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Der Deutschland-Krimi - Vom Mauerfall zur Einheit

Volker Wagener17. September 2015

Eine missglückte Formulierung über das neue DDR-Reisegesetz bringt die Mauer zu Fall. Weniger als ein Jahr später ist die deutsche Einheit perfekt. Die Stationen bis zum 3. Oktober 1990 lesen sich wie ein Politkrimi.

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Lichtgrenze Mauerfall 25 Jahre
Bild: imago

9. November. Nur Stunden nach den berühmten Schabowski-Worten ("…nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.") strömen Ost-Berliner in den Westteil der Stadt. Schon in den ersten Tagen der neuen Freiheit sind Millionen Menschen auf den Beinen. Dabei erwähnt das Politbüro-Mitglied Günter Schabowski die neue Reisefreiheit nur beiläufig – und das auch noch unvollständig. Wenig später der Praxistest der Ost-Berliner. Sie erzwingen die Öffnung an mehreren Übergängen. Die DDR-Grenzer behalten die Nerven. Es fällt kein Schuss.

10. November. Tags darauf erklärt Eduard Schewardnadse, der sowjetische Außenminister, "die Ereignisse in der DDR" zur ureigenen Angelegenheit der neuen Führung unter Egon Krenz. Er wünscht "vollen Erfolg". Doch davon kann keine Rede sein: Nur drei Tage später kündigen die Volkskammer-Abgeordneten der Blockparteien der bis dahin allmächtigen SED die bis dahin bedingungslose Gefolgschaft auf. Die Partei schickt Hans Modrow ins Rennen: Der SED-Bezirkschef in Dresden soll retten, was noch zu retten ist.

DDR Egon Krenz mit Hans Modrow bei der Vorstellung der neuen Regierungskabinetts (Photo credit should read PATRICK HERTZOG/AFP/Getty Images)
Auf verlorenem Posten: Hans Modrow (links).Bild: Getty Images/AFP/P. Hertzog

Vier Tage nach dem Mauerfall wählt die Volkskammer Modrow zum Ministerpräsidenten. Er steht auf verlorenem Posten. Während im Bonner Bundestag schon öffentlich über eine mögliche Vereinigung diskutiert wird, gehen am 20. November in Leipzig eine Viertel Million Menschen auf die Straße. Ihr Motto: "Deutschland einig Vaterland". Dagegen bleibt der Aufruf namhafter DDR-Intellektueller wie Christa Wolf und Stefan Heym nahezu ungehört: Die fordern weiter die Eigenständigkeit des Landes.

Helmut Kohl ergreift die Initiative

28. November. In den ersten drei Wochen nach dem Mauerfall ist vieles denkbar, einiges möglich. Noch gilt die Einheit als heißes Eisen; die Idee einer Konföderation ist im Umlauf; Reformen am sozialistischen Weg der DDR werden diskutiert. Bundeskanzler Helmut Kohl sucht nach einem Weg, die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Am 28. November stellt er im Bundestag seinen "Zehn-Punkte-Plan" vor. Der schlägt ein wie ein Bombe. Die Deutschen zeigten eine "wachsende Arroganz", schimpft Frankreichs Außenminister Roland Dumas. Tatsächlich wurde niemand vorher konsultiert. Das Papier ist der Fahrplan hin zur staatlichen Einheit – allerdings mit einem fünf- bis zehnjährigen Vorlauf. Noch heißt das Ziel zu diesem frühen Zeitpunkt Konföderation.

3. Dezember. Die Ostdeutschen gehen weiter auf die Straße. Unter dem Druck der Abstimmung mit den Füßen kapitulieren sowohl das Politbüro als auch das Zentralkomitee: Sie treten geschlossen zurück – einschließlich Egon Krenz. Der hatte vergeblich versucht, die DDR mit politischen Kompromissen und Zugeständnissen an die Bürgerrechtsbewegung als Staat zu retten. Inzwischen reicht die Streichung des Führungsanspruches der SED aus der Verfassung den Demonstranten längst nicht mehr.

Dresden: Eine Frage des Tons und der Wortwahl

19. Dezember. Vor diesem Hintergrund ist der Auftritt des Bundeskanzlers vor der Ruine der Dresdner Frauenkirche ein emotionaler Höhepunkt. Vor allem für die, die von Reformen nichts mehr wissen wollen und stattdessen die Einheit fordern. Kohl trifft in Wortwahl und Ton die Gefühle der mehreren Zehntausend Ostdeutschen. Er spricht von seinem Ziel der Einheit der Nation in Frieden und Freiheit. Das Ausland ist beeindruckt, die Menge begeistert. Auch in der Rückschau hält Kohl sein Dresden-Erlebnis kurz vor Weihnachten für einen der bewegendsten Momente seines politischen Lebens.

Bildergalerie Helmut Kohl 1989 (Copyright: imago/Sven Simon)
"Wenn die geschichtliche Stunde es zuläßt...." Helmut Kohl am 19. Dezember 1989 in Dresden.Bild: imago/Sven Simon

15. Januar. Das neue Jahr beginnt turbulent. Der "Runde Tisch", an dem sich inzwischen Vertreter des alten Systems mit Anführern der Bürgerrechtsbewegungen gegenüber sitzen, bekommt Kenntnis von Ungeheuerlichem: Die Stasi, Sinnbild des Spitzelstaates, soll 85.000 hauptamtliche und fast 110.000 "inoffizielle Mitarbeiter" geführt haben. Zu dieser Zeit sind die meisten Stasi-Zentralen in den Bezirken schon unter Kontrolle der Bürgerrechtsbewegungen. Nicht so die Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße. Unkontrolliert werden hier Beweise für die Machenschaften der staatlichen Schnüffler vernichtet. Am selben Tag wird das Gebäude von Tausenden Demonstranten gestürmt. Mit dabei offensichtlich auch zahlreiche konspirativ agierende Spitzel, die die Demonstranten auf falsche Fährten lotsen. Die Vorgänge werden nie richtig aufgeklärt. Der Vorfall ist aber auch die inoffizielle Geburtsstunde der späteren "Stasi-Unterlagen-Behörde": Bis heute werden hier die Reste der Stasi-Hinterlassenschaft gesammelt, ausgewertet und sowohl Privatpersonen als auch der Wissenschaft zugänglich gemacht.

