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Der letzte deutsche Kaiser

Yvonne Schymura24. Juni 2013

Vor 125 Jahren bestieg Wilhelm II. den Thron. Der letzte Kaiser führte Deutschland in den Ersten Weltkrieg und liebäugelte mit den Nationalsozialisten. Bis heute sehen einige in ihm einen frühen Nazi.

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Kaiser Wilhelm II (1859-1941). Portrait 1911. (Copyright: Mary Evans Picture Library)
Bildergalerie Kaiser Wilhelm II.Bild: picture-alliance/akg-images

Bei Facebook hat Kaiser Wilhelm II. 821 Fans. Auf seiner Seite findet sich Kurioses über seine Urenkel und Literaturhinweise zu seiner Person. Er ist kein aktiver User. Sein letzter Eintrag war vor über einem Jahr. Offenbar hat er schnell das Interesse verloren. Das passt. Schon den Zeitgenossen galt Wilhelm als unbeständig und launisch.

Wilhelm II. war der letzte deutsche Kaiser. Vor 125 Jahren bestieg er den Thron. Bis zu seiner Abdankung im Herbst 1918 erlebte Deutschland eine technische, wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit – und Wilhelm II. repräsentierte diesen Fortschritt. Schon seinen Zeitgenossen galt er als wissensdurstig und technikbegeistert. Er interessierte sich für Film und für Luftfahrt, liebte die Marine und war ein Fan des Automobils. Gleichzeitig aber steht sein Name für die Abgründe deutscher Geschichte: für eine außenpolitische Isolierung, den Ersten Weltkrieg, für Imperialismus und Militarismus. Er gilt darum als Wegbereiter des Nationalsozialismus, als Ausgangspunkt für die katastrophalen Ereignisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Versammelte Berliner Bürger warten am 01.08.1914 auf eine bevorstehende Rede des deutschen Kaisers Wilhelm II vor dem Stadtschloss in Berlin. Der Kaiser sprach kurz darauf zum Kriegseintritt Deutschlands und verkündete die allgemeine Mobilmachung.
Kaiser Wilhelm II am 1.8.1914 vor dem Berliner Stadtschloss. Kurz darauf verkündete er die allgemeine Mobilmachung zum deutschen KriegseintrittBild: picture-alliance/dpa

"Kaiser Wilhelm II. war ein widersprüchlicher Charakter", sagt der Historiker Ewald Frie. "Er war unfähig, ein politisches Konzept zu entwickeln und beizubehalten. Seine politischen Strategien waren kurzlebig." Einerseits wollte er ein Kaiser des Volkes sein, setzte sich für soziale Reformen und den Arbeitsschutz ein. Andererseits hielt er am Dreiklassenwahlrecht fest, einem Verfahren, das reiche Wähler deutlich begünstigte.

Prunkvolle Auftritte in Uniform, seine Freude an Militärparaden, außenpolitisches Säbelrasseln – dafür war er bekannt. Wilhelms Erzieher, Georg Hinzpeter, soll gesagt haben: "Zum Repräsentanten taugt er, sonst kann er nichts (...) Er hätte Maschinenschlosser werden sollen."

'Guerre 1914 / L'apache!' Wilhelm II., deutscher Kaiser (1888- 1918); 1859-1941. / - 'Guerre 1914 / L'apache!' (Französche Propaganda- postkarte mit Karikatur Wilhelms II. als Ganove). - Farblithographie, 1914. (Copyright: E.Collet)
Eine französische Propaganda-Postkarte von 1914 zeigt den deutschen Kaiser als GanovenBild: picture-alliance/akg-images

Der Kaiser selbst zweifelte offenbar nicht an seinen politischen Fähigkeiten. "Einer nur ist Herr im Reich, keinen anderen dulde ich." So lautet einer von Wilhelms bis heute berühmten Aussprüchen. Seine Rhetorik prägt das Kaiserbild bis in die Gegenwart. Zu Lebzeiten sorgten seine Reden immer wieder für Konfrontationen mit den europäischen Großmächten. Die Liste seiner außenpolitischen Verfehlungen ist lang: Die vorschnelle Anerkennung der Souveränität Marokkos erzürnte die Franzosen. Die Flottenaufrüstung belastete das Verhältnis zu Großbritannien. Das Deutsche Reich geriet zunehmend in die Isolation.

In Hinblick auf den Ersten Weltkrieg dürfe man die Bedeutung Wilhelms II. jedoch nicht überschätzen, meint der Historiker Ewald Frie. "Nicht der Kaiser hat das Deutsche Reich in den Ersten Weltkrieg getrieben. Deutschland war eine Nation, die mit ihrer Stellung im außenpolitischen System unzufrieden war und deren Eliten in weiten Teilen hinter dem Ziel der Machterweiterung standen. Auch wenn das die Konfrontation mit anderen Großmächten bedeutete." Er setzt hinzu: "In der Julikrise 1914 war Wilhelm II. kein entscheidender Akteur. Er versuchte sogar kurzfristig, die sich schnell aufbauende Spannung zu mildern."

Wilhelm II.(1859-1941). mit seiner Frau Kaiserin Augusta Victoria im niederländischen Exil in Doorn, 1920. (Copyright: ullstein bild - Granger Collection)
1918 floh Wilhelm II mit seiner Frau Augusta Viktoria in die NiederlandeBild: ullstein bild - Granger Collection

Als Philipp Scheidemann im November 1918 aus dem Fenster des Reichstags die Republik ausrief, war Wilhelm II. schon auf dem Weg ins Exil. In Holland wartete er lange auf die Restauration der Monarchie. Auch die Nationalsozialisten wären ihm als Gehilfen recht gewesen. Sigurd von Ilsemann, ein Vertrauter des Königs, berichtete darüber in seinem Tagebuch. Zwei Mal erhielt Wilhelm II. Besuch vom späteren Gestapo-Gründer und Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe Hermann Göring. Wilhelm II. als Wegbereiter des Nationalsozialismus auszumachen, ist trotzdem nicht ohne Weiteres möglich. Der Historiker Ewald Frie erklärt: "Wilhelm II. beförderte nicht aktiv faschistische Ideen. Er ist aber jemand, der durch seine Rhetorik die Tore zum Nationalsozialismus öffnete." Vor ihrer Abreise zum Kampfeinsatz im chinesischem Boxeraufstand rief er seinen Soldaten zu: "Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen. Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht!" Martialische Worte.

Und so wird Wilhelm II auch heute noch von rechten Gruppierungen zum Vorbild verklärt. Die Facebook-Präsenz Kaiser Wilhelm II verweist zum Beispiel immer wieder auf Internetseiten, die subtil rechtes Gedankengut verbreiten und von denen wiederum kommentarlos auf rechte Internetportale und Onlinmagazine verlinkt wird. 

Dass Wilhelm II. bei Facebook seit über einem Jahr nichts mehr gepostet hat, erscheint in diesem Zusammenhang fast beschwichtigend. Immerhin der virtuelle letzte deutsche Kaiser straft rechtes Gedankengut mit Schweigen.