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Politik

Der Mord an Giulio Regeni: ein offener Fall

17. Dezember 2020

Anfang 2016 wurde der Italiener Giulio Regeni in Kairo getötet. Die italienische Staatsanwaltschaft beschuldigt die ägyptischen Sicherheitsbehörden der Tat. Die bestreiten das. Nun geht der Fall in eine neue Runde.

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Der Fall Giulio Regeni
Bild: Michele Amoruso/Pacific Press/picture alliance

Ärger für die ägyptische Justiz: Sie hatte Ende November dieses Jahres erklärt, die Untersuchungen zum Tod des jungen italienischen Politikwissenschaftlers Giulio Regeni im Januar 2016 würden eingestellt. Gut anderthalb Wochen später trat nun der italienische Premier Giuseppe Conte in Brüssel mit einer Erklärung an die Presse. Es gebe wichtige Informationen, die es erlaubten, in Italien einen Prozess um den Tod Giulio Regenis zu eröffnen, des jungen Wissenschaftlers, der mutmaßlich von ägyptischen Sicherheitsbehörden entführt, gefoltert und schließlich getötet wurde. Es gebe "ein Gerüst von Beweisen", so Conte. 

Giulio Regeni hatte im Herbst und Winter 2015/16 in Kairo zur Geschichte unabhängiger Gewerkschaften geforscht. Die ägyptischen Behörden verdächtigten ihn, einen Aufstand anstacheln zu wollen. Womöglich, vermuteten sie, stehe Regeni gar in Diensten der CIA oder des Mossad. Nach bisherigem Erkenntnisstand wurde der Politologe am 25. Januar 2016 von vier Mitarbeiten ägyptischer Sicherheitsbehörden entführt. Am 3. Februar wurde seine Leiche am Stadtrand von Kairo aufgefunden. Der Leichnam wies Spuren schwerster Misshandlungen auf.

"Eine dunkle Zeit"

Die italienischen Behörden beschuldigten Ägyptens Nationale Sicherheitsagentur, die oberste Sicherheitsbehörde des Landes, für den Tod des jungen Mannes verantwortlich zu sein. Die ägyptische Regierung bestritt die Vorwürfe bis zuletzt. Noch vor wenigen Tagen bezeichnete sie die von den italienischen Behörden vorgelegten Indizien und Beweise als "ungenügend". Sie gehe davon aus, das eine "kriminelle Bande" für das Verbrechen verantwortlich sei. Klärung soll nun der neue Prozess bringen.

"Ägypten befand sich damals wie heute in einer dunklen Zeit" sagt der Politologe Arturo Varvelli, Leiter des römischen Büros des "European Council on Foreign Relations" (ECFR). "Rechtsstaatlichkeit und Grundfreiheiten sind bis heute nicht gewährleistet. Das Regime ist sehr ängstlich und vermag nicht zu unterscheiden, was eine echte Bedrohung ist und was nicht. Vielleicht hatte Regeni einen zweifelhaften Eindruck auf das Regime gemacht, aber dessen Reaktion war gewalttätig, dumm, kriminell und kontraproduktiv, da sie die Beziehungen zu einem befreundeten Land wie Italien beschädigte."

Der Fall Giulio Regeni
Auch am vierten Jahrestag der Ermordung Giulio Regenis im Januar 2020 forderten Demonstranten in Rom AufklärungBild: Michele Amoruso/Pacific Press/picture alliance

"Unwiderlegbare Beweise"

Tatsächlich hatte der Fall für schwere diplomatische Verstimmungen zwischen Italien und Ägypten gesorgt. Die Regierung in Rom hatte der in Kairo wiederholt vorgeworfen, den Fall verschleppen zu wollen. Bewegung in die Aufklärung kam erst im April 2016, als Italien seinen Botschafter aus Ägypten abzog. Im Spätsommer 2018 entsandte Italien wieder einen Botschafter nach dorthin.

