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Der IS, die Türkei und der Ölschmuggel

Kersten Knipp2. Dezember 2015

Russland wirft dem türkischen Präsidenten Erdogan vor, persönlich in den Erdölschmuggel der Terrororganisation IS verwickelt zu sein. Beweise stehen noch aus. Sicher ist: Das Öl des IS gelangt auf türkisches Terrain.

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Ölfeld im irakischen Tawke (Foto: dpa)
Ölfeld im irakischen TawkeBild: picture-alliance/dpa/Maxppp Tesson

Die Vorwürfe wiegen schwer: Russland beschuldigt die türkische Führung, direkt in den Erdölhandel der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) verwickelt zu sein. "Hauptabnehmer des vom Islamischen Staat in Syrien und im Irak gestohlenen Erdöls ist die Türkei", sagte Vizeverteidigungsminister Anatoli Antonow am Mittwoch in Moskau: "Nach vorliegenden Angaben sind die politische Führung des Landes, Präsident Erdogan und seine Familie, auch darin verwickelt." Details nannte er nicht.

Der russische Präsident Waldimir Putin hatte bereits am Vortag, beim Umweltgipfel in Paris, schwere Vorwürfe gegen die Türkei erhoben. Russland habe Informationen, denen zufolge Öl aus dem Gebiet des IS durch die Türkei geleitet werde. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan reagierte entschieden: "Wenn so eine Sache bewiesen wird, würde es die Vornehmheit unserer Nation erfordern, dass ich nicht im Amt bleibe", zitierte ihn die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu.

Unterstützung erhielt Erdogan von der US-Armee. "Das ist grotesk", sagte der Sprecher der US-Armee im Irak, Steven Warren, am Mittwoch. "Wir weisen strikt jeden Gedanken daran zurück, dass die Türkei in irgendeiner Weise mit dem IS zusammenarbeitet."

Putin und Erdoğan beim G-20-Gipfel in Antalya (Foto: Picture Alliance)
Bild aus besseren Tagen: Putin (re.) und Erdogan beim G-20-Gipfel in AntalyaBild: picture alliance/ZUMA Press

Frühe Berichte über Ölschmuggel

Berichte über Öllieferungen aus dem Herrschaftsgebiet des IS im Irak und in Syrien in die Türkei gibt es seit langem. Bereits im Juni 2014 sagte der Jurist Ali Ediboglu, Parlamentsabgeordneter der oppositionellen Partei CHP aus der an Syrien grenzenden Provinz Hatay, bis Juni jenen Jahres sei Öl im Wert von rund 800 Millionen US-Dollar aus den IS-Gebieten in der Türkei verkauft worden. Dafür seien eigens neue Leitungen gebaut worden.

Im August desselben Jahres berichtete auch die türkische Zeitung "TARAF" über Ölschmuggel aus Syrien in die Türkei. "Die täglich gelieferte Menge geschmuggelten Diesels beträgt inzwischen 1500 Tonnen", schrieb das Blatt: "Das entspricht 3,5 Prozent des täglichen Verbrauchs in der Türkei."

Günstige Preise öffnen den Markt

Im Frühjahr 2015 veröffentlichten die Wissenschaftler George Kiourktsoglou und Alec D. Coutroubis von der britischen Universität Greenwich eine Studie zu dem mutmaßlichen Ölschmuggel. Im Februar 2015 habe der IS eine Produktionsmenge von 45.000 Barrel pro Tag erreicht, heißt es darin. Damit nehme der IS täglich zwischen einer und drei Millionen Dollar ein, schätzt das Autorenduo. Das Öl aus den IS-Gebieten sei deutlich billiger als das auf dem regulären Markt gehandelte. Liege der Preis für das regulär gehandelte Öl zwischen 80 und 100 US-Dollar pro Barrel, biete der IS seines für 25 bis 60 US-Dollar an. Den Markt erschließe er sich über den Preis.

Die beiden Wissenschaftler haben besonders den Umschlag im türkischen Tanker-Hafen Ceyhan im Süden des Landes studiert. Dort verzeichneten sie auffällige Parallelen zwischen militärischen Aktivitäten des IS und der Höhe der Frachtraten: "Es scheint, dass immer dann, wenn der IS in der Nähe von Gebieten mit Ölvorkommen kämpft, die Exporte aus Ceyhan in die Höhe gehen." Die beiden Wissenschaftler weisen dies anhand dreier Zeiträume im Juli 2014, im Oktober/November desselben Jahres und im Januar/Februar 2015 nach.

