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Der Mundschutz - mehr als ein Stück Stoff

28. April 2020

In Asien gehört der Mundschutz schon lange zum Alltag. In Deutschland hingegen tun wir uns schwer damit, die Corona-Schutzmaske zu akzeptieren. Doch woher kommt diese Skepsis gegenüber einem Stück Zellstoff?

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China Peking Smog Mundschutz Frau
Bild: Reuters/Kim Kyung-Hoon

In dem Roman "Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln" wird die gleichnamige Hauptfigur, ein traditioneller japanischer Töpferofenbauer, in ein Krankenhaus in Schleswig-Holstein eingeliefert. Als er sich dort wie selbstverständlich seinen Mundschutz aufsetzt, verursacht das großes Entsetzen: Während Herr Yamashiro die anderen Patienten schützen will, weil er das Gefühl hat, dass bei ihm eine Erkältung heraufzieht, sind diese brüskiert, dass der fremde Patient sich scheinbar vor ihnen ekelt.

Der Roman von Christoph Peters aus dem Jahr 2014 – eine gelungene Parodie auf kulturelle Missverständnisse zwischen Deutschen und Japanern – verdeutlicht, wie selbstverständlich die Japaner immer und überall ihren Mundschutz aus der Tasche ziehen, um nicht sich, sondern andere vor Infektionen zu schützen.

Solche kulturellen Unterschiede scheinen heute weit weg. Auch in Deutschland baumeln inzwischen Mundschutze wie Halsbänder um Nacken oder Ohren. Ohne sie darf kein Supermarkt mehr betreten werden. Doch - anders als Klopapierskulpturen oder Spuckschutzwände - wird es die Atemschutzmaske in Deutschland wohl nicht zur Ikone der Coronakrise schaffen - oder doch?

Deutschland Bayern | Frau mit Mundschutz
In Deutschland werden inzwischen selbstgenähte Mundschutz-Masken gern verwendetBild: picture-alliance/Sven Simon/F. Hoermann

Verhüllung in Deutschland bislang ein Tabu

Noch ist die Skepsis in Deutschland gegenüber der Mundschutz-Maske groß. Neben gesundheitlichen Bedenken könnten auch religiöse Gründe eine Rolle spielen, die einen gewissen Vorbehalt gegenüber Schleiern und Verhüllung insgesamt bedingen.

In der Bibel beginnt sich der Mensch mit der Vertreibung aus dem Paradies, schamhaft zu verhüllen und sich zu verstecken vor den Blicken Fremder. Die Maskierung und Verhüllung - eine Metapher für die verlorene Unschuld? Die Dämonisierung von Masken und Krankheit steht in einer langen Tradition, die bis ins Mittelalter reicht. Damals fackelte man ganze Städte ab, um Seuchen zu bekämpfen.

Der Pestdoktor, der die Kranken behandelte, trug zwar eine grässliche Maske, doch er war selber eine gescheiterte Existenz, ein erfolgloser Arzt, dem nichts anderes übrig blieb, als Pestopfer zu behandeln. Seine hässliche Maske wurde zum Synonym des Todes und der Hoffnungslosigkeit der Erkrankung. Auch in Operationssäle zog die Maske erst spät ein. Abbildungen medizinhistorischer Museen belegen, dass noch im 19. Jahrhundert ohne Maske operiert wurde.

Italien Venedig Mann im Pestarzt-Kostüm
Ärzte in Venedig trugen zu Zeiten der Pest-Epidemien solche SchutzmaskenBild: picture-alliance/imageBROKER/K. Petersen

Das Fach Krankenhaushygiene hat sich erst in Deutschland in den 1970er Jahren etabliert. 1976 wurde die "Richtlinie des Bundesgesundheitsamtes zur Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von Krankenhausinfektionen" erstmals veröffentlicht.

