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Der Jemen und seine Herkulesaufgabe

25. November 2011

Der jemenitische Präsident macht den Weg frei für einen Machtwechsel. Trotzdem herrscht im Land nicht plötzlich Friede, Freude, Einigkeit. Die Lage ist angespannt, die Perspektiven sind düster. Der Protest geht weiter.

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Zwei mit der jemenitischen Flagge bemalte Finger (Foto: dpa)
Bild: picture alliance / dpa

Der Mann muss machtbesessen und an der Vermehrung seines Wohlstands interessiert sein, sonst hätte er sich längst mit einem Seufzer aus dem anstrengenden Geschäft verabschiedet. Seit 1978 regiert Ali Abdullah Saleh den Jemen mit politischer Schläue und durch die geschickte Verteilung von Geldern, Ämtern und Gewinnen aus dem Ölgeschäft. Lange hatte er es dadurch geschafft, die verschiedenen Stämme und Interessengruppen mühsam zusammen zu halten. Heute zählt der Jemen zu den 40 korruptesten Ländern der Welt.

Allerdings hat Saleh die nachwachsende Jugend vergessen und vernachlässigt. Sie hat heute kaum noch Perspektiven. Die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 35 Prozent, Armut und Analphabetismus sind weit verbreitet. Fast jeder zweite der 24 Millionen Einwohner muss von weniger als zwei Euro am Tag leben. Der soziale Sprengstoff ist zu groß geworden, die klassische Verteilungspolitik funktioniert immer weniger. Also hat Saleh nach vielem Hin und Her in dieser Woche ein Abkommen unterzeichnet, das ihm nach 33 Amtsjahren einen Abgang garantieren soll, bei dem er sein Gesicht wahren kann.

Ambitioniertes Abkommen – wenig realistisch

Ali Abdullah Saleh(Foto:Februar dapd)
Taktiker Saleh angriffslustig - im FebruarBild: dapd

"Offensichtlich hat er die Zeichen der Zeit erkannt", sagt Sebastian Sons vom Deutschen Orient-Institut. "Er möchte nicht so enden wie Gaddafi, und er möchte es vielleicht auch nicht so überreizen wie Assad in Syrien." Noch stehe der Jemen nicht so stark im Fokus des internationalen Interesses wie Libyen oder Syrien, noch habe Saleh die Möglichkeit zu handeln, so Sons im Interview mit DW-WORLD.DE: "Er ist ein Taktiker und ein cleverer Hund."

Ein Taktiker, dem die Opposition der Straße nicht vertraut. Einen Tag nach der Unterzeichnung starben erneut Regimekritiker. Fünf Demonstranten sollen durch regierungstreue Kämpfer erschossen worden seien, als sie gegen einen zentralen Punkt des Abkommens protestierten: Saleh und seiner Familie soll Straffreiheit garantiert werden. Weder er noch sein einflussreicher Sohn noch sein Neffe könnten vor Gericht gestellt werden.

Überhaupt ist das Abkommen ambitioniert: Saleh hat die Macht mit der Unterzeichnung offiziell an seinen langjährigen Vize Abd-Rabbu Mansur Handi übergeben, der innerhalb von 30 Tagen aus mehreren Parteien eine Übergangsregierung bilden soll. Die soll das Immunitätsgesetz für den Saleh-Clan beschließen, 60 Tage später soll ein neuer Präsident gewählt werden. Der wiederum soll ein Verfassungskomitee einsetzen, das eine Verfassung ausarbeitet, über die das Volk dann abstimmen soll. Anschließend sollen Parlamentswahlen stattfinden. Solche Wahlen gab es auch vorher schon im Jemen, diesmal sollen sie allerdings wirklich fair und frei sein. Es sollen nicht nur Kandidaten antreten dürfen, die Günstlinge des Präsidenten sind.

Hohe Erwartungen – kaum erfüllbar

Demonstration gegen Jemens Präsident Saleh (Foto: dapd)
Etwa die Hälfte der Demonstranten hat keinen Job, die Mehrheit ist jungBild: dapd

Jemen-Experte Sebastian Sons beurteilt die aktuellen Veränderungen im Jemen zwar generell positiv, er glaubt allerdings nicht, dass das Abkommen umgesetzt werden kann. "Selbst wenn es realisiert wird, würde es nicht reichen. Es geht hier nicht mehr nur darum, eine möglichst saubere Lösung zu finden, es geht hier jetzt darum, dass den Leuten Gerechtigkeit widerfahren soll." Saleh habe mit Repressionen geherrscht und seine Macht mit Gewalt durchgesetzt: "Die Leute möchten ihn vor Gericht sehen."

Sollte dennoch eine Regierung zustande kommen, sei es fraglich, ob sie von den Demonstranten akzeptiert würde. Allein Abd-Rabbu Mansur Hadi, der den Beginn der neuen politischen Ära im Jemen organisieren soll, war bereits seit 1994 Vizepräsident unter Saleh. Er sei nicht unbelastet, so Sons. "Er war einer der engsten Mitarbeiter Salehs und kann jetzt nicht als Gesicht des Wandels gelten."

Vertrauenswürdige Politiker seien nicht in Sicht, sagt auch Gabriele vom Bruck, Jemen-Expertin der School of Oriental and African Studies in London, im Gespräch mit DW-WORLD.DE. "Wer auf Saleh folgt, wird möglicherweise mit Chaos zu kämpfen haben – ganz sicher aber mit gravierenden Herausforderungen. Wer immer die Macht übernimmt, muss sich mit den Erwartungen der Jugend auseinandersetzen." Insgesamt seien die Erwartungen, die bei den Demonstranten in den vergangenen Monaten geweckt worden seien, extrem hoch: "Der Großteil der Bevölkerung hofft auf ein besseres Leben, aber diese Erwartungen werden in den nächsten Jahrzehnten ganz bestimmt enttäuscht."

Zahlreiche Interessengruppen – wenig Gemeinsamkeiten

Verschleierte Frauen demonstrieren gegen Jemens Präsident Saleh (Foto: epa)
Frauen gehören zu den treibenden Kräften unter den DemonstrantenBild: picture alliance/dpa

Für Sebastian Sons vom Deutschen Orient-Institut ist die wichtigste Herausforderung für einen möglichen Saleh-Nachfolger deshalb, dass er für sozialen Wandel und sozioökonomische Veränderungen sorgt und gleichzeitig politische Stabilität schafft. Eine Herkulesaufgabe: "Fragen Sie mich nicht, wie das gelingen soll, vor allem nicht in einem innerlich zerrissenen Land wie Jemen, in dem sehr viele Zentrifugalkräfte wirken und das bitterarm ist." Jemen, so Sons, sei "mit Sicherheit der brisanteste Schauplatz in der arabischen Welt", hier gebe es mehr Sprengstoff als in Syrien, Libyen oder Ägypten.

Die Interessengruppen sind tatsächlich zahlreich: Militär und Oppositionsparteien sind gespalten, Separatisten im ehemals kommunistischen Süden des Landes fordern die Abspaltung vom Nordjemen; schiitische Rebellen im Norden bekämpfen seit Jahren die Regierung; in zahlreichen Regionen haben die zuvor schon einflussreichen Stämme ihre Autonomie weiter festigen können. Außerdem gilt das Land als Rückzugsgebiet für saudische und jemenitische Terroristen, die sich "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" nennen. Sollte es einer neuen Regierung nicht gelingen, die vielfältigen Interessen auszuloten, sei auch ein Zerfall des Staates realistisch, so Sebastian Sons.

Autoren: Marlis Schaum und Anne Allmeling

Redaktion: Michael Borgers