Allerdings warnen die Autoren davor, die Korrelation zwischen IS-Kämpfen und Umschlagmengen als Beweis für den Schmuggel zu sehen. Das sei nicht der Fall. Allenfalls lege die Beziehung zwischen den Kämpfen und den Exportzahlen im Hafen den Erdölschmuggel nahe. Ebenso wenig beweise das Verhältnis die Verwicklung türkischer Behörden in Schmuggelaktivitäten.

Offiziere des russischen Verteidigungsministeriums sitzen unter Bildschirm mit Satellitenaufnahmen (Foto: Reuters)
Das russische Verteidigungsministerium präsentiert angebliche Beweise für den Ölschmugel des IS in die TürkeiBild: Reuters/S. Karpukhin

Kampf gegen Schmuggel politisch riskant

Allerdings deuten die von Kiourktsoglou und Coutroubis erhobenen Daten an, warum die Internationale Allianz gegen den IS den Schmuggel lange Zeit so zögerlich bekämpft hat. Zwar haben insbesondere die USA nach den Anschlägen von Paris rund ein Drittel der rund 900 Fahrzeuge starken LKW-Flotte des IS zerstört. Bis dahin konnten diese ihr Gut offenbar relativ ungestört zu ihren Empfängern bringen.

Der Grund für die Zurückhaltung: Es ziehen zu viele Menschen Vorteile aus dem Schmuggel. Der IS beteiligt die auf seinem Gebiet lebenden Menschen am Förder- ebenso wie an dem Schmuggelgeschäft. So ist es ihnen erlaubt, in den erdölreichen Gebieten eigene Bohr-Brunnen anzulegen. Das Öl dürfen sie dann auch selbst ins Ausland schmuggeln. Ein LKW, der 30.000 Liter Rohöl transportiert und erfolgreich an seinen Zielort bringt, beschert seinen Betreibern pro Fahrt einen Gewinn von rund 4000 US-Dollar. "Das Ergebnis dieser Politik (des IS, die Red.) ist gewaltige Unterstützung für das Kalifat", schreiben Kiourktsoglou und Coutroubis.

Genau das hat die Anti-IS-Koalition lange davon abgehalten, die Schmuggelrouten zu unterbrechen. Sie fürchten, die am Schmuggel Beteiligten durch Angriffe noch weiter in die Arme des IS zu treiben. Denn der liefert die Grundlage für ihre Geschäfte. Wer diese stört, macht sich die Schmuggler zum Feind.

Türkisch-syrisches Grenzgebiet, 26.07.2015 (Foto: Anadolu Agency)
Terrain der Schmuggler: türkisch-syrisches GrenzgebietBild: picture-alliance/Anadolu Agency/E. Ozdemir

"Türkei hat lange weggeschaut"

Bislang hat Russland für die Behauptung, die Familie Erdogan sei in den Ölschmuggel verwickelt, keine Beweise vorgelegt. Es sei aber durchaus denkbar, dass die türkischen Behörden den Schmuggel nicht konsequent unterbunden hätten, sagt Jan Techau, Direktor des Carnegie-Europe-Instituts. Im Deutschlandfunk umriss er die Verantwortung der türkischen Behörden so: "Der Hauch der Wahrheit ist der, dass die Türkei sehr, sehr lange weggeschaut hat, wenn es um die Handelsrouten des 'Islamischen Staates' ging, wenn es darum ging, die Grenze zuzumachen für die Händler, die diese Grenze im Grunde als wichtigste Verbindung zur westlichen, zur offenen Welt, zu den Märkten benutzt haben. Da hat die Türkei schon eine Menge Verantwortung aufgeladen."

Nach den Terroranschlägen von Paris hat die Internationale Allianz die im Dienst des IS stehende Tankerflotte verstärkt ins Visier genommen. Die politischen Risiken des Unternehmens sind bekannt: Die Zerstörung der Tankwagen könnte dem IS weitere Anhänger zuspielen. Dafür aber leisten die Angriffe auch einen Beitrag, die Finanzen der Terrororganisation auszutrocknen. Das Kalkül der Anti-IS-Koalition liegt auf der Hand: In dem Maß, in dem der IS an Finanzkraft verliert, wird er auch für seine Sympathisanten und Nutznießer weniger interessant.