In Deutschland und Mitteleuropa entfachten sich an Körperbedeckungen in den vergangenen Jahren emotional geführte Kulturkämpfe. Schon das Kopftuch von Musliminnen, erst recht aber der Schleier, waren Debattenstoff Nummer eins.

Mundschutz mit Erdbeerduft

Doch jetzt ist das Maskentragen zur Pflicht geworden in Deutschland - zumindest in Supermärkten oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Noch ist das Angebot nicht so medizintechnisch ausgefeilt wie andernorts. In Japan – wie auch in anderen asiatischen Ländern - gibt es Mundschutzmasken in verschiedenen Ausstattungen: mit Pollenfiltern, mit Atembefeuchtern gegen trockene Raumluft oder sogar mit diversen Duftnoten.

Touristen in Prag - Karlsbrücke Tschechien Mundschutz Touristen
Touristen aus Asien in Prag - Mundschutz gehört bei Reisen dazuBild: picture-alliance/dpa/W. Steinberg

Dass sie jeder Japaner aus Rücksichtnahme auf andere trägt, steht außer Frage. Schon seit anderen Pandemien, wie der Spanischen Grippe zwischen 1918 und 1920, kennen die Japaner den Mundschutz von großflächigen Postern, die die Regierung aufhängen ließ und die vor lebensgefährlichen Keimen warnten. Der Atemschutz bestand anfangs noch aus einem unbequemen Drahtkäfig, der mit Stoff verkleidet war und ursprünglich aus dem Einsatz in der Schwerindustrie stammte.

Viele Pandemien wurden ohne Mundschutz durchgestanden

In Deutschland kam Mundschutz damals in der Bevölkerung noch nicht zum Einsatz. Auch nicht 1958, als eine nächste schwere Pandemie nach der in den Medien totgeschwiegenen Spanischen Grippe grassierte: Die sogenannte Asiatische Grippe forderte zwar rund 30.000 Opfer, doch auch sie wird in den Medien kaum reflektiert. Im Archiv des Südwestrundfunks findet sich dazu zum Beispiel nur ein Beitrag, der auch noch fragwürdige Gesundheitstipps verbreitet.

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Auch die Kinder trugen in Japan traditionell einen Mundschutz (Foto von 1948)Bild: Getty Images

Darin wird als Vorbeugemaßnahme das Gurgeln mit Wasserstoffsuperoxid sowie das Einnehmen formalinhaltiger Tabletten empfohlen. Keine Rede von intensivem Händewaschen oder dem Tragen eines Mundschutzes. Erst später die SARS-Pandemie 2003 sorgte auch in Deutschland für strengere Hygienevorschriften. Langes Händewaschen wurde offiziell empfohlen, Desinfektionsmittel-Spender zogen in die öffentlichen Toiletten ein. Doch Mundschutz war weiterhin nirgendwo auf den Straßen zu sehen.

Anders in Asien: Nach den Erfahrungen mit SARS und MERS ist die Anzahl der Menschen, die sich in Asien mit Masken durch die Städte bewegen, noch einmal exponentiell angestiegen. Nach dem Vogelgrippe-Ausbruch in Asien 2006 versorgte die Stadtverwaltung in Hongkong 20.000 Haushalte mit einem Mundschutz-Päckchen. Drei Jahre später empfahl die WHO das Tragen von Masken als Prophylaxe gegen eine H1N1-Infektion in belebten öffentlichen Räumen. 

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Kreative Vielfalt: In Deutschland werden Corona-Masken inzwischen häufig selbst genähtBild: Getty Images/C. Stache

Nun müssen solche Mundschutz-Masken in Heimarbeit genäht werden. Vielleicht hat die Do-it-Yourself-Schutzmaske doch noch eine Chance - und ist mehr als nur ein individueller Talisman in der Corona-Krise, sondern bald Teil auch unserer Kultur in Deutschland.

Autorin Sabine Oelze
Sabine Oelze Redakteurin und Autorin in der Kulturredaktion