Der Chefredakteur muss gehen, weil ein Politiker es so will
27. November 2009Deutschland – das Land in dem Rede- und Pressefreiheit blühen. Das Land, das aus seiner Vergangenheit gelernt hat und ein in der Welt fast einmaliges öffentlich-rechtliches Rundfunksystem geschaffen hat, beziehungsweise sich von den Alliierten nach dem 2. Weltkrieg hat schaffen lassen. Es wird von allen mit einer monatlichen Gebühr bezahlt und von allen mitbestimmt. Vom Volk für das Volk. Nie wieder sollte der Rundfunk propagandistisch missbraucht werden dürfen - so wie das zur Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist. In den Gremien, die die öffentlich-rechtlichen Sender beaufsichtigen, sitzen Vertreter aller gesellschaftlicher Gruppen - also auch der Politik. Das ist mitunter problematisch. Doch dazu gleich.
Fakt ist, dass uns um dieses öffentlich-rechtliche System alle beneiden. Und jetzt das: Der Vertrag des Chefredakteurs des Zweiten Deutschen Fernsehens wird nicht verlängert, weil führende Politiker der CDU ihn nicht mehr möchten und im Aufsichtsgremium gegen ihn gestimmt haben.
Gebot der Staatsferne?
Das ist ein böser Schlag gegen die Unabhängigkeit des deutschen Rundfunks. Einen politisch unabhängigen Journalisten abzuservieren, weil er einer Partei nicht mehr passt – das ist ein Angriff auf die Medienfreiheit in Deutschland. Der Schock sitzt tief, denn es stellt sich jetzt vielen die Frage: Wie sieht es wirklich aus mit dem Gebot der Staatsferne, wenn ein wild gewordener Ministerpräsident eine böse Kampagne gegen einen Journalisten fahren kann und damit auch noch erfolgreich ist?
Eine Begründung für dieses Vorgehen hat es bislang noch nicht gegeben. Wie frei ist Berichterstattung wirklich, wie groß ist der Einfluss der Politik auf das von uns allen bezahlte Radio und Fernsehen? Größer als wir bisher alle glaubten - es gibt regelmäßig Versuche, Einfluss auf Entscheidungen in den Sendern zu nehmen. Es wäre auch naiv zu glauben, dass deutsche Politiker hinsichtlich ihrer Machtinstinkte besser seien als andere. Kritiker sagen, dass in vielen Sendern die wichtigsten Posten oft genug nach Parteiproporz und nicht nur aufgrund von Befähigung vergeben werden. Da ist übrigens die CDU nicht schlechter als die SPD. Das Motto: Ihr dürft den Intendanten stellen, dafür kriegen wir den Chefredakteur.
Keine russischen Verhältnisse
Das ist alles nicht gut und löst Beklemmung aus. Aber wer nun meint, in Deutschland drohten russische Verhältnisse, das besondere Rundfunksystem in Deutschland stünde gar vor dem Ende, der irrt. Schließlich war es auch dieses Rundfunksystem, neben vielen Zeitungen, in dem laut Kritik am Vorgehen der CDU im Fall des ZDF-Chefredakteurs geäußert werden konnte. In den meisten anderen, auch demokratischen Ländern, wäre eine solche Geschichte hinter verschlossenen Türen verhandelt worden, die Öffentlichkeit hätte nichts mitbekommen. Auch mich kann und wird kein Rundfunkrat jemals dazu bringen können, eine Meinung nicht zu äußern - solange sie begründet ist und nicht verletzend formuliert wird.
Vielleicht verabschieden wir uns in Deutschland gerade von der Vorstellung, dass Journalismus und Politik säuberlich voneinander getrennten Welten sind. Wovon wir uns nicht verabschieden, ist die Gewissheit, dass unser Rundfunksystem, bei aller berechtigten Kritik, nach wie vor Vorbildcharakter hat.
Autor: Ramón García-Ziemsen
Redaktion: Ranty Islam