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Christenverfolgung im Irak

Sophie Cousins, Mossul/ cb4. August 2014

Der Irak steht kurz davor, ein gescheiterter Staat zu werden. Darunter leiden Minderheiten, besonders die verfolgten Christen. Tausende von ihnen wurden gezwungen, vor den Kämpfen zu fliehen.

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Peschmerga Kämpfer an einem Checkpoint. (Foto: Sophie Cousins/ DW)
Bild: S. Cousins

"Wir hatten nicht erwartet, was uns am Ausgang der Stadt passieren würde. Da standen einige Menschen auf der Straße und zwangen uns, vor ihnen stehen zu bleiben", erzählt Naghm, eine Frau mittleren Alters, der DW. Sie spricht über den Tag, an dem ihre Familie gezwungen war aus Mossul, der zweitgrößten Stadt im Irak, zu fliehen.

"Ein Mann vom Islamischen Staat sagte: 'Ihr wollt nicht mit uns leben, wir sind Muslime.' Ich sagte ihm, dass wir aus Mossul kämen. Er wollte, dass wir Jizya [eine Religionssteuer, Anm. d. Red.] bezahlen und konvertieren", sagt Naghm weiter. "Ich habe ihm gesagt, dass das unmögliche Bedingungen seien. Er schrie uns an, wir sollten verschwinden und drohte, uns zu entführen. Sie nahmen all unser Geld weg - nicht mal die kleinen Scheine haben sie uns gelassen. Wir haben wirklich nichts mehr."

Naghms Geschichte ist kein Einzelfall. Tausende von irakischen Christen sahen sich gezwungen, aus Mossul im Norden des Landes zu fliehen, nachdem sie vor die Wahl gestellt wurden zwischen der Konvertierung zum Islam oder der Hinrichtung durch Kämpfer der ISIS (Islamischer Staat). Die terroristische Gruppierung hatte die Stadt am 10. Juni eingenommen, als irakische Soldaten ihre Posten aufgegeben und vor den vorrückenden Kämpfern geflohen waren.

Sicherheit im Kloster

Viele fanden Zuflucht in der halb-autonomen Region Kurdistan, die von irakisch-kurdischen Peschmerga-Kämpfern kontrolliert wird. Raad Ghanem und seine Frau flohen mit 250 anderen Menschen in das idyllische Mar Mattai Kloster, das 20 Kilometer von Mossul entfernt auf dem Berg Alfaf liegt. Sie waren eine der letzten Familien, die aus der historischen Stadt flohen. Der Frieden und die Ruhe im Kloster, das von der Syrisch-Orthodoxen Kirche geführt wird, ist sehr weit entfernt von der Gewalt, mit der die Iraker noch bis vor Kurzem konfrontiert waren.

Ein christliches Kloster bei Mosul. (Foto: Sophie Cousins/ DW)
Im Kloster finden die Flüchtlinge für einige Zeit Ruhe und FriedenBild: S. Cousins

"Als wir uns mitten in der Nacht auf den Weg machten, hat man uns alles weggenommen. Geld, Portemonnaies, Schmuck, Ausweis, Pass, einfach alles", sagt Ghanem. Er nimmt einen Schluck von seinem Tee in einem Raum des Klosters, der voller Menschen ist. "Am Daesh Checkpoint am Stadtrand wurden meiner Frau sogar die Ohrringe weggenommen. Sie haben alle unsere Wertsachen genommen."

Zerstörte Geschichte

Aber Dschihadisten haben nicht nur Zehntausende Christen aus der Stadt vertrieben, sie haben auch begonnen, eine Reihe von historischen Monumenten zu sprengen. Letzte Woche zerstörten die Kämpfer das Grab des biblischen Propheten Jona, dessen Geschichte eine wichtige Rolle im Judentum, Christentum und im Islam spielt. Das Grab war anscheinend ein Ziel auf einer Liste mit zwei Dutzend Heiligtümern, die ISIS zerstören will. "Sie haben unsere Kirche in eine Moschee umgewandelt, historische Museen ruiniert und ein Kloster und Manuskripte zerstört, die 1000 Jahre alt waren. Der Irak ist am Ende. Wir sind am Ende. Wir können nie wieder zurückgehen", sagt Ghanem.

George Marzina Kariumi Al-Qabo, ehemaliger Professor der Universität Mossul, stimmt dem zu. "Wir haben früher in Frieden gelebt hier in Mossul", sagt er der DW. "Was passiert ist, bricht einem das Herz. Früher haben die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen einander respektiert. Und jetzt? Das ist vorbei." Naghm sagt, die Zerstörung der Stadt sei unfassbar: "Als ich hörte, was mit den Kirchen und Moscheen passiert war, brach es mir das Herz. Es geht hier nicht nur um Religion, es geht um unser Land. Diesen Schaden können wir nicht reparieren."

Die Zukunft der Christen

Für Christen ist es nicht mehr möglich, im Irak zu leben, diesen Eindruck haben alle Iraker bestärkt, mit denen die DW gesprochen hat. "Die Häuser von Christen wurden markiert. Es hieß, sie seien Eigentum von ISIS. Danach wurden sie ausgeraubt. Unser gesamtes Hab und Gut wurde gestohlen. Wir sind nur mit dem, was wir am Leibe tragen, hierher gekommen", erzählt Nadia Naif Ishaq, eine dreifache Mutter. "Wir können nicht mehr in den Irak. Was ist die Lösung? Wie lange werden wir hierbleiben müssen? Wie lange wird das so weitergehen?"

Ausblick von einem christlichen Kloster bei Mosul. (Foto: Sophie Cousins/ DW)
Der Blick in die Zukunft der irakischen Christen ist so karg wie die LandschaftBild: S. Cousins

Naghm, die jetzt mit Ehemann und zwei Kindern in Erbil, der Hauptstadt Kurdistans, lebt, sagt, sie werde nie mehr nach Mossul zurückkehren. "Mossul wird nie mehr dasselbe sein", meint sie. "Jeder Christ im Irak versucht, das Land zu verlassen. Die einzige Möglichkeit ist, irgendwo anders hinzugehen und dort neu anzufangen. Es geht um die Zukunft unserer Kinder."