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Der ewige Schuldenstreit in den USA

Dirk Kaufmann17. Oktober 2013

In buchstäblich letzter Minute hat Washington einmal mehr die Schuldenobergrenze angehoben und damit einen Finanzcrash abgewendet. Aber welchen Sinn hat eine Grenze, die immer wieder verschoben wird?

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Ein-Dollar-Schein auf US-Fahne mit Rissen, Staatsverschuldung der USA
Bild: picture-alliance/chromorange

"Der Krieg ist aller Dinge Vater." Dieser Satz des griechischen Philosophen Heraklit trifft auch auf die sogenannte Schuldenobergrenze im Haushaltsrecht der USA zu. Denn die wurde 1917 eingeführt, um die Kosten, die den USA durch ihren Eintritt in den Ersten Weltkrieg entstanden, einzudämmen. Die Schuldenobergrenze legt fest, wie weit sich die USA verschulden dürfen. Wird sie überschritten, treten automatische Ausgabenkürzungen in Kraft, um den Haushalt wieder auszugleichen.

In weniger als hundert Jahren ist diese Grenze aber schon mehr als 75 Mal nach oben verschoben worden. Ist eine Grenze, die je nach Bedarf neu definiert wird, überhaupt sinnvoll? Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank in London, findet das Schuldenlimit "eigentlich sehr sinnvoll". Zwinge es die US-amerikanischen Politiker doch dazu, "regelmäßig darüber nachzudenken, ob sie wirklich neue Schulden machen wollen."

Irwin Collier sieht das ganz anders. Der US-amerikanische Volkswirt, der an der Freien Universität Berlin das John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerika-Studien leitet, hält den aktuellen Streit um neue Schulden für völlig überflüssig, weil dieses Problem schon bei den Haushaltsverhandlungen geklärt werden könnte: "Der Kongress bestimmt schon, was der Staat machen soll, wie viel er ausgeben und wie viel er einnehmen darf. Diese zusätzliche Grenze hat wirklich keinen Sinn."

Ein Demonstrant vor dem Capitol in Washington fordert die Opposition auf, im Haushaltsstreit weiter zu verhandeln. (Foto: AFP/Getty Images)
Die Opposition soll weiter verhandeln, meint dieser Demonstrant vor dem Capitol in WashingtonBild: Jewel Samad/AFP/Getty Images

Schuldenobergrenzen in Berlin und Brüssel

Hans-Peter Burghof, Volkswirtschaftler an der Universität Hohenheim, weist darauf hin, dass es seit 2011 auch in Deutschland eine Schuldenobergrenze gibt, die sogenannte Schuldenbremse. Die verpflichte die deutschen Politiker konsequenter zur Schuldenvermeidung als ihre amerikanischen Kollegen: "Wir haben eine noch höhere Hürde aufgebaut, in dem wir die Nicht-Aufnahme neuer Schulden mit Verfassungsrang versehen haben."

Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistung an der Universität Hohenheim Hans-Peter Burghof (Foto: dpa)
Hans-Peter Burghof: Kann man Tugend erzwingen?Bild: picture-alliance/dpa

Auf europäischer Ebene heißt dieses Instrument Fiskalpakt, und wenn es in der Europäischen Union verwirklicht wird, bekommt diese Politik eine breite Basis. Burghof: "Der Fiskalpakt muss jetzt in allen europäischen Staaten, die ihm beigetreten sind, durchgesetzt werden."

Aber auch für Berlin oder Brüssel gelte wie für Washington weiterhin, dass, wenn kein Geld mehr da sei, neues her müsse: "Wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann hat man eigentlich keine andere Wahl, als die Schuldengrenze auszuweiten und dafür zu sorgen, dass der Staat zahlungsfähig bleibt."

Volkswirtschaftliches Schreckensszenario

Hätten sich die US-Haushaltspolitiker tatsächlich nicht einigen können, hätten die Konsequenzen alle tragen müssen, nicht für die Amerikaner. Dednn wenn der US-Regierung das Geld ausgeht, muss sie ihre Ausgaben dramatisch kürzen. Und niemand, so Irwin Collier, könne vorhersagen, wann wo wie viel eingespart wird: "Es gibt kein System. Es wird ziemlich willkürlich sein, welche Rechnungen dann noch bezahlt werden."

Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank in London (Foto: Imago)
Holger Schmieding: Die Schuldenobergrenze ist sinnvollBild: Imago

Ein volkswirtschaftliches Horrorszenario wäre es, wenn die USA dabei ihren Schuldendienst vernachlässigen oder gar einstellen würden. Hans-Peter Burghof mag sich "die Nachricht, dass ein Staat seine Verpflichtungen nicht mehr zahlt", fast nicht vorstellen: "Das ist ein Schaden, den kaum ein Staat in Kauf nehmen kann."

Das sieht Holger Schmieding von der Berenberg Bank ganz ähnlich. Würden die USA ihre Schulden nicht mehr bedienen, würde man das "für ein paar Tage noch als schlechten Scherz hinnehmen. Aber wenn es länger andauerte, würden die USA nur noch mit Misstrauen betrachtet und mit hohen Zinsen bestraft."

Zur Tugend gezwungen?

Der jüngste Streit um die Schulden der USA beantworte, so Burghof, nebenher auch eine grundsätzliche, fast moralphilosophische Frage: Kann man den Menschen zur Tugend verpflichten? Die US-amerikanische Schuldenobergrenze, die deutsche Schuldenbremse oder der Europäische Fiskalpakt, sie alle versuchten, "die Tugend eines Politikers, der sparsam haushalten muss, selbst wenn er damit mal eine Wählerstimme verliert, durch eine gesetzliche Regelung zu ersetzen. Wir sehen am Beispiel der USA, dass das nicht funktioniert."