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Gurlitt, der Kunstkrimi

Nikolas Fischer21. November 2013

Schuldzuweisungen, Versäumnisse, Intransparenz – die Vorfälle rund um den "Schwabinger Kunstfund" bei Cornelius Gurlitt, dem Erben des Nazi-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, sind längst zum Politikum geworden.

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Klingelschild mit dem Namen "Gurlitt" (Foto: Reuters/ Dominic Ebenbichler)
Bild: Reuters

Reinhard Nemetz muss sich dieser Tage viel Kritik anhören - der Augsburger Oberstaatsanwalt steht momentan im Mittelpunkt des Falles Gurlitt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte eine minutiöse Aufklärung der Hintergründe. Der Jüdische Weltkongress (WJC) will die Angelegenheit am liebsten auf höchster politischer Ebene behandelt wissen und nicht einem Staatsanwalt überlassen.

310 Gemälde sollen es jetzt sein, die Cornelius Gurlitt in Kürze von der Augsburger Staatanwaltschaft zur Rücknahme angeboten werden – und zwar die, so Oberstaatsanwalt Nemetz gegenüber der DW, die zweifelsfrei Gurlitt gehören: "Werke, die zum Beispiel von Familienangehörigen gefertigt und auch signiert wurden."

Augsburger Oberstaatsanwalt Reinhard Nemetz REUTERS/Michael Dalder
Reinhard NemetzBild: Reuters



Rückblick: Die Ermittlung des Kunstfunds

Im September 2010 wurde Cornelius Gurlitt, Sohn des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, zum ersten Mal von Zollfahndern überprüft. Ein Jahr später kam der Dursuchungsbeschluss. Wieder ein halbes Jahr später, Ende Februar 2012, wurden 1280 gerahmte und ungerahmte Bilder aus Gurlitts Schwabinger Wohnung beschlagnahmt. Der Verdacht: Teilbestände der Sammlung könnten Kunstwerke sein, die Hildebrand Gurlitt den Nationalsozialisten abkaufte, nachdem diese sie den rechtmäßigen Besitzern geraubt hatten.

Oder sie könnten zur "entarteten Kunst" gehören – mit dieser Bezeichnung diffamierte die nationalsozialistische Propaganda Exponate moderner Kunst, die als nicht vereinbar mit ihrem rassischen Schönheitsideal galten. Dazu zählten beispielsweise Werke aus dem Surrealismus, Expressionismus oder Dadaismus.

Hans Christoph: «Paar», Aquarell, 1924. Staatsanwaltschaft Augsburg/dpa
Hans Christoph: "Paar"Bild: picture-alliance/dpa

Anfang November 2013 ist der Fall Gurlitt öffentlich bekannt geworden. Seitdem wird immer mehr über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft diskutiert. Es sei "verwunderlich und nicht üblich, dass eineinhalb Jahre vergehen, in denen der Beschuldigte nicht einvernommen wird", sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dem Hessischen Rundfunk. Der Kunsthistoriker Ralph Jentsch sagte im Gespräch mit der DW: "Wie mit dieser Sache umgegangen wird, das zeigt, wie wenig Kompetenz hier vorhanden ist." Man könne so eine Sammlung nicht zwei Jahre unter Verschluss halten, wenn sicher sei, dass sie Werke enthalte, auf die Gurlitt berechtigte Ansprüche habe.


Warum erst jetzt?

Das Gespräch mit dem Kunstsammler sei bereits vor einigen Monaten gesucht worden, sagt Oberstaatsanwalt Nemetz gegenüber der DW – also lange vor einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Focus" vom 04.11.2013, durch den die mediale Berichterstattung ins Rollen kam. "Wir wollten einen Termin vereinbaren, an dem wir Gurlitt die Werke zurückgeben können. Daraufhin hat er um eine Verschiebung gebeten, weil er aus bestimmten, von ihm benannten Gründen die Werke damals nicht persönlich entgegennehmen konnte. Danach hat er sich aber nicht mehr gemeldet und auch auf unsere neuerlichen Anfragen nicht mehr reagiert."

Christoph Voll: "Mönch" (Ausschnitt) EPA/PUBLIC PROSECUTOR OFFICE'S AUGSBURG
Christoph Voll: "Mönch" (Ausschnitt)Bild: Staatsanwaltschaft Augsburg/dpa (Ausschnitt)

Die Ermittlungen, zu welcher Kategorie ein Exponat gehöre, seien außerordentlich komplex und zeitaufwendig, so der Oberstaatsanwalt. Allein der Umgang mit den Exponaten sei schon kompliziert: "Sie sind eingelagert, jedes Objekt muss entsiegelt entnommen werden, in einer bestimmten Art und Weise, in einem bestimmten Klima, es müssen Zeugen dabei sein, es muss ein Protokoll geführt werden. Man muss die Signaturen suchen, finden, prüfen, zuordnen. Auf den Hersteller zu schließen, ist da selbst für Fachleute äußerst schwierig.


"Cornelius Gurlitt lebt in einer anderen Welt"

Gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" äußerte Cornelius Gurlitt, freiwillig gebe er keines der Werke ab. "Er verteidigt seinen Vater", sagt der Berliner Rechtsanwalt Lothar Fremy im Gespräch mit der DW. Fremy führt die Verhandlungen für das Gurlitt-Bild "Zwei Reiter am Strand" von Max Liebermann. Sein Vater habe die Bilder sozusagen gerettet, weil sie sonst verbrannt worden wären. Er habe sie zu den damals geltenden Bedingungen rechtmäßig erworben. "Cornelius Gurlitt lebt in einer anderen Welt", so Fremy. Daher habe er sich auch bis jetzt noch immer keinen juristischen Beistand geholt. Und sich im Februar 2012 auch nicht gegen die Beschlagnahmung der Bilder gewehrt. Aus diesem Grund sei so lange nichts passiert – juristische Schritte wären laut Fremy nämlich durchaus möglich gewesen: "Ich habe den richterlichen Beschluss zur Beschlagnahmung der Bilder noch nie zu Gesicht bekommen – ich glaube, kaum jemand kennt den."

