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Der lange Schatten der Stasi

Marcel Fürstenau12. März 2013

Roland Jahn präsentiert seine erste Bilanz als Bundesbeauftragter für die Akten des DDR-Geheimdienstes. Es wird deutlich: Die Aufarbeitung dieses Kapitels der ostdeutschen Diktatur ist noch lange nicht vorbei.

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Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hält seinen Tätigkeitsbericht in der Hand. (Foto: Soeren Stache/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es war bereits der 11. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des DDR-Staatssicherheitsdienstes, der am Dienstag (12.03.2013) in Berlin vorgestellt wurde. Für Roland Jahn aber war es eine Premiere. Denn der frühere DDR-Bürgerrechtler amtiert erst seit 2011, die Behörde aber gibt es bereits seit der deutschen Vereinigung. Man könnte also meinen, es handelte sich um eine Routine-Veranstaltung, die alle zwei Jahre stattfindet. In diesem Rhythmus wird der Tätigkeitsbericht vorgelegt, der viele Zahlen enthält, aber auch eine Menge Wissenswertes über die Strukturen der Stasi und die Arbeit der Nachlassverwalter.

Womit Anfang der 1990er Jahre kaum jemand gerechnet hat: Das Interesse an Akten-Einsicht lässt keinesfalls nach, im Gegenteil. Wurden 2011 gut 80.000 Anträge von Privatpersonen gestellt, waren es 2012 mehr als 88.000. Jahn erklärt sich diese Entwicklung unter anderem damit, dass ältere Menschen, die in Rente gehen, sich jetzt erst die Zeit nehmen. Aber auch Jüngere wollten mehr als 20 Jahre nach dem Ende der DDR-Diktatur mehr über die Stasi und die mögliche Verstrickung ihrer Familien wissen.

"Warum habt ihr mitgemacht?"

Es gebe eine neue Generation, die frische Fragen stelle, gerade auch an ihre Eltern, so Jahn. "Warum habt ihr mitgemacht? Warum habt ihr euch angepasst? Wie konnte es dazu kommen, dass diese Diktatur so lange funktioniert hat?" Antworten erhalten Antragsteller oft erst nach zwei Jahren. Das liegt laut Jahn einerseits am Personalabbau im Zuge allgemeiner staatlicher Mittelkürzungen. Andererseits sei es zeitaufwändig, umfangreiches Aktenmaterial zu sichten und dabei auch den Datenschutz zu gewährleisten.

Journal Interview mit Roland Jahn

Roland Jahn, der selbst Stasi-Opfer ist, will die Arbeit seiner Behörde aber nicht auf die DDR-Geheimpolizei reduziert sehen. Es gehe auch darum zu begreifen, wie die Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) funktioniert habe. "Es darf nicht vergessen werden: Die SED war der Auftraggeber, und die Stasi war 'Schild und Schwert' der Partei." Diesem Selbstverständnis folgend, hatte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), wie es offiziell hieß, ein engmaschiges Spitzel-Netz über das ganze Land und darüber hinaus gelegt. Auch im Westen war die Stasi aktiv, Jahn selbst wurde nach seiner Ausbürgerung aus der DDR weiter observiert.

Jahn plädiert für "differenzierten Blick" auf IM

Die Stasi-Hinterlassenschaft ist gewaltig. Allein die schriftlichen Spitzelberichte wären 111 Kilometer lang, wenn man sie aneinanderreihen würde. Und auch 23 Jahre nach dem Ende der DDR-Diktatur sind noch nicht alle Akten erschlossen. Noch immer fördern Recherchen von Wissenschaftlern, Journalisten, aber auch Privatpersonen Erschreckendes zutage. Im vergangenen Jahr waren das unter anderem Erkenntnisse über Zwangsarbeit von Stasi-Häftlingen für den Möbel-Konzern IKEA oder heimliche Medikamenten-Tests an Inhaftierten.

Ein Thema liegt Behörden-Chef Jahn besonders am Herzen, betonte er bei der Vorstellung seines Tätigkeitsberichts: Denunziation. "Wir wollen Verrat in der DDR qualitativ untersuchen", kündigte der ehemalige Journalist an. Dabei geht es ihm um einen "differenzierten Blick" auf die Rolle der Informellen Mitarbeiter (IM) des Staatssicherheitsdienstes. Jahn will wissen, "warum sich jemand mit der Stasi eingelassen hat". So könne man das Phänomen besser begreifen als mit Statistiken und Etiketten, "auf denen IM steht".     

Ein Mitarbeiter der Bundesbehörde für die Stasiunterlagen zieht eine Akte aus einem Regal (Foto: picture-alliance/Bildarchiv)
Die Stasi-Akten füllen mehr als 100 Regal-KilometerBild: picture-alliance/Bildarchiv

"Wir bewerten Akten, keine Menschen"

Das Stichwort "IM" ist in Deutschland ein Reizwort und gerade wieder aktuell. Zum wiederholten Male geht es dabei um den Linken-Politiker Gregor Gysi. Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion war zu DDR-Zeiten einer von wenigen hundert Anwälten. Schon kurz nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 wurden Vorwürfe laut, er habe Mandanten an die Stasi verraten.

Quelle dieser Anschuldigungen waren stets Unterlagen aus der nun von Jahn geleiteten Behörde. In seiner Zeit als Journalist hat der 59-Jährige kritisch über Gysis vermeintliche Stasi-Verstrickungen berichtet. Als vom Parlament gewählter Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen-Behörde ist er zur Neutralität verpflichtet. Entsprechend reagiert Jahn auf die Bitte, eine Einschätzung zum Fall Gysi zu geben: "Wir bewerten Akten, wir bewerten keine Menschen."