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Der lange Flug des "Cóndor"

Marc Koch, Buenos Aires6. März 2013

Es war ein Plan, der die Verfolgung von Regimegegnern in Lateinamerika vereinfachte. Die Schicksale aufzuklären ist schwierig: Die angeklagten Ex-Generäle schweigen beharrlich zum "Plan Condor".

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Menschenrechtsorganisation erinnert an Verschwundene Argentiniens Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Ein hässlicher Bau aus Ziegelsteinen und Beton in La Floresta, einem eher bescheidenen Viertel von Buenos Aires. Der grüne Rollladen im ersten Stock ist halb heruntergelassen, das große Rolltor aus Metall ist fest verschlossen. Heute ist der Bau eine Gedenkstätte. Wer während der argentinischen Militärdiktatur (1976 – 1983) durch dieses Tor gebracht wurde, kam in der Regel nie mehr zurück: Die ehemalige Werkstatt "Automotores Orletti" war ein geheimes Festnahme- und Folterzentrum der Diktatur. Und von hier aus wurde der "Plan Condor" gesteuert.

Kooperation der Diktatoren

Der "Plan Condor" war eine Erfindung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet: Mitte der 1970er Jahre beschlossen die Gewaltherrscher von Chile, Argentinien, Brasilien, Bolivien, Paraguay, Peru und Uruguay, grenzübergreifend zusammenzuarbeiten: Regimekritiker, Oppositionelle, Linke, Kirchenleute und Gewerkschafter wurden kreuz und quer durch den südamerikanischen Kontinent gejagt. Soldaten und paramilitärischen Einheiten war es erlaubt, über die Grenzen hinweg Landsleute zu verfolgen, zu verhaften, zu foltern oder zu exekutieren. Mindestens 200 Menschen sind so verschwunden. Dass es den "Plan Condor" gegeben hat, kam 1992 durch einen Zufall ans Licht: In einer Polizeistation in Paraguay wurden Unterlagen gefunden, die die Zusammenarbeit der südamerikanischen Diktaturen belegen. Besonders eng kooperierten die Regimes der Nachbarländer Argentinien und Uruguay.

Auch deswegen sitzen jetzt auf der Anklagebank des Bundesgerichts Nummer 1 in Buenos Aires 24 Argentinier und ein Ex-Militär aus Uruguay. Die prominentesten Angeklagten sind die beiden argentinischen Ex-Diktatoren Rafael Videla und Reynaldo Bignone, beide weit über 80 Jahre alt und wegen anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu mehrfach lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Zu Einsicht oder gar Reue gelangt sind die beiden alten Männer immer noch nicht – genauso wenig wie ihre Mitangeklagten: "Sie sagen nichts zur Sache, erklären sich für unschuldig, berufen sich auf irgendwelche Versöhnungsabsprachen. Aber sie sagen nicht, was sie wissen. Nichts darüber, was sie mit den Verschwundenen gemacht haben", empört sich der Anwalt Hector Trajtenberg von der argentinischen Liga für Menschenrechte, der einige der Opfer vertritt.

Ex-Diktator Reynaldo Bignone vor Gericht in Buenos Aires Foto: Getty Images
Bignone wurde bereits zu lebenslangen Haftstrafen verurteiltBild: JUAN MABROMATA/AFP/Getty Images

Ein langer Prozess

Dennoch ist der Jurist zuversichtlich, dass in dem Prozess zumindest einige Schicksale von Verschwundenen aufgeklärt werden können. 106 Fälle werden untersucht, fast 500 Zeugen sollen aussagen – mindestens zwei Jahre wird das Verfahren dauern, schätzen die drei Richter. "Wir haben die Chance, zu verstehen, welcher Mechanismus hinter dem 'Plan Condor' steckte und was mit einigen der Verschwundenen passiert ist", sagt Anwalt Trajtenberg. Der prominenteste Fall ist der von Maria Claudia García Irureta, der Schwiegertochter des berühmten argentinischen Dichters Juan Gelman: Als sie 1976 entführt und in das Folterzentrum "Automotores Orletti" gebracht wurde, war sie im siebten Monat schwanger. Ihr Kind hat sie in einem Militärhospital in Montevideo zur Welt gebracht. Sie selbst ist bis heute spurlos verschwunden.

Die Rolle der USA

Es ist nicht das erste Mal, dass sich mutmaßliche Verantwortliche von "Condor" vor Gericht verantworten müssen: In Chile und Uruguay gab es schon Prozesse, die aber eingestellt wurden – in Chile wegen des Gesundheitszustandes des 2006 verstorbenen Ex-Diktators Pinochet, in Uruguay auf Anordnung des Obersten Gerichtshofes. Und in Brasilien werden die Verwicklungen der Diktatur in den "Plan Cóndor" von der Wahrheitskommission untersucht, die Präsidentin Dilma Rousseff gegründet hat. Noch lebende Ex-Diktatoren wie Gregorio Alvarez aus Uruguay oder Luis García Meza aus Bolivien sind in diesem Verfahren nicht angeklagt.

Auch die Rollen der USA und von Frankreich beim "Plan Condor" sollen in diesem Prozess zum ersten Mal untersucht werden. Im Jahr 2000 veröffentlichte Dokumente des amerikanischen Geheimdienstes NSA legen nahe, dass die USA von der Zusammenarbeit der Diktaturen wussten und sie zumindest duldeten. Französische Algerienveteranen sollen südamerikanische Militärs ausgebildet haben. Die Kläger-Anwältin Carolina Varsky hat bereits angekündigt: "Im Laufe des Prozesses werden noch mehr Dokumente aus den Archiven des US-Geheimdienstes bekannt werden."