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"Der Höhepunkt der Kämpfe ist noch nicht erreicht"

Das Interview führte Sean Sinico18. Juli 2006

Sami Nader, Dozent an der St. Joseph Universität in Beirut, sprach mit DW-WORLD.DE über die Situation der Bevölkerung im Libanon und die Motivation hinter den anhaltenden Kämpfen im Nahen Osten.

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Helfer im Libanon bergen eine LeicheBild: AP

Sami Nader sprach mit DW-WORLD.DE per Telefon von seinem Haus aus im Süden von Beirut, etwa 20 Kilometer entfernt von dem Gebiet, in dem die meisten Bomben einschlagen.

DW-WORLD.DE: Was sagen die Leute um Sie herum über die anhaltenden Bombardierungen seitens der Israelis?

Sami Nader: Die Menschen sind entsetzt über das, was hier passiert. Zuerst standen nur sehr wenige Leute hinter den Aktivitäten der Hisbollah, denn es war klar, dass die Israelis in irgendeiner Weise darauf reagieren würden. Denn letztendlich ist es die libanesische Bevölkerung, die den Preis für diesen Krieg zahlen muss.

Aber mit jedem Tag, an dem die Bombardierungen fortgesetzt werden, sind die Menschen immer geschockter und entsetzter über die Heftigkeit, mit der Israel hier vorgeht. Sie müssen mit ansehen, wie ihre Häuser zerstört werden, sie sind gezwungen, ihre Geschäfte zu schließen und werden in andere Regionen des Landes überführt. Die Menschen sehen all das Leid mit ihren eigenen Augen und können und wollen nicht begreifen, warum das sein muss.

Was sind die größten Sorgen der Menschen zur Zeit?

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Luftangriff auf eine Brücke im südlichen LibanonBild: AP

Sie sorgen sich, dass alles noch schlimmer werden könnte. Dass immer mehr Leute aus dem Süden in andere Regionen gebracht werden und sie befürchten, dass es bald keinen Strom mehr gibt. Bis jetzt sind Elektrizitätsanlagen verschont geblieben, was damals 1996 nicht der Fall war. Aber wenn sich die Situation weiterhin verschlechtert, befürchte ich, dass Israel uns als nächstes den Strom wegnimmt. Die libanesische Bevölkerung hat Angst, dass diese Situation noch Wochen oder gar Monate anhalten könnte. Der Libanon ist einfach nicht in der Lage, einen langen Krieg durchzuhalten.

Ist ein normales Leben noch möglich?

Das kommt ganz auf das Gebiet an. Einige Gebiete sind bisher verschont geblieben, dort wo die Hisbollah nicht so präsent ist. Aber alle Brücken und wichtigen Straßen, die die Regionen miteinenander verbinden, wurden durch die Bombardierungen der letzten Tage systematisch zerstört. Die Regionen wurden so voneinander abgekapselt, die Wirtschaft ist lahm gelegt. Was übrig bleibt, sind nur lokale Aktivitäten innerhalb der Regionen, die nicht direkt Angriffsziel der Bombardierungen sind.

Haben die Menschen Zugang zu dem Notwendigsten wie Essen und Trinken?

Das ist ebenfalls abhängig von der Region. Einige Gebiete, wie der südlichen Teil von Beirut sind vollständig zerstört. Sie erhalten Hilfsmittel von anderen Regionen. Man kann eine Solidarität zwischen den Libanesen jenseits von Religionen und Gemeinden beobachten. Sie helfen einander, auch wenn sie auf politischer Ebene nicht einer Meinung sind.

Bekommen Sie Informationen darüber, was gerade um Sie herum passiert?

Noch haben wir Zugang zum Internet und manchmal können wir auch über Satellit internationale Rundfunksender empfangen, aber das könnte sich schlagartig ändern, wenn es keinen Strom mehr gibt oder noch weitere Teile der Infrastruktur zerstört werden.

Berichten zufolge versuchen immer mehr Menschen, den Libanon zu verlassen. Haben Sie beobachtet, wie Leute versuchen zu fliehen?

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Nur das Notwendigste nehmen die Menschen auf der Flucht mit.Bild: AP

Die Menschen fliehen von einer Region in die andere. Libanon ist ja unter einer Luft- und Seeblockade. Zunächst haben einige Menschen versucht, das Land über Syrien zu verlassen, aber das wird immer schwieriger, denn die Bombardierungen aus der Luft zielen auf die großen Straßen und die wichtigsten Brücken. Wir beobachten, dass immer mehr Menschen in andere Regionen gebracht werden, und das geschieht mit Absicht. Meiner Meinung nach ist das Ziel dieser Aktionen, die Bevölkerung in einem Gebiet zu versammeln, um so psychologischen Druck auf die Führung der Hisbollah auszuüben - sie sollen so dazu gebracht werden, den Bedingungen eines Waffenstillstandes zuzustimmen.

Was denken Sie, warum bombardiert Israel den Libanon?

Ich denke, dass es anfänglich nur darum ging, die beiden entführten Soldaten zu befreien. Aber jetzt denke ich, geht es um mehr: Die Israelis wollen auf Dauer eine Sicherheitszone an der nördlichen Grenze aufbauen.

Wie stehen die Chancen, dass sich die Kämpfe bis nach Syrien ausbreiten könnten?

Israel Angriff in Gaza Panzer vor Oase
Israel kämpft zur Zeit an zwei FrontenBild: AP

Ich persönlich denke, dass Isreal zur Zeit nicht in der Lage ist, an drei Fronten zu kämpfen. Sie haben noch ihren Krieg in Gaza und jetzt einen zweiten an der Grenze zum Libanon. Ich glaube kaum, dass Sie freiwillig eine dritte Kampffront in Syrien eröffnen.

Und wie stehen die Chancen auf einen Waffenstillstand?

Zur Zeit stehen die Chancen gleich null. Ich glaube, dass der Höhepunkt der Kämpfe noch nicht erreicht wurde. Das wird noch zwei oder drei Tage dauern.

Was wird passieren, wenn der Höhepunkt erreicht wird?

Man spürt, dass die internationalen Organisationen nur darauf warten, dass es zu einigen radikalen Veränderungen hier im Libanon kommt. Zum Beispiel, dass Israel mit seiner Sicherheitszone erfolgreich sein wird.

Es wird einen dramatischen Wechsel geben, entweder hinsichtlich der öffentlichen Meinung hier im Libanon oder durch den internationalen Druck, der besagt: "Hört zu Jungs, ihr müsst das so machen".

Welche internationale Organisation sollte ihrer Meinung nach ihren Druck erhöhen, damit es zu einem Waffenstillstand kommt?

Ich denke, der Druck kam zuerst mit dem Aufruf der UN und Tony Blair, dass sie bereit seien, internationale Truppen an die libanesisch-israelische Grenze zu schicken. Meiner Meinung nach sollte aber auch Druck aus den USA und seinen traditionellen Verbündeten Frankreich und Deutschland kommen.