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KonflikteIsrael

Der Libanon, die Hisbollah und die Angst vor einem Krieg

Veröffentlicht 29. Juli 2024Zuletzt aktualisiert 25. August 2024

Die große Mehrheit der Menschen im Libanon ist gegen einen Krieg mit Israel. Die Entscheidung darüber wird indes von der Hisbollah und der israelischen Regierung getroffen. Ein Krieg würde das Land hart treffen.

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Brennendes Gebäude in der Region Schebaa im Süden des Libanon
Israelischer Luftschlag: Brennendes Gebäude in der Region Schebaa im Süden des LibanonBild: Ramiz Dallah/Anadolu/picture alliance

Lange war der Vergeltungsschlag erwartet worden, mit dem die schiitische Miliz Hisbollah auf die Tötung ihres Militärchefs Fuad Schukr durch einen israelischen Luftangriff reagieren wollte. An diesem Sonntag hat er stattgefunden und er konnte offenbar abgewehrt werden. Hauptziel des Einsatzes sei der israelische Armeestützpunkt Glilot gewesen, sagte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah am Sonntag in einer Fernsehansprache. Auf der Militärbasis befindet sich laut israelischen Medien auch der Sitz des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad.

Getroffen wurde der Stützpunkt nach Angaben eines Sprechers der israelischen Armee jedoch nicht. Auch die anderen der - nach Hisbollah-Angaben - mehr als 300 Raketen und Drohnen haben offenbar keinen größeren Schaden verursacht. Nasrallah gab an, die Hisbollah habe bewusst nur militärische Ziele gewählt, um die Waffenstillstandsverhandlungen zum Gaza-Krieg zwischen Israel und Hamas nicht zu gefährden und auch, um einen ausgewachsenen Krieg mit Israel zu vermeiden.

Die Hisbollah wird von den USA, Deutschland und anderen westlichen Staaten als Terrororganisation eingestuft. Sie wird vom Iran unterstützt. Die EU listet den bewaffneten Flügel der Hisbollah als Terrorgruppe.

Libanon: Neuanfang nach Bombenangriff

Nächte sicherheitshalber außer Haus verbringen

Tatsächlich herrschten im Süden des Libanon an der Grenze zu Israel schon länger kriegsähnliche Zustände, wie es Michael Bauer, Leiter des Beiruter Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, bereits Ende Juli der DW schilderte. Auch in anderen Landesteilen greife die israelische Armee immer wieder Ziele der Hisbollah an.

"Die große Befürchtung der Libanesen ist jetzt natürlich, dass sie in eine neue Phase dieser Auseinandersetzungen eintreten könnten." Sie hätten Angst, dass die israelische Armee weitere Ziele auswähle und andere Waffensysteme einsetze.

Blick auf den Flughafen von Beirut
Unregelmäßiger Verkehr: Flüge zum Flughafen von Beirut werden gestrichenBild: Mohamed Azakir/REUTERS

Eine junge Libanesin, die anonym bleiben wollte, erklärte der DW, sie habe mehrere Nächte außerhalb ihres Stadtviertels Dahieh verbracht, weil es von der Hisbollah beherrscht werde. Eine andere Libanesin aus Beirut sagte der DW, sie mache sich Sorgen um einen Teil der Familie, der im Süden des Landes lebe.

Schwacher Staat, geschwächte Gesellschaft

Sollte sich der Konflikt ausweiten, träfe er einen ohnehin schwachen Staat. Dieser ist laut einem Report der Weltbank zufolge massiv verschuldet. Die Verbindlichkeiten liegen bei 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (2023: 201 Prozent). Die Armutsrate hat sich einem weiteren Report der Weltbank zufolge im vergangenen Jahrzehnt verdreifacht. Im Jahr 2024 leben demnach 44 Prozent der Libanesen unterhalb der Armutsgrenze. Immerhin könnte die Inflation in diesem Jahr zurückgehen, nämlich von 221 Prozent im vergangenen auf 83 Prozent im laufenden Jahr 2024. 

Seit Jahren erweist sich der libanesische Staat als nicht oder nur wenig handlungsfähig. Seine Schwäche zeigte sich etwa im August 2020 bei der gewaltigen Explosion von 2750 Tonnen Ammoniumnitrat in einem Lagerraum im Hafen von Beirut, die weite Teile der Stadt zerstörte. Mehr als 200 Menschen wurden bei dem Unglück getötet, über 6500 verletzt. Mehr als 30.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Jahrelang hatten die libanesischen Behörden zuvor verschlampt, die als gefährlich geltenden Chemikalien an einen sicheren Ort zu transportieren.

Weitere Belastungen kommen aus den Nachbarländern. So haben rund 1,5 Millionen Syrer im Libanon Schutz vor dem Krieg in ihrer Heimat gesucht. In dem Zedernstaat leben bereits eine Viertelmillion palästinensischer Flüchtlinge, zum Teil seit Jahrzehnten, in Lagern. 

Israels Norden wird Niemandsland

Dass die Konfrontation zwischen Israel und Hisbollah nun weiter eskalieren könnte, wirkt sich bereits auf den Libanon aus. Internationale Airlines haben ihre Flugverbindungen nach Beirut ausgesetzt oder ganz eingestellt. "Hinzu kommen Verschärfungen internationaler Reisewarnungen oder nachdrückliche Wiederholungen bereits bestehender Reisewarnungen." Das Auswärtige Amt in Berlin hat alle Deutschen aufgefordert, den Libanon zu verlassen.

Gefahr für die letzte funktionierende Infrastruktur

Bereits vor Monaten hatte der ehemalige Wirtschaftsminister und Vizegouverneur der libanesischen Zentralbank, Nasser Saidi, vor einem Ausstrahlen des Israel-Hamas-Krieges auf den ganzen Libanon gewarnt. "Die wirtschaftliche Lage würde sich rasch verschlechtern", sagte er der Zeitung "The National" in Abu Dhabi. Wenn die Lage eskaliere, würde womöglich die verbleibende Infrastruktur inklusive der Häfen und des Flughafens zerstört. "Diese sind angesichts der hohen Abhängigkeit des Landes von der libanesischen Diaspora die wirtschaftliche Lebensader des Landes."

Sollte sich der Konflikt ausweiten, dürfte dies katastrophale Folgen haben, heißt es auch in einer Analyse des Washingtoner Thinktanks Atlantic Council vom Juli dieses Jahres. Das könnte eine Rückkehr zu den "dauernden Kriegen" bedeuten. Auch könnten sich vom Iran unterstützte Kämpfer aus der gesamten Region der Hisbollah anschließen, was den Konflikt noch komplexer und riskanter machen würde.

Im Zentrum dieser Spannungen stünde der Libanon. Und der sei ganz sicher nicht in der Lage, eine weitere Krise oder gar einen Krieg mit Israel zu verkraften, sagt Michael Bauer.

Mitarbeit: Rola Farhat, Beirut.
Dieser Artikel vom 29. Juli wurde nach den jüngsten Raketenangriffen der Hisbollah aktualisiert.

Rückt Israel in den Libanon ein?

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika