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FAQ Kaukasus-Krieg

14. August 2008

Wer geht als Sieger aus dem Kaukasus-Krieg hervor? Was wird jetzt aus Südossetien und Abchasien? Und wie viele Opfer forderte der Konflikt? Acht Experten und Akteure haben uns sehr kontroverse Antworten gegeben.

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1. Was hat der Krieg der georgischen Führung gebracht?

Levan Duchidze, Botschafter Georgiens in Berlin

Krieg bringt nichts außer Toten, Verletzten und Vernichtung. Der Krieg war nie unser Wunsch. Wer besser darauf vorbereitet war und wer versucht hatte, die georgische Seite zu provozieren, ist langsam klar. Aber Georgien hat der Krieg natürlich nichts gebracht außer Zerstörungen und Leid. Südossetien ist Gebiet von Georgien und Georgien ist dafür verantwortlich, dass dort alle friedlich zusammenleben. 48 Stunden lang wurden vor dem Krieg georgische Dörfer dort mit leichter Artillerie beschossen. Wir standen kurz vor einem Massenmord an Georgiern und deshalb mussten wir alles unternehmen, um diese Leute zu schützen.

Uwe Halbach, Georgien-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik

Georgien ist sicher geschwächt, sein Militärpotenzial wurde zerschlagen, das mit viel Geld vorher aufgebaut worden war. Es wird immer wieder die Frage gestellt, ob Saakaschwili das politisch überleben kann. Im Moment gibt es einen Schulterschluss zwischen dem Präsidenten und einigen Fahnen schwenkenden Patrioten in Tiflis. Aber wenn sich die Lage etwas beruhigt hat, wird es sicher auch eine innenpolitische Abrechnung mit Saakaschwili geben. Ganz eindeutig ist er der Verlierer, auch wenn er verkündet: Wir haben Russland die Stirn gezeigt. Was sich Georgien von der Aktion versprochen hatte, darüber kann man nur spekulieren. Der Konflikt hat sich aus einer sehr unübersichtlichen Lage heraus entwickelt. Es war nicht nur eine einseitige Aktion Russlands, hier haben alle Seiten einschließlich Russland mit dem Feuer gespielt.

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2. Was hat der Krieg der russischen Führung gebracht?

Uwe Halbach, Georgien-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik

Der georgische Präsident Michail Saakaschwili in Gori (11.8.2008, Quelle: AP)
Warum hat er die Militäraktion gestartet?Bild: AP

Er hat die Stellung Russlands im Kaukasus gestärkt und der russischen Bevölkerung demonstriert, dass Russland in der Lage ist, Georgien zu zeigen, wo der Hammer hängt. Russland geht als Sieger aus dieser Auseinandersetzung hervor, wenn es jetzt nicht weiter gegen Georgien vorgeht, denn dann beschädigt es wirklich nachhaltig sein internationales Image.

Ekkehard Maaß, Vorsitzender der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft

Auf jeden Fall hat Russland nach diesem Krieg in Abchasien und Südossetien seinen Einfluss gestärkt. Immerhin handelt es sich um Gebiete, die Russland unbedingt in seinem Einzugsbereich haben möchte – nicht nur wegen des Zugangs zum Schwarzen Meer. Eine Zugehörigkeit dieser Gebiete zu Georgien ist auf lange Zeit nicht in Sicht.

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3. Was wird jetzt aus Abchasien und Südossetien?

Vladimir V. Kotenev, Botschafter Russlands in Berlin

Russland hat immer anerkannt, dass Abchasien und Südossetien Teile Georgiens sind. Aber nach diesem Völkermord in Ossetien glaube ich, dass die georgische Führung der eigenen territorialen Integrität großen Schaden zugefügt hat. Nach diesen furchtbaren Ereignissen in Südossetien stellt sich die Frage nach dem Status. Das Volk in Südossetien und das Volk in Abchasien werden wahrscheinlich entscheiden müssen, wo sie stehen. Sie haben kein Vertrauen mehr zu ihren georgischen Nachbarn.

Karte von Georgien (Quelle: AP)
Im Blickpunkt: die abtrünnigen Regionen Abchasien (l.) und SüdossetienBild: AP Graphics

Levan Duchidze, Botschafter Georgiens in Berlin

Die Anerkennung der Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien kommt für Georgien niemals in Frage. Das sind Teile des georgischen Staates und das wird auch so bleiben. Es gibt vielfältige Vorschläge für Autonomie. Der georgische Staatspräsident hat weitgehende Vorschläge für die Autonomie Abchasiens gemacht. Zum Beispiel könnte der Posten eines Vizepräsidenten geschaffen werden, der stets von einem Abchasen besetzt wird. Das Problem dabei war, dass die Abchasen nicht in der Lage waren, diese Pläne zu überdenken – denn das war inakzeptabel für die russische Föderation.

Lesen Sie weiter: Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die Position der USA in der Region?

4. Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die Position der USA in der Region?

Matthias Dembinski, Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung

Die USA sehen ihre Position nachhaltig geschwächt. Georgien fungierte eigentlich als Außenposten amerikanischen Einflusses. Die USA haben sich mit Militärhilfe und Militärberatern stark engagiert, wollten Georgien an die NATO heranführen. Durch den Krieg zeigt sich, dass der amerikanische Einfluss auf tönernen Füßen steht und dass Russland nach wie vor über den entscheidenden militärischen Einfluss in der Region verfügt. Die USA müssen das Verhältnis zu Georgien und Russland überdenken. Sie müssen sich überlegen, ob sie daran festhalten wollen, die neue Demokratie in Georgien langsam in die sicherheitspolitische Architektur des Westens zu integrieren und welche Kosten das für das Verhältnis zu Russland hätte. Das ist eine ganz schwierige Abwägungsfrage, denn die USA sind in vielen ordnungspolitischen Fragen wie etwa beim Terrorismus auf die Mitwirkung Russlands angewiesen.

Henning Riecke, Georgien-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik

Ich glaube nicht, dass die USA ihre Unterstützung für Georgien zurücknehmen. Georgien ist schließlich einer der wichtigsten Truppensteller im Irakkrieg gewesen. Ich glaube, dass die Georgier jetzt verstärkt versuchen, in die NATO zu kommen, auch wenn dies schwieriger wird und dass die Amerikaner sie dabei unterstützen werden. Die Amerikaner haben ein Interesse an Partnerschaften mit Staaten im Südkaukasus, sowohl was den Ressourcenfluss, als auch was die Stationierungsmöglichkeit angeht.

Lesen Sie weiter: Welche Folgen hat der Krieg für das Verhältnis zwischen Georgien und dem Westen, der Europäischen Union?

5. Welche Folgen hat der Krieg für das Verhältnis zwischen Georgien und dem Westen, der Europäischen Union?

Matthias Dembinski, Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung

Da gibt es in der EU zwei Auffassungen: Die Balten und die Polen sind der Auffassung, man hätte Georgien viel früher in die NATO aufnehmen müssen und man sollte, um diesen Fehler zu korrigieren, an der NATO-Erweiterungsperspektive festhalten. Die Franzosen und andere vertreten genau die entgegengesetzte Position, nämlich dass Saakaschwili unberechenbar ist und dass es ein Fehler war, die Frage der NATO-Erweiterung überhaupt auf den Tisch zu legen. Konsequenz dieses Streites könnte sein, dass die EU gezwungen ist, sich wider Willen in der Region, etwa im Bereich Peace-Keeping, zu engagieren.

Nicolas Sarkozy und Michail Saakashvili (13.8.2008, Quelle: AP)
Trotz französischer Friedensbemühungen - die Europäer sind sich uneinsBild: AP

Henning Riecke, Georgien-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik

Es wird im Westen relativ schnell deutlich werden, dass auch Georgien kriegerische Auseinandersetzungen nicht verhindert hat. Jetzt muss Georgien umschwenken und sich als Opfer darstellen, um den Westen auf seine Seite zu ziehen. Das gesamte Problem muss gelöst werden, um die demokratische Stabilisierung zu unterstützen und um Zugriff auf die Erdölpipelines aus dem kaspischen Raum zu erhalten. Dass die westlichen Staaten Georgien als Teil ihrer Wertegemeinschaft akzeptieren, davon sind wir ein ganzes Stück weg - und davon hat uns diese Auseinandersetzung auch weiter entfernt.

Angelika Beer, sitzt für die Grünen im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments

Die EU wird für den Fall, dass der Waffenstillstandsplan hält, nur eine friedenssichernde Rolle spielen können, wenn sie mit einer Stimme spricht. Dies wird nur gelingen, wenn sie auf einseitige Schuldzuweisungen am Kaukasuskrieg verzichtet und ihre Neutralität als Mittlerin zu nutzen versteht. Kritik sollte klar benannt werden, sowohl an dem militärischen Vorstoß von Saakaschwili wie auch an der militärischen Reaktion Russlands. Russland muss die Souveränität Georgiens achten. Wenn Russland und Georgien einer neutralen Friedensmission zustimmen, sollte die EU sich hieran aktiv beteiligen. Wer aber jetzt den Partnerschaftsvertrag mit Russland in Frage stellt oder den NATO-Beitritt Georgiens erzwingen will, riskiert nicht nur Brüche im Verhältnis der EU zu Georgien oder Russland, sondern auch die außenpolitische Spaltung der EU.

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6. Droht eine neue Eiszeit zwischen Russland und dem Westen?

