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Politischer Müll

Juliane Metzker, Beirut26. August 2015

Die Müllkrise im Libanon treibt Tausende auf die Straßen. Die Wut entlädt sich vor allem an der Regierung, die das Land in eine politische Krise führte. Aus Beirut berichtet Juliane Metzker.

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Bild: DW/B.Barraclough

Es ist Sonntagabend in der libanesischen Hauptstadt Beirut. In Downtown, einem Luxusviertel im Pariser Stil, flaniert meist nur die Upperclass. An diesem Wochenende aber versammeln sich dort Tausende Libanesen aus unterschiedlichen Stadtteilen und Schichten. Am zweiten Tag in Folge ziehen sie vor den Regierungssitz des libanesischen Premierministers. In Sprechchören rufen sie: "Das Volk will den Sturz des Regimes" und "Revolution, Revolution!" - Parolen, die vor über vier Jahren auch in Ländern wie Ägypten, Tunesien und Syrien in den Straßen widerhallten.

"Ich bin heute hier, weil ich es satt habe, dass unser Land von korrupten Politikern regiert wird. In so einem Libanon will ich meine Kinder nicht großziehen. Es muss sich etwas verändern und, wenn es sein muss, werde ich dafür jeden Tag demonstrieren", sagt die 20-jährige Studentin Lea. Ihr Freund Ayman hält ein Plakat mit einem schwarz-weiß Foto aus dem Beirut der 40er hoch, das einst die "Schweiz des Nahen Ostens" genannt wurde. "Damals war alles besser", behauptet er.

Nostalgie versus Realität: Hinter Lea und Ayman steht ein Trupp von Polizisten mit Schutzschildern. Stacheldraht trennt sie von den Demonstranten. Einen Tag zuvor kam es hier zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. "Wir fordern die Leute auf, friedlich zu demonstrieren. Wir sind zwar auf Konfrontationskurs, aber wollen eine gewaltfreie Konfrontation", sagt Hussein Itani, einer der Organisatoren des Protests.

Stacheldraht und eine Gruppe von Menschen copyright: J. Metzker
Die Zeichen stehen auf Konfrontation in einem Land das einst als die "Schweiz des Nahen Ostens" galtBild: DW/J. Metzker

Ausschreitungen bei Demonstrationen

Warum demonstrieren die Libanesen? Als Katalysator gilt die Müllkrise in Beirut# und Umgebung. Ende Juli schloss die für die Hauptstadt zuständige Mülldeponie aufgrund von Überfüllung. Seitdem stapelt sich der Abfall in einigen Vierteln auf den Straßen oder wird auf provisorischen Müllhalden zwischengelagert. Dass es überhaupt soweit kam, dafür machen die Libanesen ihre Regierung verantwortlich, die sich nicht rechtzeitig um eine Alternative kümmerte.

Die aktuelle Krise zeigt, wie ineffizient das politische System im Libanon tatsächlich ist. Seit dem Beginn des Syrienkrieges ächzt der Viermillionenstaat unter der Flüchtlingswelle aus dem Nachbarland. Mehr als 1.1 Millionen syrische Flüchtlinge sind beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen im Libanon registriert. Die Dunkelziffer soll weit höher liegen. Seitdem rationieren die staatlichen Werke Wasser und Elektrizität noch stärker als zuvor.

Geld stinkt nicht

Und anstatt nach Lösungen zu suchen, stehen immer wieder Politiker in der öffentlichen Kritik, die sich an der Not der Bevölkerung bereichern. Im Falle der Müllkrise meldeten libanesische Medien, dass einige Lokalpolitiker scheinbar gutes Geld damit verdienten, provisorische Deponien in ihren Kommunen anzumelden, den Abfall aber häufig woanders abzulagern. Pro Tonne entsorgtem Müll kann man im Libanon so noch eine stolze Summe von bis zu 180 US-Dollar kassieren.

Über die infrastrukturellen Probleme hinaus, sind die Fronten im Parlament verhärtet. Der Grund: die Entscheidung der vom Iran gestützten Hisbollah-Miliz, in Syrien an der Seite des Assad-Regimes zu kämpfen. Die von Saudi-Arabien unterstützte Opposition verurteilte den Alleingang der schiitischen Kräfte scharf. Über das Zerwürfnis stagniert die politische Entscheidungsfindung: Seit dem Amtsende des Präsidenten Michel Suleiman im Mai 2014, konnten sich die Abgeordneten nicht auf einen Präsidentschaftskandidaten einigen.

Im Libanon muss das Staatsoberhaupt nach dem Proporzgesetz immer ein Christ sein. Nach etlichen erfolglosen Wahlgängen blockieren christliche Minister die Abstimmungen im Kabinett. Somit ist die Regierung, die während einer vakanten Präsidentschaft den Konsens aller Parteien braucht, weitgehend paralysiert. Premierminister Tammam Salam drohte bereits mit einem Rücktritt, sollten sich die Minister auch einer Lösung der Müllkrise verweigern. Tatsächlich scheiterte die Kabinettssitzung zu diesem Brennpunkt am Dienstag.

Sollte Salam wirklich abtreten, wäre das Politdrama perfekt. Alleine der Präsident kann einen neuen Premierminister ernennen. Damit wäre offen, wohin der Libanon politisch steuert. Beobachter befürchten, dass sich das in der Konstitution festgelegte Machtverhältnis zwischen Christen, Sunniten und Schiiten deutlich verschieben könnte.

"Ihr stinkt"

Menschen halten Plakat hoch Copyright: B. Barraclough
Libanesen wollen ein sauberes Land - nicht nur im wörtlichen SinnBild: DW/B.Barraclough

Die Wut auf die Politiker ist groß: "Der politische Müll ist nicht recycelbar", schreibt die zivilrechtliche Organisation "Ihr stinkt" auf Facebook, die sich während der Müllkrise gründete. Ihnen "stinken" vor allem die konfessionellen Interessen und die damit verbundenen Machtspiele auf dem politischen Parkett. Sie fordern die Libanesen auf, Hand in Hand gegen die Regierung auf die Straßen zu gehen.

Doch wer sich unter den Demonstranten umhört, bekommt schnell den Eindruck, dass sie sich über die Ziele ihres Aufbegehrens nicht ganz einig sind: Die einen brauchen dringend Elektrizität und Wasser, die anderen wollen Transparenz in politischen Entscheidungsprozessen. Die "Ihr stinkt"-Kampagne definierte in einer Pressekonferenz ihr Hauptanliegen neu: der Rücktritt des Umweltministers Mohammad Machnouk und Neuwahlen des Parlaments, das sein Mandat bereits zweimal verfassungswidrig verlängerte.

Am kommenden Samstag wollen sie wieder demonstrieren und weltweit rufen Auslandslibanesen zu Solidaritätskundgebungen auf. Die Organisatoren planen einen friedlichen Protestzug. Denn die Bewegung droht, in ein schlechtes Licht zu rücken: Seit dem Wochenende kam es jeden Abend zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Vermummten und Sicherheitskräften.