Der Kampf mit dem "Helden"
30. September 2011Schon allein die Frage, wer oder was denn ein Held sei, ist in der deutschen Gegenwartsgesellschaft schwer zu stellen und noch schwerer zu beantworten. Dabei gibt es offenbar keinen Mangel an Helden - sie begegnen einem, wenigstens als Begriff, auf Schritt und Tritt: Ein Baumarkt erklärt verdiente Mitarbeiter zum "Helden der Woche", es gibt Fußballer, die werden zum "Helden des Viertelfinales", Musiker werden zu "Helden des Pop". Und dann gibt es noch einen ganzen Reigen von immer neuen Alltags-, stillen und natürlich vergessenen Helden.
"Das Wort ist im Alltagssprachgebrauch ein Joker-Wort", meint der Historiker und Sachbuchautor Rolf-Bernhard Essig. "Es schafft unmittelbar Aufmerksamkeit, ist aber inhaltlich vollkommen ausgehöhlt." Heute ist fast jeder ein Held, der es schafft, sich ins Licht der Medienöffentlichkeit zu rücken. Ein Held - das war ursprünglich einmal jemand, der sich für eine Idee oder die Gemeinschaft aufopfert und für einen höheren Zweck Außergewöhnliches leistet. "Ganz klassisch gesehen, ist ein Held männlich, rücksichtslos und aggressiv", sagt Essig, "da muss man sich schon fragen, wie das in eine pluralistische, demokratische Gesellschaft passen soll".
Die "postheroische" Gesellschaft
Essigs Skepsis ist nicht grundlos. Die Deutschen haben ihre Erfahrungen mit Heldentum und dem dahinterstehenden klassischen Konzept gemacht. Es ist hochverdächtig geworden, nachdem im 20. Jahrhundert in zwei Weltkriegen Millionen Menschen den "Heldentod" gestorben sein sollen, der sich letztlich als elend und sinnlos herausstellte, während die vorgeblichen Heldentaten nicht selten menschenverachtend und verbrecherisch waren. Außerhalb von rechtskonservativen und nationalistischen Zirkeln herrschte lange Zeit Konsens, dass bei "Helden" eher Vorsicht angebracht sei. "Held" ist ein starkes Wort in der deutschen Begriffswelt, mit dem starker Missbrauch getrieben wurde. Aber geht es wirklich ohne Helden? Professor Herfried Münkler, er lehrt Politkwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, sieht in der Abkehr vom Helden einen eklatanten Nachteil der westlichen Welt in aktuellen Auseinandersetzungen.
"Wir als europäische Staaten gehen in diese Konflikte gewissermaßen mit gesellschaftlichen Handschellen hinein", stellt der Politikwissenschaftler fest. Die andere Seite habe eine hohe Opferbereitschaft, sehr viele junge Männer und ein Ethos des Kampfes. Wenn dagegen "hierzulande einer oder mehrere Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen zu Tode kommen, dann wird der Ruf, man möge unsere Jungs nach Hause holen, so laut, dass die Regierung nicht umhin kann, entsprechende Konzessionen zu machen". Für Münkler bestehen in Europa und Nordamerika "postheroische Gesellschaften", die mehr durch Freizeit und Arbeit, aber nicht durch Begriffe wie "Ruhm und Ehre und Opferbereitschaft integriert sind".
Annäherungsversuche von links
Mit einer Konsum- und Arbeitsgesellschaft in dieser Darstellung lässt sich wahrscheinlich wenig Begeisterung erzeugen. Das ist für die deutsch-amerikanische Philosophin Susan Neiman Grund genug, sich der Idee des Helden zuzuwenden.
"Wir, die angeblich aufgeklärten kritischen Intellektuellen, haben unsere stärksten Wörter aufgegeben, Wörter wie Held, Ehre und Gut und Böse", konstatiert die Direktorin des Potsdamer Einstein Forums. "Aber die dürfen wir nicht denjenigen überlassen, die am meisten dazu neigen, sie zu missbrauchen." Das zielt auf Extremisten und Fanatiker ab, die die offene Gesellschaft gefährden. "Die vielen Jugendlichen, die sich zum Terrorismus hinneigen, wollen sich doch eigentlich nur mutig, sinnvoll und tätig einbringen, statt passive Konsumenten zu sein."
Neiman fordert dazu auf, den Sinnsuchenden solche Helden anzubieten, die zu unserer Welt passen: Menschen, die Leid und Unrecht bekämpfen, die sich dafür einbringen, die Welt zu verbessern. Und, das findet sie ganz wichtig, man sollte sie unbedingt auch als Helden benennen - und nicht etwa nur als Vorbilder.
Wie das aussehen kann, versucht die linksalternative Tageszeitung "taz" mit ihrem alljährlichen Panterpreis zu zeigen - die Nominierten werden als "Helden des Alltags" bezeichnet. Beispiele sind eine pensionierte Lehrerin, die Analphabeten das Schreiben beibringt, ein türkischstämmiger Psychologe, der eine Männergruppe für türkische Männer leitet, oder eine Sozialpädagogin, die Kunstprojekte für benachteiligte Jugendliche organisiert. Für die Anzeigenkampagne zum Preis tragen sie fast ausnahmslos Schärpen mit dem Aufdruck "Held" oder "Heldin". "Das ist nicht unumstritten unter unseren Lesern und Leserinnen", bekennt taz-Chefredakteurin Ines Pohl, "aber wir müssen uns bestimmte Begrifflichkeiten wieder aneignen und positiv besetzen".
Autor: Heiner Kiesel
Redaktion: Hartmut Lüning