Matthias Dembinski, Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung

Es besteht die Gefahr einer ganz erheblichen Entfremdung. Die Perspektive einer kooperativen Neugestaltungen der Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union, wie sie Präsident Medwedjew in seiner Berlinrede skizziert hat, ist erstmal gestorben. Stattdessen ist eine Entfremdung des Verhältnisses zu erwarten. Die Gespräche über das Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Russland werden wahrscheinlich suspendiert werden. Darauf werden die Balten und die Polen wohl drängen. Die Mitgliedschaft von Russland in der Welthandelsorganisation wird auf die ganz lange Bank geschoben. Es gibt eine Diskussion, die Beteiligung Russlands an der G8 aufzugeben und zu der bewährten G7 zurückzukehren. Alles das signalisiert, dass sich die Beziehungen abkühlen werden.

Vladimir V. Kotenev, Botschafter Russlands in Berlin

Unsere internationale Rolle war eigentlich nie leicht. Russland war fast immer alleine. Ich denke nicht, dass unsere Rolle schwieriger oder leichter geworden ist. Jetzt sprechen Medien von einem Kampf David gegen Goliath. Wenn jetzt die neuen Erkenntnisse über die Gräueltaten in Südossetien ans Licht kommen, dann muss man darüber auch berichten.

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7. Was sind die humanitären Folgen des Krieges?

Anna Nelson, Sprecherin des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes

Zehntausende brauchen Hilfe. Wir haben Informationen über großes menschliches Leid in Südossetien. Die gesamte Infrastruktur ist zerstört. Das Rote Kreuz hat mehrfach auf Zugang in die Region gedrängt, damit wir uns ein Bild der Lage machen können und um Hilfsgüter zu verteilen, aber bisher erfolglos. Von anderen Regionen des Landes wissen wir, dass es an grundlegenden Dingen fehlt: Nahrung, Wasser, Hygiene, vor allem in den Flüchtlingslagern. Was die russische Seite betrifft: mindestens 12.000 Menschen sind aus Südossetien in den russischen Norden geflohen, vor allem Kinder, Frauen und Ältere und auch sie benötigen Hilfe. Über Todesopfer und Verletzte kennen wir keine genauen Zahlen, wir wissen lediglich, dass in Georgien etwa 1000 Menschen verletzt oder getötet wurden – aber über Südossetien wissen wir nichts.

Südossetische Flüchtlinge in einem Camp in Nordossetien (13.8.2008, Quelle: AP)
12.000 Südosseten sollen bereits nach Russland geflohen seinBild: AP

Vladimir V. Kotenev, Botschafter Russlands in Berlin

Auf Saakaschwilis Befehl wurden die Stadt Zchinwali und Dutzende ossetischer Dörfer von Raketenwerfern, Artillerie und Panzern unter Beschuss genommen. Zivilisten wurden aus der Luft bombardiert. Hunderte georgische Panzerfahrzeuge drangen in Zchinwali ein, zermalmten Kinder und alte Frauen. Georgische Militärs schnitten den friedlichen Bewohnern von Städten und Dörfern die Kehlen durch, trieben sie In Baracken zusammen und verbrannten sie bei lebendigem Leibe. Sie sind nicht davor zurückgeschreckt, Kirchen zu sprengen, wo Zivilisten Zuflucht suchten. Die traurige Bilanz dieser Barbarei: Über 2000 Menschen sind tot. In Zchinwali kann man die Toten nicht begraben, da alle Friedhöfe von den Angreifern dem Boden gleichgemacht wurden. Etwa 70 000 sind auf der Flucht. Die 17 Jahrhunderte alte Stadt Zchinwali, deren Altstadt zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, ist völlig zerstört.

Lesen Sie weiter: Gab es in Südossetien ethnische Säuberungen durch russische Truppen?

8. Gab es in Südossetien ethnische Säuberungen durch russische Truppen?

Levan Duchidze, Botschafter Georgiens in Berlin

Seit gestern Abend werden georgische Zivilisten massenhaft in von Russen besetzten Gebieten hingerichtet. Es sind nicht nur Anrufe von Frauen aus dem Gebiet, die sagen unsere Männer und Söhne sind verschleppt und teilweise auch vor unseren Augen erschossen worden. Es gibt auch augenscheinliche Beweise dafür. Die Russen haben diese Säuberungen noch nicht beendet, deshalb verweigern sie jeden Vorschlag der Internationalen Gemeinschaft – auch dem Roten Kreuz – einen humanitären Korridor zu errichten, damit sich wenigstens ausländische Organisationen ein Bild von der Lage verschaffen können. Die ethnischen Säuberungen werden noch fortgesetzt.

Vladimir V. Kotenev, Botschafter Russlands in Berlin

Ich habe keine konkreten Beispiele für Säuberungen gesehen. Das sind deren Aussagen. Krieg ist Krieg, da kann alles passieren. Aber über die Gräueltaten an der georgischen Zivilbevölkerung ist uns nichts bekannt. Dagegen habe ich Ihnen ganz konkrete Beweise heute angeführt, was in Südossetien passiert war - und das wäre auch mit genau solcher Grausamkeit in Abchasien passiert.