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Interview mit Guido Steinberg über deutsche Dschihadisten

Bettina Marx4. Oktober 2014

Deutsche Dschihadisten nehmen teil am Terrorkrieg des Islamischen Staates. Sicherheitskräfte befürchten, dass sie auch die Bundesrepublik bedrohen. Der Wissenschaftler Guido Steinberg hat über sie ein Buch geschrieben.

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Archivfoto: Video deutscher Islamisten (Foto: dpa)
Propaganda-Video deutscher IslamistenBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Steinberg, Sie befassen sich mit dem Dschihadismus, dem Irak und Syrien und haben gerade ein Buch zu diesem Thema geschrieben. Wie tief ist Ihrer Ansicht nach der Dschihadismus in der deutschen muslimischen Gesellschaft verwurzelt?

Guido Steinberg: Der Dschihadismus ist in den letzten Jahren hier in Deutschland ein deutsches Phänomen geworden. Die Attentäter des 11. September waren arabische Studenten, die alle zwischen 1992 und 1996 nach Deutschland gekommen sind und hier studiert haben, die aber von ihrem Heimatland geprägt waren. Seit 2006 haben wir in Deutschland eine stetig wachsende deutsche dschihadistische Szene, deren Mitglieder ausnahmslos soziologische Deutsche sind, das heißt, sie haben einen Großteil ihres Lebens und vor allem ihrer Jugend hier verbracht. Immer häufiger sind sie auch hier geboren worden. Sie sind allerdings ethnisch sehr gemischt: Türken, Kurden, sehr viele Araber aus Nordafrika, aber auch deutsche Konvertiten bis hin zu einigen Russlanddeutschen.

Was treibt diese Leute an? Warum entscheiden sie sich ausgerechnet für eine solch extremistische Form des Islam?

Die deutschen Dschihadisten gehen seit 2006 in die dschihadistischen Kriegsgebiete, zunächst nach Pakistan, Afghanistan, einige nach Somalia und einige wenige haben versucht, nach Tschetschenien zu kommen. Heute gehen sie vor allem nach Syrien und in den Irak. Das Motiv, bedrängten sunnitischen Muslimen zu Hilfe zu kommen, ist ganz stark entwickelt. Es gibt noch ein zweites Motiv, das in den letzten Monaten an Bedeutung zugenommen hat: Diese jungen Salafisten möchten in einer islamischen Gesellschaft leben und ihrer Auffassung nach ist das hier in Deutschland und auch in der arabischen Welt nicht möglich, sondern nur da, wo Dschihadisten sich im Kampf gegen die angeblichen Feinde des Islam befinden. Hinzu kommen dann noch andere eher persönliche Motive wie beispielsweise Abenteuerlust oder auch Langeweile hier und in den letzten Monaten kann man sehen, dass es einigen auch darum geht, ihre Gewaltphantasien auszuleben.

Demonstration von deutschen Salafisten in Berlin Foto: DPA
Deutsche Salafisten demonstrieren in BerlinBild: picture alliance/Wolfram Steinberg

Interview mit Guido Steinberg

Droht uns in Deutschland, unserem Staat und unserer Gesellschaft, von den Dschihadisten wirklich eine Gefahr?

Ja, ich denke, dass eine Gefahr droht. Allerdings sollte man die auch nicht übertreiben. Wir leben jetzt mittlerweile seit acht Jahren mit dem Phänomen deutscher Dschihadisten, die sich bei Al-Kaida und verschiedenen anderen Organisationen ausbilden lassen, dort am Kampf teilnehmen und mehrheitlich zurückkehren. Einige von denen haben auch schon in der Vergangenheit Anschläge geplant. Doch zumindest die Anschlagsplanungen der Rückkehrer sind alle gescheitert oder vereitelt worden. Die Aussage, die man öfter hört, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis hier ein Anschlag passieren wird, halte ich für Unsinn. Dass Anschläge hier in Deutschland geplant werden, halte ich allerdings für höchstwahrscheinlich.

Wie gut ist Deutschland gerüstet, mit seinen Sicherheitskräften und seinen Geheimdiensten, um dieser Gefahr zu begegnen?

Es zeigt sich in den letzten Jahren immer wieder, dass die deutschen Sicherheitsbehörden auf amerikanische Hilfe angewiesen sind. Es gibt zumindest einen Fall, wahrscheinlich zwei Fälle, in denen die Planungen nur vereitelt werden konnten, weil die amerikanische NSA geholfen hat. Das ist ein Indiz für die Schwäche der deutschen Sicherheitsbehörden. Meines Erachtens ist das politisch gewollt, dass wir sehr schwache Sicherheitsbehörden haben. Ich meine aber, dass das im Vergleich zu der wachsenden Bedrohung in Deutschland nicht wirklich entspricht. Man hat in der Vergangenheit immer wieder feststellen können, dass die deutschen Sicherheitsbehörden vor allem bei der Überwachung von Radikalisierungsprozessen sehr schlecht waren. Viele Terrorverdächtige wurden erst relativ spät mit amerikanischer Hilfe gefasst. Ich würde allerdings sagen, dass es ein Problem mit der gesamten Sicherheitsarchitektur gibt, also auch bei der Kontrolle durch die Ministerien und bei der parlamentarischen Kontrolle.

IS-Kämpfer in der Stadt Raqqa in Syrien Foto: AP
IS-Kämpfer in der syrischen Stadt RaqqaBild: picture-alliance/AP Photo

Welche Rolle spielt die Türkei? Unterstützt sie den "Islamischen Staat" oder ist sie gegen den IS?

