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Der Deutsche und die Pünktlichkeit

Peter Zudeick7. Dezember 2012

Pünktlich wie die Könige, so sind wir Deutschen. In seiner sechsten Kolumne widmet sich Peter Zudeick einer deutschen Tugend: der Pünktlichkeit.

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Bild: Fotolia/shoot4u

Darauf sind wir nun ganz besonders stolz: Auf die Pünktlichkeit. Pünktlich wie ein Uhrwerk - das sind wir Deutschen durch und durch. Wir haben das Uhrwerk zwar nicht erfunden, aber entscheidenden Anteil an der großartigen Entwicklung, dass Menschen wie Uhrwerke funktionieren. Und warum soll man das? Weil sonst alles zusammenbricht. In Deutschland sind Bahnen, Busse und Flugzeuge pünktlich. Wer etwas anderes behauptet, leidet an Wahrnehmungsstörungen. Auch Großflughäfen wie der in Berlin werden pünktlich fertig. Im Prinzip. Sollte es kleinere Verzögerungen geben, müssen andere daran schuld sein. Vermutlich Saboteure.

"Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige", sagt das deutsche Sprichwort. Nun gut. Das klingt ganz nett, soll aber nicht heißen, dass die Deutschen pünktlich sind, weil sie Monarchisten sind. Sondern sie sind es aus Prinzip. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant stand immer um fünf Uhr in der Frühe auf, ging Punkt Sieben zur Vorlesung in die Universität, arbeitete von Neun bis Eins an seinen Büchern, ging pünktlich um halb vier Uhr nachmittags spazieren, achtmal die Lindenallee in Königsberg auf und ab, und um Punkt zehn Uhr ging er zu Bett. Kant war die Fleisch gewordene deutsche Pünktlichkeit.

Zugegeben: Nicht alle Deutschen erreichen diese Perfektion. Aber sie bemühen sich. Fast 85 Prozent aller Deutschen behaupten, dass sie Termine sehr ernst nehmen und das auch von anderen erwarten. "Fünf Minuten vor der Zeit ist des Deutschen Pünktlichkeit", sagt der Volksmund. Den Spruch gibt es auch mit "Soldaten" und "Maurern". Letzteres aber gilt nur bedingt. "Pünktlich wie die Maurer" bedeutet pünktliches Aufhören. Den Maurern sagt man nach, dass sie auf die Sekunde genau die Kelle aus der Hand legen, um den Feierabend nicht zu verpassen. Das kann kein Deutscher erfunden haben.

Zwei Hände drehen an den Zeigern einer Uhr. Foto: dpa
Die Deutschen drehen die Uhr lieber ein bisschen zurück als vor.Bild: Joe Raedle/Getty Images

Wer zu spät kommt...

Obwohl: Der deutsche Volksmund kennt auch andere Sprüche. "Spät kommt auch", heißt so einer. Sehr irritierend. Ein anderer: "Wer gute Nachricht bringt, kommt nie zu spät." Naja, das wollen wir gelten lassen. Wer zu spät kommt, um einen brillanten Vortrag über die Vorzüge der Pünktlichkeit zu halten, den muss man nicht unbedingt schelten. Wohingegen ein Irrtum hier nachdrücklich ausgeräumt werden muss: "Besser eine Stunde zu früh, als eine Minute zu spät" ist ein schlechter Rat. Schon das mit den "fünf Minuten vor der Zeit" ist ja eine prekäre Angelegenheit. Ich kann es auf den Tod nicht leiden, wenn Menschen fünf oder zehn Minuten zu früh zu einer Einladung kommen. Ich stehe vor dem Spiegel in Unterhosen und Lockenwicklern und die an der Haustür in Frack und Zylinder - so geht das nicht. Pünktlichkeit heißt auch, dass mir keiner zu früh auf die Pelle rückt.

Und noch eins darf nicht vergessen werden. Auch bei der Pünktlichkeit sind nicht alle Deutschen so deutsch, wie sie sein sollten. Oder könnten. Da gibt es nicht unerhebliche landsmannschaftliche Unterschiede. Westfalen zum Beispiel lernen im Rheinland, dass Pünktlichkeit zwar eine Tugend sein mag. Aber eine, die sich nicht lohnt. Weil keiner da ist, der sie würdigen kann.