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Der Fall Gurlitt und seine Folgen

Annika Zeitler3. November 2014

Die Sammlung des Kunsthändlersohns Cornelius Gurlitt löste vor einem Jahr eine Debatte um die Rückgabe von NS-Raubkunst aus. Nach wie vor beschäftigt sein Fall die Öffentlichkeit.

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Uwe Hartmann Staatliches Museum Berlin Katalog Versteigerung Gurlitt
Bild: picture-alliance/dpa

Der Aufenthaltsort der Kunstwerke ist geheim, ihre Zukunft nach wie vor ungewiss. Sie seien aber sicher verwahrt und würden zum Teil sogar restauriert, erklärt Stephan Brock. "Die Kunst wird wieder schön gemacht, damit wir alle etwas davon haben, wenn sie vielleicht bald ausgestellt wird." Der Nachlassverwalter spielt damit auf die bevorstehende Entscheidung des Berner Kunstmuseums an, das Erbe des im Mai 2014 verstorbenen Cornelius Gurlitt anzutreten oder auszuschlagen. "Ich denke nicht, dass das Museum das Erbe ablehnt", sagt Brock überzeugt. Bis zum 7. Dezember habe das Kunstmuseum in der Schweiz aber noch Zeit sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Im Moment verhandelt das Haus in vertraulichen Gesprächen mit der Bundesrepublik Deutschland und dem Freistaat Bayern. "Die Gespräche verlaufen konstruktiv, sind aber noch nicht abgeschlossen", heißt es aus dem Kunstmuseum in Bern.

Erst kürzlich hatte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder,
das Kunstmuseum Bern davor gewarnt, den Nachlass voreilig anzunehmen. Ließe sich das Museum auf dieses Erbe ein, "wird es die Büchse der Pandora öffnen und eine Lawine von Prozessen auslösen", sagte Lauder in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Im gleichen Gespräch bestätigte Kulturstaatsministerin Monika Grütters, dass die Bundesrepublik Deutschland noch mit dem Berner Museum verhandele. Dieses bekenne sich zu der von Gurlitt zugesicherten Aufarbeitung und auch zur Restitution von Raubkunst. "Ich bin überzeugt, wir werden zu einer guten und vernünftigen Lösung kommen", sagte Grütters.

Der Fall Gurlitt holt Provenienzforschung aus dem Dornröschenschlaf

Chagall, Monet, Renoir und Picasso - wer würde Bilder dieser Künstler nicht gerne in seinem Museum ausstellen oder sie gar in sein Wohnzimmer hängen wollen? Doch wem gehören die Bilder, die Cornelius Gurlitt über Jahre in seiner Münchner Wohnung und seinem Haus in Salzburg lagerte? Sein Vater, Hildebrand Gurlitt, war während des Nationalsozialismus einer von vier prominenten Kunsthändlern, die unter Adolf Hitler in ganz Europa und in den besetzten Gebieten Kunstwerke für das geplante "Führermuseum" in Linz aufkauften und beschlagnahmten, von Museen und auch von jüdischen Privatsammlern.

Der Fall Gurlitt hat der Frage nach der Herkunft eines Bildes und damit der Provenienzforschung in Deutschland eine ungeahnte Aufmerksamkeit beschert. Welche Kunstwerke sind NS-Raubkunst und müssen zurückgegeben werden? Genau dieser Frage widmet sich aktuell auch die Kunsthalle in Bremen. Schon drei Jahre bevor der spektakuläre Kunstfund in München bekannt wurde, hatte das Haus angefangen, seinen Bestand auf NS-Raubkunst zu durchsuchen - ein Vorreiter in Sachen Transparenz. Auch das Landesmuseum in Baden-Württemberg oder das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gehen mit gutem Beispiel voran und überprüfen die Herkunft ihrer zwischen 1933 und 1945 erworbenen Kunstwerke. Den Museen fehle Geld und Personal, um den Fragen der Herkunft nachzugehen, hieß es unmittelbar nachdem die Debatte um die Rückgabe von Nazi-Raubkunst vor gut einem Jahr in der Öffentlichkeit entfachte.

