterszene. Der Ort passt, bezieht sich Manson doch auf die Kokain-, Cabaret- und Kunstszene im Berlin der Weimarer Republik.

Deshalb kam der Künstler auch nicht wie sonst düster und raubtierhaft geschminkt, sondern mit Frack und Zylinder. Höflich stolzierte er durch das Theaterfoyer und erklärte den Journalisten, welchen Stellenwert die Kunst für ihn einnehme. "Aus dem Kasperle im Stil von Alice Cooper und Kiss ist ein Dandy geworden," schrieb die "Süddeutsche Zeitung".

Aber so sehr ihn die Bohéme des alten Kontinents auch fasziniert: Manson kann sich nicht vorstellen, aus Amerika wegzuziehen, er braucht sein Land als Gegenpol. "Ich glaube nicht, dass ich genauso kreativ sein könnte, wenn ich in Europa lebte", sagt er in wohl gewählten Worten. Europa habe ihm nicht so viel Widerstand entgegenzusetzen wie seine Heimat. (kas)