Die Türkei spielt eine höchst problematische Rolle, die ihrem Status als Verbündeter der meisten Europäer in der NATO nicht angemessen ist. Das hat mit den Prioritäten der türkischen Syrienpolitik zu tun. Die Türkei will vor allem zwei Dinge: Sie will das Assad-Regime stürzen - das ist ein wichtiges Ziel für die türkische Außenpolitik, es ist auch ein wichtiges persönliches Ziel für den Präsidenten Erdogan. Das zweite wichtige Ziel ist die Eindämmung des syrischen Ablegers der PKK. Es gibt drei Territorien in Nordsyrien, die von Kurden beherrscht werden. Dort kontrolliert die Partei der demokratischen Union, abgekürzt PYD, die gegenwärtige Situation. Die PYD ist nichts anderes als die syrische PKK, sie ist vollständig in die Kommandostränge und auch in die Finanzierungsstränge der PKK eingebunden. Die Türkei hat sicher ein Interesse daran entwickelt, den IS zumindest einzudämmen, aber das steht weit hinter den beiden anderen Motiven zurück. Darum kann man auf türkischer Seite immer wieder feststellen, dass der Zustrom von ausländischen Kämpfern geduldet wird, dass auch Material über die türkisch-syrische Grenze geschmuggelt werden kann.

Zwei weitere Staaten werden im Zusammenhang mit dem IS genannt, Saudi Arabien und Katar: Es gibt den Vorwurf, dass sie denTerrorismus finanzieren und das schon, seit in Syrien der Bürgerkrieg begonnen hat.

Das größte Problem ist tatsächlich die Türkei. Sie hat schon ab 2011, gemeinsam mit Katar islamistische, salafistische und auch dschihadistische Gruppierungen unterstützt. Darunter war auch die Nusra-Front, also der damalige syrische Ableger von IS. Diesen Vorwurf muss man den Türken und den Kataris machen. Sie allerdings scheinen seit etwa anderthalb Jahren einen anderen Partner verstärkt zu fördern, nämlich die "Freien Männer von Syrien", oder auf Arabisch "Ahrar al Sham". Bei ihnen handelt es sich nicht um Dschihadisten mit einer internationalen Agenda, sondern um Salafisten mit einer eher nationalen regionalen Agenda. In gewisser Weise sind sie die syrischen Taliban. Ob das kluge Politik ist, sie zu unterstützen, sei einmal dahin gestellt. Die "Ahrar al Sham" stehen nicht auf europäischen Terrorlisten, meines Erachtens gehören sie aber darauf und man sollte auch die Türken und die Kataris bewegen, diese Politik schnellstens zu beenden.

Saudi-Arabien ist etwas anders gelagert. Saudi-Arabien hat schon seit 2011 vor allem die Freie Syrische Armee (FSA) unterstützt. Letzten Endes ist das vollkommen kompatibel mit der amerikanischen und europäischen Politik. Es gibt überhaupt keine Belege dafür, dass Saudi-Arabien von staatlicher Seite die Nusra-Front unterstützt hat oder auch den IS. Im Gegenteil, Saudi-Arabien gehört seit einiger Zeit zu den entschiedensten Gegnern, arbeitet extrem gut auch mit den Europäern zusammen und teilt auch die Beschwerden vieler Europäer über die türkische Position. Den Saudis einen Vorwurf zu machen in Bezug auf IS halte ich für vollkommen falsch. Das größte Problem ist allerdings Kuweit. Das ist der Knotenpunkt der Finanzierung der syrischen Aufständischen in der Golfregion, allerdings auch da ist es nicht die staatliche Seite, die finanziert.

Der saudische Außenminister Saud al-Faisal Foto: Getty Images
Der saudische Außenminister Saud al Faisal. Dschiddah unterstützt die USA im Kampf gegen den ISBild: AFP/Getty Images/Brendan Smialowski

Müssen wir wieder mit dem syrischen Staatschef Bashar al Assad ins Gespräch kommen? Muss man sich mit ihm gegen die Extremisten vom IS verbünden?

Ich denke, dass sich in den öffentlichen Verlautbarungen der Amerikaner, aber auch der Europäer in den letzten Monaten schon zeigt, dass sie akzeptieren, dass Assad in einem Teil des Landes auch weiterhin herrschen wird. Ich persönlich bin der Auffassung, dass man nicht so weit gehen darf, dass man ihn wieder hoffähig macht und mit ihm kooperiert. Das ist ein Fehler, den die westliche Staatengemeinschaft, die Europäer, über Jahre hinweg gemacht hat, dass sie mit eigentlich inakzeptablen Diktaturen kooperiert haben. Ich würde raten, das zu vermeiden, wenn westliche Politik nicht jede Glaubwürdigkeit in der Region verlieren will. Andererseits sehen die meistenStaaten im IS eine größere Gefahr als in Assad. Ich denke aber, man sollte nicht vergessen, dass Assad für fast alle 200.000 Toten in Syrien in den letzten drei Jahren verantwortlich ist und IS nur für einen Bruchteil. Beides, das Assad-Regime und IS sind unsere Feinde und beide müssen bekämpft werden.

Buchcover des neuen Buches von Guido Steinberg: Al Qaidas deutsche Kämpfer Foto: Verlag edition Körber-Stiftung
Druckfrisch auf dem Markt: Das neue Buch von Guido SteinbergBild: edition Körber-Stiftung

Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin über die Politik des Nahen und Mittleren Ostens mit den Schwerpunkten Arabische Halbinsel, Politischer Islam und islamistischer Terrorismus. Steinberg war bis Oktober 2005 Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt und tritt regelmäßig als Gutachter in Terrorismusverfahren auf.

Die Fragen stellte Bettina Marx.