Deutschland Bundestag Monika Grütters Staatsministerin für Kultur und Medien
Kulturstaatsministerin Monika Grütters: Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste soll am 1. Januar 2015 mit der Arbeit beginnenBild: picture-alliance/dpa

Ohne Gurlitt vermutlich kein "Deutsches Zentrum Kulturgutverluste"

"Kein Museum kann jetzt noch sagen, es habe kein Personal, um in seinen Beständen nach NS-Raubkunst zu forschen", erklärt die Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder Isabel Pfeiffer-Poensgen. Die Bundesregierung hat auf die Kritik aus dem In- vor allem aber aus dem Ausland reagiert und die Mittel für die Herkunftsforschung in Deutschland von insgesamt vier auf sechs Millionen Euro erhöht. Zum 1. Januar 2015 wird zudem das "Deutsche Zentrum Kulturgutverluste" in Magdeburg seine Arbeit aufnehmen und die Suche nach einst von den Nazis geraubten Kunstwerken in Museen, Archiven und Bibliotheken stärken und bündeln. Wäre das auch ohne den Fall Gurlitt passiert? Vermutlich nicht so schnell, räumt Pfeiffer-Poensgen ein. Es müsse immer etwas Spektakuläres passieren, damit sich etwas bewege.

Zwei Reiter am Strand - Max Liebermann
Liebermanns Gemälde "Zwei Reiter am Strand" aus Gurlitts Sammlung wurde als Nazi-Raubkunst identifiziertBild: gemeinfrei

Provenienzforscher: "Wir müssen in Generationen denken"

Christian Fuhrmeister vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München sieht vor allem in der Zusammenarbeit mit den Universitäten die Chance, für Aufklärung beim Thema NS-Raubkunst in den Museumsbeständen zu sorgen: "Wir müssen den Motor der nächsten Generation nutzen und jungen Studenten Werkzeuge an die Hand geben, um in Zukunft im Bereich der Provenienzforschung erfolgreich arbeiten zu können". Im Moment gäbe es im deutschsprachigen Raum gerade einmal rund 200 Personen, die in diesem Bereich fit seien. Es ist also noch immer einiges zu tun.

Um die offenen Fragen im Fall Gurlitt kümmert sich nach wie vor die Taskforce "Schwabinger Kunstfund" unter der Leitung von Ingeborg Berggreen-Merkel. "Die Taskforce arbeitet", heißt es in der Pressestelle. Ansonsten dringt wenig nach draußen. Zwei Gemälde konnte das Expertenteam bislang als Raubkunst identifizieren: die "Sitzende Frau" von Henri Matisse und die "Zwei Reiter am Strand" von Max Liebermann. Kritikern ist das zu wenig, auch die Anspruchsteller finden das "geschlossene System" Taskforce schwierig und fordern mehr Offenheit.

Taskforce-Leiterin Ingeborg Berggreen-Merkel
Ingeborg Berggreen-MerkelBild: DW/H. Mund

Taskforce arbeitet

"Das Team von Frau Berggreen-Merkel steht unter Druck, prüft alles genau und will seinen Job ordentlich machen", meint Nachlassverwalter Stephan Brock. Jüngst wurde ein Monet-Gemälde in dem Koffer von Cornelius Gurlitt gefunden, den er im Krankenhaus bei sich hatte. Die Taskforce bestätigte am 20.10.2014, dass es sich um das Bild "Abendliche Landschaft" handelt. Das Gemälde wurde inzwischen als "Koffer-Fund" in die Online-Datenbank Lostart eingestellt.

Insgesamt sollen bis zu acht Werke aus der Sammlung Gurlitt im Verdacht stehen NS-Raubkunst zu sein. Das gab bereits einer von Gurlitts Anwälten kurz nach seinem Tod bekannt und wurde auch noch einmal von Stephan Brock bestätigt. Wann die Familien ihren Matisse und Liebermann zurückbekommen bleibt erst einmal offen bis der rechtmäßige Erbe feststeht. Cornelius Gurlitt hatte noch vor seinem Tod im Mai 2014 einen Vertrag mit der Bundesregierung und dem Freistaat Bayern unterschrieben, alle Werke, die im Verdacht stehen NS-Raubkunst zu sein, an die rechtmäßigen Erben zurückzugeben. Egal, ob nun das Kunstmuseum in Bern oder seine Verwandten den Nachlass antreten, die Vereinbarung sei auch für die Erben bindend, versichert das Bayerische Justizministerium.