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"Der Islamismus will Gott sein"

Kersten Knipp19. November 2015

Frankreich rüstet sich für weitere Auseinandersetzungen mit dem islamistischen Terror. Doch wie soll und kann das in einer multikulturellen Gesellschaft geschehen? Darüber wird in den Medien intensiv gestritten.

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Frankreich - Schweigeminute nach Terroranschlägen in Paris
Bild: DW/Lars Scholtyssyk

Wie geht es weiter mit Frankreich? Seit Tagen führen Publizisten, Philosophen und Soziologen eine intensive Debatte. Die prominenten Intellektuellen des Landes vertreten ganz unterschiedliche Standpunkte, die in der Summe vor allem eines zeigen: Einen Königsweg der Auseinandersetzung gibt es nicht. Was es gibt, sind überwiegend bekannte Vorschläge, Ideen, Positionen. Manche passen zueinander, manche nicht. Alles in allem zeigen sie: Frankreich ist angesichts der Herausforderung durch den Dschihadismus ziemlich ratlos. Eine angemessene Verteidigungsstrategie ist noch nicht gefunden.

"Der Islamismus verteidigt Gott nicht, er will Gott sein", erklärt der Schriftsteller Kamel Daoud im Magazin "Le Point". Und die Brutalität, mit der er das tue, sei auch ein Angriff auf ihn, den Franzosen algerischer Herkunft. "Die Menschlichkeit hatte nicht meine Hautfarbe. Aber der Barbar hatte mein Gesicht." Die Angriffe würden viele Migranten in Geiselhaft nehmen. Darum gelte es, die Dschihadisten zu bekämpfen - nur: "Man wird nicht als Dschihadist geboren, man wird es: durch Bücher, Fernsehsender, Moscheen, durch Hoffnungslosigkeit und ein Gefühl der Vergeblichkeit." Die dschihadistische Versuchung, schreibt Daoud weiter, komme vor allem aus einem Land: aus Saudi-Arabien. "Der (dschihadistische) Idealismus ist eine Ideologie mit Geld, die sich verbreitet." Dort, empfiehlt Daoud, müsse man ansetzen.

Kamel Daoud, 27.10.2014 (Foto: AFP)
Kamel Daoud: "Der Barbar hatte mein Gesicht"Bild: Getty Images/B. Langlois

"Ein klares Geschichtsbild"

Die Auseinandersetzung müsse aber auch in Frankreich selbst stattfinden, erklärt der Philosoph Michel Onfray. Er wirft seinem Land vor, es spiele allzu gern den Weltpolizisten. Irak, Afghanistan, Mali, Libyen: Überall habe Frankreich eine unglückliche Rolle gespielt. "Ist Frankreich wirklich so naiv, dass es meint, islamischen Ländern den Krieg zu erklären, ohne dass diese zurückschlagen?" Bestsellerautor Onfray, der die Terroristen offenbar für die Repräsentanten der islamischen Länder hält, schreibt in "Le Point", die Dschihadisten hätten ein klares Geschichtsbild. "Zu diesem sind wir in unserem trivialen Materialismus schon längst nicht mehr fähig. Wir achten nur noch Wahlergebnisse, die Geldmafia, den ökonomischen Zynismus und die Tyrannei der medialen Kurzlebigkeit", so Onfray.

Ist der Abschied von der Rolle des "Polizisten" aber der richtige Weg? Der Philosoph Pascal Bruckner widerspricht: Das Gegenteil treffe zu. Frankreich müsse sich mit den Vereinigten Staaten, Russland, Irak und Iran zusammentun, und den IS in Syrien und im Irak "massiv bombardieren". Auch innenpolitisch müsse das Land offensiv vorgehen: "Man muss die verfassungsmäßigen Freiheiten inhaftierter Dschihadisten beschränken und sie in Internierungslagern zusammenlegen." Außerdem meint er, man solle alle Verdächtigen in Vorbeugehaft nehmen, die 3000 potenziell gefährlichen Personen auf französischem Staatsgebiet ihrer Freiheit berauben. "Man muss die aus Syrien zurückkehrenden Kämpfer neutralisieren, alle zweifelhaften Imame und Prediger ausweisen und die entsprechenden Moscheen schließen", fordert Bruckner.

Frankreich Autor Pascal Bruckner
Pascal Bruckner: Offensiv gegen Dschihadisten vorgehenBild: imago/ZUMA Press

Verkennung geostrategischer Realitäten

Frankreich, wie überhaupt der Westen, hätten viel zu lange eine falsche Politik verfolgt, schreibt die Publizistin und Politikerin Malika Sorel Sutter im "Figaro". In absoluter Verkennung geostrategischer Realitäten hätten sie dem radikalen Islam den Boden bereitet. Frankreich etwa habe einst Ayatollah Khomeini Asyl gewährt. Die USA hätten die Grundlagen des Irak zerstört. Und die Europäer hätten die Machtverhältnisse in Libyen aus dem Gleichgewicht gebracht. Auch innenpolitisch habe Frankreich versagt. So hätten sich die aufeinanderfolgenden Regierungen der gesellschaftlichen Herausforderungen kaum angenommen. Das Ergebnis zeige sich nun an den Schulen, die einen ordentlichen Betrieb kaum aufrechterhalten könnten: "Der Schüler ist kein weißes Blatt mehr, auf das der Lehrer jene Prinzipien und Werte schreiben kann, die Grundlage des moralischen und sozialen Paktes der Franzosen sind."

Ähnlich sieht es auch der französische Historiker Georges Bensoussan. Das aus der französischen Kolonialgeschichte hervorgegangene schlechte Gewissen der Franzosen und der Schock des Mai 1968 hätten die Fragen nach der kulturellen Integration seit langem in ein falsches Licht gerückt. "Da, wo man auf die Zugehörigkeit zur Nation hätte bestehen müssen, hat man das Prinzip der kulturellen Verschiedenheit betont - vor allem die der anderen, nebenbei bemerkt. Man hat das Niveau der Anforderungen gesenkt, die es braucht, um Franzose zu sein. Man hat den Druck der konfessionellen und ethnischen Gruppen auf ihre Mitglieder unterschätzt, anstatt ihnen dabei zu helfen, sich von diesen Gruppen zu emanzipieren."

Der Fremde, ein Barbar?

Freilich müsse man aufpassen, rät der Philosoph Pierre Zaoui in der Zeitung "Libération". Nicht umsonst hätte der IS in den nicht ganz so schicken Vierteln von Paris zugeschlagen. "Denn die gehören zu den wenigen Zonen, wo der Rassismus noch schwach ist, wo der Front National schwach ist … und wo man weiß, dass ein Barbar derjenige ist, der an die Barbarei des Anderen glaubt, und dass die schlimmste Blindheit in dem Glauben besteht, die Welt sei durch Natur oder Kultur in Barbaren und Zivilisierte geteilt."

Das sieht auch Malek Boutih so, Politiker der Sozialisten und ehemaliger Direktor der Organisation "SOS Rassisme". Er weist auf die städtebaulichen Versäumnisse des Landes hin, die es zugelassen hätten, dass viele Viertel nach Ethnien getrennt seien. Der Erfolg des multikulturellen Frankreich sei möglich, aber keineswegs garantiert. Darum müsse die Einwanderungspolitik künftig bereits an den französischen Botschaften im Ausland umgesetzt und über Einwanderungsanträge entsprechend vorab festgelegter Quoten und Kriterien entschieden werden. "Wer dauerhaft in Frankreich leben will, kann kein Feind der französischen Werte sein. Man muss von ihm fordern, den hiesigen Gesellschaftsvertrag zu respektieren, der auch auf Laizismus, der Gleichheit zwischen Mann und Frau und der Bereitschaft beruht, ein Teil der französischen Kultur zu werden."

Malek Boutih, 24.08.2013 (Foto: Getty Images / AFP)
Malek Boutih: "Wer in Frankreich leben will, kann kein Feind der französischen Werte sein"Bild: Getty Images/AFP/X.Leoty