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Literatur

Deutscher Buchpreis für Saša Stanišić

Suzanne Cords | Sabine Peschel
14. Oktober 2019

Saša Stanišić hat das Rennen um den begehrten Buchpreis gewonnen. "Herkunft" wurde zum besten Roman des Jahres 2019 gekürt. In der Literaturwelt ist Stanišić kein Unbekannter: 2014 gewann er den Leipziger Buchpreis.

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Schriftsteller Sasa Stanisic
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Saša Stanišić : Herkunft

Trotz angeschlagener Gesundheit war Saša Stanišić die Freude über die Auszeichnung sichtlich anzusehen. Über seinen Siegerroman hatte der 41-Jährige im Vorfeld gesagt: Es ist "ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt. HERKUNFT ist ein Buch über meine Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung." 

Dieser Ansatz überzeugte auch die siebenköpfige Jury. "Unter jedem Satz dieses Romans wartet die unverfügbare Herkunft, die gleichzeitig der Antrieb des Erzählens ist", hieß es in der Laudatio. "Verschmitzt und behände bleibt der Erzähler stets auf der Hut vor sich selber, mit Klugheit, Humor und Sprachwitz, ohne Zugehörigkeitskitsch und Opferpathos." Sein berückendes Vergnügen am Erzählen mache die bleischweren Themen federleicht, das sei " Wundbehandlung mit den Mitteln der Literatur". Der Autor beweise große Fantasie und verweigere sich der Chronologie, des Realismus und der formalen Eindeutigkeit: "Mit viel Witz setzt er den Narrativen der Geschichtsklitterer seine eigenen Geschichten entgegen", so die Jury.

Kritik an Nobelpreis für Handke

Er freue sich immens über den Preis, die Freude sei aber getrübt von der Vergabe des Literaturnobelpreises an Peter Handke, so der aus Bosnien stammende Autor, der mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat nach Deutschland floh. Damals war Saša Stanišić 14 Jahre alt. Handke erwähne in seinen Büchern die Opfer nicht, die er in seiner Heimat selbst erlebt habe. Das erschüttere ihn und daher müsse er sich echauffieren, statt über sein Buch zu reden, entschuldigte er sich beim Publikum. "Ich hatte das Glück, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt", sagte der in Hamburg lebende Autor. "Dass ich hier heute vor Ihnen stehen darf, habe ich einer Wirklichkeit zu verdanken, die sich dieser Mensch nicht angeeignet hat." Er sei froh, so Stanišić, dass auch andere mit der Verleihung des Literaturnobelpreises an den Autor nicht einverstanden seien. Den Buchpreis nehme er als Vertreter einer anderen Literatur entgegen, "einer Literatur, die nicht zynisch ist, nicht verlogen und die uns Leser nicht für dumm verkaufen will, indem sie das Poetische in Lüge verkleidet." Am Ende bedankte sich Stanišić bei seinem "fantastischen Verlag" und gab den Besuchern der Frankfurter Buchmesse - krank, wie er war - einen Rat mit auf den Weg: "Lassen Sie sich nicht anstecken - außer von guter Literatur!"
 
Das Gewinnerbuch: "Herkunft"

Peter Handke
Umstrittener Literaturnobelpreisträger Peter Handke Bild: DW/Spiros Moskovou
Buchcover Sasa Stanisic Herkunft

"Gestern habe ich das vierte Buch beendet", ließ Saša Stanišić am 9. Januar dieses Jahres auf Twitter verlauten. "Ich schrieb und recherchierte und dachte nach, ziemlich genau zwei Jahre. Das Buch heißt HERKUNFT. Es hat 335 Seiten und 467.757 Zeichen. Es ist ein Selbstporträt mit Ahnen. Und ein Scheitern des Selbstportraits."

Stanišić, der 1978 in Višegrad (Jugoslawien) geboren wurde und seit 1992 in Deutschland lebt, besuchte im Frühjahr 2009 mit seiner Großmutter das 13-Seelen-Dorf Oskoruša in den bosnischen Bergen, der Heimat seiner Vorfahren. "Herkunft" hat viel mit dieser Reise zu tun, sie war für ihn der erste Anstoß, sich mit seiner Abstammung zu beschäftigen.

