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Der ewige Kämpfer

Carolina Machhaus
1. März 2020

Er war Dichter, Priester und Revolutionär: Der Befreiungstheologe Ernesto Cardenal kämpfte bis zuletzt für eine gerechtere Welt. Nun ist Nicaraguas berühmtester Poet im Alter von 95 Jahren gestorben.

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Wien 1987 Ernesto Cardenal
Nie ohne die Baskenmütze: Ernesto CardenalBild: picture-alliance/APA/H.P. Klemenz

Ernesto Cardenal zieht seine Baskenmütze ab, er kniet nieder, um die Hand von Papst Johannes Paul II. zu küssen. Doch dieser entzieht sie ihm, verweigert Cardenal diese Ehre. Es ist der 5. März 1983 in Managua, der Hauptstadt Nicaraguas. Dieser eine Moment steht symbolisch für einen der zentralen Kämpfe in Cardenals Leben.

Sein Weg zur Poesie

Cardenal wurde 1925 in Granada, Nicaragua, geboren. Er wuchs in einer wohlhabenden Familie auf. Später studierte er Literatur in Managua und New York. Zu Beginn der 1950er Jahre veröffentlichte er seine ersten Gedichte. Diese widmeten sich zunächst der Erotik. Später erklärte Cardenal dazu: "Die Liebe zur Schönheit der Natur und zu den Frauen hat mich zu Gott geführt, und die Liebe zu Gott zur Revolution."

Stets suchte er seine eigene Form des Glaubens. Denn: "Eine hierarchische Kirche steht auf der Seite der Reichen", sagte er einmal. Der rebellische Katholik Cardenal stand jedoch immer auf der Seite der Armen. So setzte er sich in seiner Heimat Nicaragua für die Alphabetisierung ein, gründete Büchereien und einen Verlag. Sein Ziel: Die Armen in seinem Land sollten einen Zugang zur Kultur erlangen. Und Immer wieder übte Cardenal scharfe Kritik an der Situation in seiner Heimat. Den früheren und heutigen Präsidenten Daniel Ortega, mit dem er einst acht Jahre in der Regierung gesessen hatte, verglich er später mit Adolf Hitler und sprach von "Staatsterrorismus".

Nicaragua Präsident Daniel Ortega
Cardenal arbeitete erst mit Nicaraguas Präsident Daniel Ortega zusammen, später kritisierte er ihn scharfBild: Getty Images/AFP/M. Ngan

Religiöser Revolutionär

1954 beteiligte er sich aktiv an der Aprilrevolution gegen Nicaraguas Diktator Anastasio Somoza. Der Aufstand blieb erfolglos, Cardenals Überzeugungen allerdings waren ungebrochen. Er ging in ein Kloster in den USA, um anschließend in Mexiko Theologie zu studieren. In dieser Zeit entstand sein wohl einflussreichstes Werk, die "Psalmen". Noch heute zählt die Lyrik zum Kernbestand lateinamerikanischer Poesie. Inhaltlich strotzen seine Verse nur so vor Anklage gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Lüge.

Ernesto Cardenal: Revolutionär und Dichter

Es sind diese Probleme des damaligen Zentralamerikas, die er auch in seinen folgenden Werken immer wieder aufgreift. Mit den Jahren wird seine Lyrik immer religiöser und seine religiösen Ansichten werden immer politischer. Cardenal, der 1965 die Priesterweihe empfing, verglich die Botschaft seiner Poesie mit der der biblischen Propheten, "weil sie eine Anklage und eine Ankündigung machten: die Anklage der Ungerechtigkeit, die herrschte, und die Ankündigung einer besseren Welt", erklärte der Dichter.

Eine Insel der Gerechtigkeit

Cardenal zog es mit seiner Vision einer gerechteren Welt bald auf das tropische Archipel Solentiname im Nicaraguasee. Umgeben von Ruhe und der Schönheit der Natur, baute er hier eine klosterähnliche Kommune auf. Gelebt wurde hier nach urchristlichen Vorstellungen. Die Kommunarden versorgten sich durch Fischerei und Landwirtschaft selbst. Doch die Gemeinschaft war Diktator Somoza ein Dorn im Auge. 1977 wurde sie durch seine Truppen zerschlagen und Cardenal war gezwungen ins Exil nach Costa Rica zu gehen.

Bei einer seiner späteren Reisen überflog er seine Heimat: "Die Insel La Zanata, auf halbem Weg zwischen Solentiname und dem Seeufer (…) lag beinahe direkt unter der Maschine, war jedoch unerreichbar." Es war für ihn die schmerzliche Erfahrung  "eines Exilierten, der durch eine Glasscheibe von seinem Vaterland getrennt ist", wie er in seinen Erinnerungen "Im Herzen der Revolutionen" beschreibt.

Nicaragua Ernesto Cardenal
Ernesto Cardenal auf Lesereise in Deutschland 2014Bild: Imago

Kleine Siege und ewige Ziele

Im Exil schloss er sich der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN, einer politisch links orientierten Partei an. Die FSLN organisierte den Widerstand gegen  das Somoza-Regime. 1979 gelang es den Revolutionären die Diktatur zu stürzen. Cardenal war für die folgenden acht Jahre Kulturminister Nicaraguas und empfing 1980 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Doch wegen des Engagements als Minister der Revolutionsregierung nach dem Sturz der Somoza-Diktatur verbot Papst Johannes Paul II. 1985 Cardenal die Ausübung des priesterlichen Dienstes. 

Cardenal ließ sich davon nicht entmutigen, er kritisierte die Kirche weiterhin. Zum Beispiel auf einer Lesereise durch Deutschland im Mai 2013: "Die beiden letzten Päpste waren eine Katastrophe für die katholische Kirche, sie haben die Kirche um mehr als 200 Jahre zurückgeworfen."  Erst der lateinamerikanische Papst Franziskus weckte in ihm zurückhaltende Hoffnung. Immerhin habe dieser eine Form der Theologie "insofern praktiziert, dass er für die Sache der Armen eingetreten ist", erklärte der Dichter. Im Februar 2019 hob Papst Franziskus das Verbot des priesterlichen Wirkens wieder auf. Der damals schwer erkrankte Cardenal zelebrierte noch im Krankenhausbett seine erste Messe als Priester nach weit mehr als drei Jahrzehnten.

Die Triebfeder seines Lebens blieb bis zuletzt, die Utopie einer gerechteren Welt. Zur Erreichung dieses Ziels sah er keine andere Lösung, "…als die Welt auf den Kopf zu stellen und ganz und gar neu zu machen".  Diese Vision ist weiterhin in seinem umfangreichen literarischen Werk spürbar.

Ernesto Cardenal starb laut Berichten spanischer und nicaraguanischer Medien im Alter von 95 Jahren an den Folgen eines Nieren- und Herzversagens.