Von da an zeigte sich die ägyptische Regierung wieder wenig kooperativ. Die Gespräche mit Kairo seien bis zuletzt "schwierig, mühsam und komplex", so der italienische Staatsanwalt Michele Prestipino in einem Pressegespräch. So blieben 39 von 64 Fragen der italienischen Behörden ohne Antwort.

Die ägyptische Regierung habe sich erstaunlich schlecht verhalten", sagt Arturo Varvelli. "Hätte sich das Regime nicht von vornherein der Zusammenarbeit verschlossen, hätte ein anderes Ergebnis erzielt werden können. Die Unfähigkeit des Regimes, auch nur einen einzigen Sündenbock innerhalb der Sicherheitskräfte anzubieten, zeigt, wie schwach die Führung von Präsident al-Sisi ist."

Ägyptens Präsident al-Sisi für zweite Amtszeit vereidigt
Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi steht wegen der schleppenden Aufklärung des Falls Regeni in der KritikBild: picture-alliance/Xinhua/MENA

"Ich sah, dass sein Rücken gerötet war"

Dennoch gelang es der italienischen Staatsanwaltschaft, mehrere nicht unter ihrem echten Namen genannte Zeugen aus dem Umfeld der Sicherheitsbehörden zu befragen. Die italienische Zeitung "Corriere della Sera" berichtet, dass einer der Männer mitbekommen habe, wie Regeni im Gebäude der Nationalen Sicherheitsagentur verhört wurde: "Er war oben halbnackt, trug Folterspuren und brabbelte Worte in seiner eigenen Sprache, im Delirium. [...] Er lag flach auf dem Boden, mit dem Gesicht nach unten. [...] Er war mit Handschellen gefesselt, die ihn am Boden hielten. [...] Ich sah, dass sein Rücken gerötet war."

Der Tod von Giulio Regeni, so die Staatsanwaltschaft weiter, gehe nicht auf die Folter selbst zurück, sondern war Folge einer "autonomen Handlung, die durch den Willen eines seiner Peiniger bestimmt war". In anderen Worten: Regeni wurde bewusst ermordet.

Der Fall Giulio Regeni
Stiller Akt: Die Beisetzung Giulio Regenis in Italien im Februar 2016Bild: Diego Petrussi/AFP/Getty Images

Abbruch der diplomatischen Beziehungen?

Mit Blick auf den bisherigen Verlauf der Ermittlungen zog die linksliberale Tageszeitung "Il fatto quotidiano" am Montag dieser Woche ein düsteres Fazit. Er vermisse den Willen der italienischen Politik, den Fall rückhaltlos aufzuklären, so der Kommentator der Zeitung. Die Gründe vermutet er in dem Umstand, dass die politischen und geostrategischen Beziehungen zu Ägypten zu wichtig seien, um durch die rigorose Aufarbeitung des Mordes nachhaltig gestört zu werden. Dies gelte aber nicht allein für Italien, sondern für sämtliche EU-Staaten. "Von einem solchen Italien und einem solchen Europa können wir darum keine Gerechtigkeit erwarten, weder für Giulio Regeni und seine Familie, noch für die ägyptische Bevölkerung."

Ausgestanden ist der Fall weder juristisch noch diplomatisch. Ende der vergangenen Woche resümierte Roberto Fico, der Vorsitzende der italienischen Abgeordnetenkammer, die Haltung der Deputierten. Diese, zitiert ihn die Zeitung "La Stampa", plädierten für eine Einstellung der diplomatischen Beziehungen zu Ägypten.

"Es bräuchte eine mutige Entscheidungen dieser Regierung" sagt auch Arturo Varvelli vom ECFR. "Aber bisher war sie nicht mutig. Es bräuchte die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern. Stattdessen sehen wir Auszeichnungen und Preise für al-Sisi."

Erst vor wenigen Tagen hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem ägyptischen Staatschef trotz scharfer Kritik von Menschenrechtlern das Große Kreuz der Ehrenlegion, Frankreichs höchste Auszeichnung, verliehen. Anfang dieses Jahres hatte al-Sisi bereits den St.-Georgs-Orden des Dresdner Semperopernballs bekommen - auch diese Auszeichnung hatte für viel Kritik gesorgt.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika