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Der mit den Worten spielt

Susanne Dickel 3. Juli 2014

Der haitianische Autor eckt gern an: Mit seinen Büchern über Rassismus, Ausgrenzung und Sexualität. Der Internationale Literaturpreis könnte Laferrière auch in Deutschland bekannt machen.

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Dany Laferrière
Bild: DW/S. Dickel

Dany Laferrières Heimatstadt? Da muss er nicht lange überlegen: "Berlin. Für vier Tage." Er grinst. Sich Zuhause fühlen, das kann der Haitianer überall. Vielleicht muss man das können, wenn man solch eine Geschichte hat: Mit 23 Jahren flieht der heute 61-Jährige vor dem Regime des Diktators Jean-Claude Duvalier, genannt Baby Doc, von Haiti ins kanadische Montréal. Später wohnt Laferrière einige Zeit in Miami, 2002 kehrt er zurück nach Montréal, wo seine Frau und seine Kinder leben. Aber auch dort verbringt er nicht viel Zeit. "Mein Zuhause ist das Flugzeug", sagt er. Der Autor ist viel auf Reisen, präsentiert überall auf der Welt seine Bücher. "Natürlich vermisse ich meine Familie. Aber ich liebe es, Menschen in anderen Ländern zu treffen. Ich liebe es, Neues kennenzulernen.“

Nun also Berlin. Hier erhält Laferrière, ein großer, ruhiger Mann mit einer Stimme wie ein Reibeisen, am Donnerstag (03.07.2014) den diesjährigen Internationalen Literaturpreis für sein Buch "Das Rätsel der Rückkehr". "Wir haben es ausgewählt, weil es ein sehr persönliches Buch ist", erklärt Jury-Mitglied Sabine Peschel von der Deutschen Welle die Entscheidung. "Es geht um Verlust, Tod, Konfrontation, um das Leben in seinen existenziellsten Formen." Und es geht um Heimat. In dem Buch beschreibt Laferrière seine Rückkehr in das Land seiner Geburt. Auslöser dafür ist die Nachricht vom Tod seines Vaters. Der ging ins Exil, als Dany, der eigentlich wie sein Vater Windsor heißt, erst vier Jahre alt war. Laferrière macht sich auf den Weg nach Port-au-Prince, um seiner Mutter den Tod ihres Mannes beizubringen. Und obwohl er nie eine Beziehung zu seinem Vater aufbaute, begibt er sich auf dessen Spuren, trifft alte Freunde seines Vaters, reist bis in dessen Geburtsort. Bei seiner Reise bemerkt Laferrière aber auch, dass er sich nach 30 Jahren im Exil von seinem Land entfremdet hat:

Buchcover Dany Laferriere Das Rätsel der Rückkehr

Jedes Detail, das mir auffällt,

ohne dass die anderen es bemerken,

bringt den neuen Beweis,

dass ich nicht mehr hierher gehöre.

Die Erzählung wechselt zwischen Lyrik und Prosa und entwickelt dabei einen ganz eigenen Rhythmus. Auch das ein Grund, weshalb die Entscheidung für den Preis am Ende auf dieses Buch fiel.

Das erste Buch - sein zweiter Geburtstag

"Alles in dem Buch stimmt. Es ist wie ein Foto von der Situation in Port-au-Prince. Vielleicht hat nicht alles an genau diesem oder jenem Tag stattgefunden, aber die Details sind alle wahr", sagt Laferrière. Trotzdem sei das Buch nur bedingt persönlich. Eigentlich erzähle er eher die Geschichte der Haitianer, die wie er ins Exil gegangen sind. Als junger Mann arbeitete er als Journalist in Port-au-Prince.

Dany Laferrière
Laferrière ist Mitglied der Académie FrançaiseBild: CHRISTOPHE BEAUREGARD/GRASSET

Doch 1976 ermordeten die Tontons Macoutes, die Milizen des Diktators François Duvalier, einen Kollegen und Freund und Laferrière floh nach Kanada. Einen Job als Journalist fand er nicht und schlug sich acht Jahre als Fabrikarbeiter durch. Nebenbei schrieb er das Buch, das sein Leben veränderte. Der ironische und zugleich bittere Titel: Comment faire l'amour avec un nègre sans se fatiguer (Auf Deutsch: "Wie man mit einem Neger Liebe macht, ohne müde zu werden"). 1985 stand es in den Buchläden. "Das war wie ein zweiter Geburtstag", erinnert er sich. Das Debüt verkaufte sich gut und machte Laferrière schnell bekannt, ganz so, wie er es beim Schreiben erhofft hatte: "Ich habe davon geträumt, dass ein Mädchen zu mir sagt: Ach, du bist der Autor? Wie bei einem Rockstar." Heute lacht er über seine jugendliche Begierde nach Ruhm. "Am Ende schreibst du, weil du ein Schriftsteller bist."

Nach seinem Erfolg schreibt er rasch weiter, vor allem über Ausgrenzung und den Versuch, diese zu überwinden. Dabei geht es oft auch um Sex. Zum Beispiel in dem Roman Vers le Sud (Auf Deutsch: "In den Süden"), in dem es um Sextourismus geht: ältere weiße Frauen, die im Süden nach Liebesabenteuern mit jungen Schwarzen suchen. Der Roman wurde 2006 mit Charlotte Rampling in der Hauptrolle verfilmt. Mit seiner Ironie und seinen Provokationen eckt Laferrière oft an. Trotzdem haben sie ihn zu einem Unsterblichen gemacht. So nennen sich die Mitglieder in der Académie Française, die sich um die Pflege der französischen Sprache kümmern. Als erster Haitianer und erster Quebecer wurde Laferrière 2013 in die Akademie gewählt.

Start für eine Karriere in Deutschland?

Trotz seiner Erfolge wird er in Deutschland aber kaum wahrgenommen. "Ohne Übersetzung werden Werke von ausländischen Autoren hier kaum bekannt", bedauert Beate Thill. Sie hat Das Rätsel der Rückkehr übersetzt, es ist das erste Buch Laferrières, das auf Deutsch erscheint. Mit dem Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt wird auch die Arbeit der Übersetzerin gewürdigt. "Das macht den Menschen vielleicht bewusst, dass man nicht einfach den Schalter umlegt und dann sprudeln die Worte auf Deutsch. Man muss die Tonlage treffen. Bei Laferrière zum Beispiel dieses Heitere, Leichtfüßige, Witzige", sagt Thill. Der Autor selbst ist zufrieden mit ihrer Arbeit: "Ich habe volles Vertrauen in sie gesetzt. Übersetzungen machen ein Buch am Ende reicher."

Die Preisverleihung sieht er als Zeichen: "Vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, dass sich die Deutschen für das Leben eines Haitianers, eines Quebecers interessieren." Ob es aber tatsächlich das Bild der Menschen von Haiti verändern wird? Da ist Laferrière sich nicht sicher. "Bei dem schweren Erdbeben vor vier Jahren haben alle gesagt, jetzt sehen wir Haiti als neues Land. Und zwei Jahre später haben sie sich nur noch an den Jahrestag erinnert." Er selbst war während des Bebens gerade im Land. Seine Erfahrungen verarbeitete er in dem Buch Tout bouge autour de moi (Auf Deutsch: "Alles schwankt um mich herum"). Am Ende will er mit seinen Schriften ohnehin nicht die Welt verändern: "Ich bin Schriftsteller, weil ich es mag, mit Worten zu spielen. Ich will meinen armen kleinen Büchern nicht zu viel Verantwortung geben."