Berlin 1990 Demonstranten stürmen die Zentrale der Staatsicherheit der DDR(Foto: AP Photo/Jockel Finck, Archiv) ---
Sturm auf die Stasi-Zentrale in der NormanenstraßeBild: picture alliance/AP Images/J. Finck

Freie Wahl mit Überraschung

18. März. Die Bevölkerung der DDR steht vor einer historischen Abstimmung, ihrer ersten freien und geheimen Wahl. Vor allem die westdeutschen Parteien sind zuvor im Wahlkampf präsent. SPD-Altkanzler Willy Brandt tourt durch das Land, Helmut Kohl sowieso. Allein Kohl bringt bei seinen Auftritten eine Million Menschen auf die Marktplätze und Fußgängerzonen. Doch es ist die SPD, die bei den Meinungsforschern als haushoher Favorit gilt. Aber als die Stimmen am Abend des 18. März ausgezählt sind, ist die Sensation perfekt: Kohls bürgerliche Allianz siegt klar, die SPD ist nur halb so stark. Die SED-Nachfolgepartei PDS erhält immerhin noch gut 16 Prozent. Die Bürgerrechtsbewegungen, die eigentlichen Initiatoren der friedlichen Revolution, landen bei unter drei Prozent.

Willy Brandt (Foto: Wolfgang Thieme)
SPD-Ikone Willy Brandt vor 150.000 im März 1990 in Karl-Marx-Stadt.Bild: picture-alliance/ZB

18. Mai. Die Einheit ist längst ausgemachte Sache und die soziale Marktwirtschaft soll nun auch in Ostdeutschland eingeführt werden. In Bonn wird ein Staatsvertrag für eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion unterzeichnet, die zum 1. Juli wirksam wird. Die DDR-Bürger bekommen West-Geld. Damit beginnt auch die Neuordnung der DDR-Wirtschaft. Eine Aufgabe für die Treuhandanstalt, deren Entflechtung der Kombinate und "Volkseigenen Betriebe" innenpolitisch nicht unumstritten ist.

Die Bündnisfrage als Knackpunkt

15./16. Juli. Außenpolitisch ist die Nato-Zugehörigkeit eines vereinten Deutschland für die Moskauer Führung lange ein rotes Tuch und die höchste Hürde auf dem Weg zur Einheit. Doch der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow schwankt. Kohl hat sich unterdessen beim US-Präsidenten George Bush Rückendeckung für eine Nato-Mitgliedschaft ganz Deutschlands geholt. Von Bedeutung ist auch der Nato-Gipfel in London Anfang Juli: Der legt für das Bündnis eine betont defensive Ausrichtung fest. Ein Köder für die Sowjets. So kann beim Kohl bei seinem sehr privaten, aber historischen Treffen mit Gorbatschow in dessen kaukasischer Heimat den russischen Segen für eine Nato-Mitgliedschaft Deutschland einholen.

23./24. August. Der Einheitsprozess nimmt Fahrt auf. Die Abgeordneten der DDR-Volkskammer beschließen am 23. August den Beitritt zur Bundesrepublik. Und zwar zum 3. Oktober, was mit der Bonner Regierung abgestimmt ist. PDS-Chef Gregor Gysi erntet für seinen Kommentar, das Parlament habe soeben nicht mehr und nicht weniger als "den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik beschlossen", nur Gelächter. Einen Tag später verbietet das Parlament per Gesetz die Vernichtung von Millionen von Geheimdienstakten der ehemaligen Stasi.

Feier der deutschen Wiedervereinigung vor dem Berliner Reichstag
Zehn Monate und 24 Tage nach dem Mauerfall ist die deutsche Einheit am 3. Oktober 1990 rechtskräftig.Bild: picture-alliance/dpa

Letztes Feilschen vor der Vertragsunterzeichnung

12. September. Am Ende geht es nur noch ums Geld. Die Bonner Regierung bietet der Sowjetunion zwölf Milliarden D-Mark als Ausgleich für die Kosten des Abzugs der Roten Armee aus Ost-Deutschland. Zu wenig, befindet Gorbatschow. Kohl bleibt zunächst hart, legt aber dann noch einmal drei Milliarden drauf, die allerdings als zinsloses Darlehen. Damit ist der Weg frei zur Unterzeichnung des Zwei-plus-Vier-Vertrages. Die Außenminister besiegeln am 12. September in Moskau ein historisches Kapitel.

Tag eins des neuen Deutschland

2./3. Oktober. Der große Tag bietet gleich mehrere Ouvertüren. In New York verzichten die Außenminister der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs auf alle Sonderrechte, die ihnen nach der Kapitulation der Wehrmacht 1945 zustehen. Danach erklären die drei Stadtkommandanten West-Berlins ihren Verzicht auf ihre bisherigen Vorrechte. Die Volkskammer tagt zum letzten Mal. Kurz zuvor verlässt die DDR den Warschauer Pakt. Um 0 Uhr wird vor dem Reichstag in Berlin die deutsche Flagge gehisst. Annähernd zwei Millionen Menschen sind dabei.