Entstanden ist ein Buch mit einem bunten, schrägen Personal, eines über den Zufall der Biografie, über Sprache, Jugendsommer, Erinnerungen - und verlöschende Erinnerungen. Während Stanišić daran schrieb, erfuhr er vom Tod seiner an Demenz erkrankten Großmutter. "Im Buch lebt sie weiter. Ich trage sie so durch die Nacht. Trage sie zu ihrer eigenen Beerdigung und muss sie auch noch mal sterben lassen, auf dem Papier. Nichts wird der Güte dieser Frau gerecht, kein Wort kann so lebendig sein, wie sie es mal war."

Schon für seinen in mehr als 30 Sprachen übersetzten Debütroman "Wie der Soldat das Grammofon repariert" diente das echte Leben als Folie. Seine Twittereinträge beendet Stanišić an jenem Tag mit der Bemerkung: "Ein persönlicheres Buch werde ich nicht mehr schreiben können."

Von der Longlist auf die Shortlist

Die Jury, die den Roman des Jahres kürt, wechselt alljährlich, um bei der Wahl der Favoriten größtmögliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Und sie macht es spannend: Zunächst werden im August auf der sogenannten Longlist die 20 aussichtsreichen Kandidaten bekanntgegeben, einen Monat später erscheint dann die Shortlist, auf der noch sechs Autorinnen und Autoren im Rennen sind. Das lenkt die Aufmerksamkeit des lesenden Publikums schon im Vorfeld auf eine Reihe herausragender Titel und eben nicht nur auf einen Roman, für den es am Ende den Preis gibt. Allerdings wird dieses Verfahren immer mal wieder kritisiert. So bemängelte zum Beispiel der renommierte Autor Daniel Kehlmann, der 2005 mit dem Roman "Die Vermessung der Welt" weltberühmt wurde, Literatur sei kein Wettkampf.

Die Jury hatte die Qual der Wahl

Das sehen nicht alle so, denn eine Auszeichnung steigert die Verkaufszahlen. 2019 schickten daher 105 Verlage insgesamt 173 Bücher ins Rennen um den begehrten Deutschen Buchpreis. Die Juroren hatten also reichlich Lesestoff zu wälzen, bevor sie jetzt den Sieger kürten. Mit von der Partie waren diesmal Petra Hartlieb, die nicht nur Inhaberin einer Buchhandlung in Wien ist, sondern auch mehrere Bücher über dieses Thema geschrieben hat, darunter den in acht Sprachen verkauften Bestseller "Meine wundervolle Buchhandlung". Außerdem in der Jury: Hauke Hückstädt, seit 2010 Leiter des Literaturhauses Frankfurt, Björn Lauer, Marketing-Leiter der Buchhandlung Hugendubel, der Journalist, Literaturkritiker und Vorsitzende der diesjährigen Jury, Jörg Magenau, Alf Mentzer, Redakteur beim Hessischen Rundfunk, Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl und die Journalistin, Autorin und Moderatorin Margarete von Schwarzkopf.

Buchpreis seit 2005

Die Jury 2019 (v.l.n.r.): Jörg Magenau, Daniela Strigl, Alf Mentzer, Margarete von Schwarzkopf, Björn Lauer, Petra Hartlieb, Hauke Hückstädt  (v. l. n. r.)
Die Jury 2019 (v.l.n.r.): Jörg Magenau, Daniela Strigl, Alf Mentzer, Margarete von Schwarzkopf, Björn Lauer, Petra Hartlieb, Hauke Hückstädt (v. l. n. r.)Bild: Sascha Erdmann

Der Deutschen Buchpreis wurde 2005 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels in Frankfurt ins Leben gerufen. Alle Jahre wieder kürt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seitdem zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse den besten deutschsprachigen Roman des Jahres. Die Gewinner können sich nicht nur über die Auszeichnung, sondern auch über ein Preisgeld von 25.000 Euro freuen.

2018 erhielt die Autorin Inger-Maria Mahlke die begehrte Auszeichnung für ihren Roman "Das Archipel", 2017 gewann Robert Menasse den Deutschen Buchpreis

Unser DW-Spezial zum Deutschen Buchpreis gibt noch mehr Einblicke: Wer war der erste Buchpreis-Gewinner? Was macht ein Buch zum Roman des Jahres? Das und mehr erfahren Sie auf unserer Sonderseite.

Suzanne Cords Weltenbummlerin mit einem Herz für die Kultur