Max Liebermann: "Zwei Reiter am Strand" REUTERS/Michael Dalder
Max Liebermann: "Zwei Reiter am Strand"Bild: Reuters/Michael Dalder


Viel zu tun für die Gurlitt-Taskforce

Weltweit wird über den Fall berichtet, täglich gibt es neue Meldungen. Im November 2013 bewog die breite öffentliche Diskussion die Verantwortlichen zum Handeln: Das Justiz- sowie das Kultusministerium Bayerns, das Bundesfinanzministerium sowie der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gründeten die "Gurlitt-Taskforce", eine Expertenkommission, die sich um das weitere Vorgehen kümmern soll.

Die politische Leitung der zehnköpfigen Taskforce übernimmt die Juristin Ingeborg Berggreen-Merkel, bis April 2013 Stellvertreterin des deutschen Kulturstaatsministers Bernd Neumann. Sie ist sich der Problematik ihrer Aufgabe bewusst: "Wir haben hier einen äußerst komplexen Sachverhalt mit rechtlichen, moralischen, historischen Aspekten, die aus dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte resultieren."

Ingeborg Berggreen-Merkel Foto: Martin Schutt
Ingeborg Berggreen-MerkelBild: picture-alliance/dpa


Wo soll der Achtzigjährige jetzt mit den Gemälden hin?

Seitdem der Fall Gurlitt öffentlich bekannt wurde, hat sich viel getan, unter anderem sind Bilder auf der Online-Datenbank Lost Art zu sehen. Allerdings wurde auch Gurlitts Hausanschrift publik. Nun kann er mit den 310 Werken nicht in seine Schwabinger Wohnung zurück – die halbe Welt weiß davon. Berggreen-Merkel kündigte an, das Gespräch mit Gurlitt zu suchen und ihm Hilfe anzubieten. Oberstaatsanwalt Nemetz betont: "Uns wird vorgeworfen, wir seien dafür verantwortlich, dass der Beschuldigte jetzt einem solchem Druck ausgesetzt ist. Das ist falsch. Wir haben zwar die Werke beschlagnahmt, aber wir sind nicht an die Öffentlichkeit getreten."

Erst in einem Medienbericht sei Gurlitts Name genannt, sein Wohngebäude gezeigt und auch dessen Adresse mitgeteilt worden. "Er ist jetzt aus meiner Sicht schutzbedürftig", so Nemetz. "Es wird darum gehen, wie die Polizei Gefahren von ihm abwenden kann." Für die Lagerkosten und die Versicherung der Kunstwerke, die ihm zurückgegeben werden sollen, ist Gurlitt übrigens selbst verantwortlich, sagt der Anwalt Matthias Druba, der sich auf die Rückgabe von NS-Raubkunst spezialisiert hat.

Antonio Canaletto: "Sa. Giustina in Prà della Vale in Padua" Augsburg/dpa
Antonio Canaletto: "Sa. Giustina in Prà della Vale in Padua"Bild: Staatsanwaltschaft Augsburg/dpa


Beteiligung der Jewish Claims Conference

Zur Gurlitt-Taskforce werden auch zwei Fachleute der Jewish Claims Conference (JCC) gehören. Die "Conference on Jewish Material Claims Against Germany” ist ein 1951 gegründeter Zusammenschluss jüdischer Organisationen, der die Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer des Nationalsozialismus vertritt. Welche Experten das sind, steht noch nicht fest, äußerte die JCC gegenüber der DW. Dies werde intern noch geklärt. Die JCC hoffe, dass durch den Einsatz der Taskforce schnellstmöglich Klarheit herrscht.

Entscheidend sei, dass die Kunstwerke denen zugeführt würden, denen sie geraubt wurden, oder deren Erben. Die JCC habe eine große Expertise auf diesem Gebiet, unter anderem den Zugriff auf eine Datenbank, in der rund 20.000 geraubte Werke dokumentiert seien. Wenn sich die ehemaligen Besitzer nicht fänden, weil sie im Holocaust ermordet wurden, und keine Erben da sind, müssten die Erlöse im Interesse der Opfer des Holocaust verwendet werden. Ansonsten würden sie nämlich an den deutschen Staat fallen – und der sei nun einmal der Nachfolger des Systems, das die Werke damals geraubt habe.

Hildebrand Gurlitt, Vater von Cornelius Gurlitt (c) dpa - Bildfunk
Dr. Hildebrand Gurlitt (Mitte)Bild: picture-alliance/dpa

Dass die JCC an der Taskforce beteiligt wird, ist für den Kunsthistoriker Ralph Jentsch ein "gutes Zeichen, dass man die Internationalität dieses brisanten Falles erkannt hat. Auch in Israel und in den USA schlagen die Wellen hoch." Unumstritten ist die JCC allerdings nicht, sagt Rechtsanwalt Lothar Fremy: "Wenn sich Erben mit berechtigten Ansprüchen erst nach fünf oder zehn Jahren bei der JCC melden, kommt es häufig zu Problemen und rechtlichen Streitereien. Die JCC vertritt die Position: Wir machen die Regeln, nach denen die Erben, die zu spät kommen, handeln müssen. Und der deutsche Staat hat deutlich gemacht, dass er sich da nicht einmischen will."