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Müll, Camorra und Politik

Kirstin Hausen1. Juli 2014

Der ehemalige Camorra-Boss Antonio Iovine bringt Italiens Politiker zum Zittern. Der 50-Jährige hat sich entschieden, mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Nun werden erste Aussagen über illegale Müllentsorgung öffentlich.

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Antonio Iovine
Bild: Roberto Salomone/AFP/Getty Images

Antonio Iovines Spitzname innerhalb des Clans war "o'ninno", das Kind. Sein unschuldiges und jugendliches Aussehen kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der 50-Jährige ein Schwerverbrecher ist, der weder vor Mord noch vor schlimmsten Umweltsünden zurückschreckte. Sein Strafregister ist so lang und seine Strafe so hoch, dass er das Gefängnis vermutlich erst im hohen Alter verlassen wird. Vielleicht hat ihn das dazu bewogen, auszupacken. "O'ninno", der seit 2010 in einem Hochsicherheitsgefängnis einsitzt, hat sich im Mai dieses Jahres entschieden, mit der Justiz zusammenzuarbeiten.

Lukratives Geschäft mit dem Müll

Neben seiner persönlichen Geschichte von der Aufnahme in den Clan und seinem Aufstieg innerhalb der Organisation hat Iovine der Staatsanwaltschaft Neapel im Detail erklärt, wie das Geschäft mit dem Müll und seiner illegalen Entsorgung ablief. Seit Ende der Neunziger Jahre verklappen die Clans Müll aller Art, auch Sondermüll, nicht vorschriftsmässig und verseuchen auf diese Weise weite Teile der Region Kampanien. Der Müllnotstand in Neapel, der 2008 weltweit für Schlagzeilen sorgte, war laut Iovine ein gefundenes Fressen für Michele Zagaria, einen Camorra-Boss mit besten Kontakten zu Regionalpolitikern, die von Amts wegen das Problem so schnell wie möglich lösen mussten. Zagaria habe Schmiergeld bezahlt, um den Müll von der Straße räumen und auf Ländereien, die ihm, Verwandten oder Strohmännern gehörten, verklappen oder lagern zu können. Zu diesem Zweck habe er eine Tarnfirma gegründet, die den Auftrag zur Müllentsorgung bei einer öffentlichen Ausschreibung erhielt. Der für diese Ausschreibung Verantwortliche habe die eingegangenen Angebote heimlich geprüft und Zagaria dann mitgeteilt, welche Summe er eintragen müsse, um den Zuschlag zu bekommen.

Giftmüll in Italien
Selbst Giftmüll soll die Camorra in der Natur entsorgt habenBild: BR Report München

Müllhalde im Naturschutzgebiet

Doch damit nicht genug. Ein großer Teil des Mülls wurde nicht im Boden verscharrt, sondern verrottete in Plastik verpackt unter der neapolitanischen Sonne. Die "Heuballen", große Müllballen, stanken zum Himmel und riefen die Bevölkerung auf den Plan. Protestdemonstrationen besorgter Bürger sorgten für Schlagzeilen und brachten sogar die damalige Regierung Berlusconi unter Druck. Da es an Müllverbrennungsanlagen mangelte, die Müllverschickung nach Deutschland und in die Niederlande kostspielig war, entschied man sich für ein Notstandsdekret, dass eine illegale Müllhalde zu Füßen des Vesuvs kurzerhand in eine legale Deponie verwandelte. Auf dem Papier, denn in Wirklichkeit entsprach dieses riesige Loch im Boden keineswegs den Sicherheitsstandards einer Mülldeponie.

Mütter gegen den Müll

Das Loch gibt es immer noch. Und es ist immer noch offiziell eine Mülldeponie, die Abfall aus ganz Italien aufnimmt. Mitten im Nationalpark des Vulkans Vesuvs, einem Naturschutzgebiet. Wenn Mina Esposito morgens die Rollos hochzieht, begrüßt sie den Vesuv mit einem freundlichen "Buon giorno". "Wir leben in Harmonie mit dem Vulkan, er ist ja schon viel länger hier als wir", sagt die Hausfrau und Mutter zweier Kleinkinder mit zärtlichem Unterton. Mit der Gefahr eines Vulkanausbruchs kann sie leben, mit dem Gedanken, das Gift aus der Deponie schade der Gesundheit ihrer Kinder, nicht. Deshalb hat sie mit einigen Mitstreiterinnen die Bürgerinitiative "donne vulcaniche" (Vulkan-Frauen) gegründet.

Unter ihnen ist auch die Deutsche Klaudia Eckhoff, die der Liebe wegen nach Boscoreale zu Füßen des Vesuvs gezogen ist. Als sie Mitte der 80er Jahre in der Ort kam, erschien ihr die Vulkanlandschaft wie ein kleines Paradies. Noch heute genießt sie mit ihrer Tochter lange Spaziergänge im Nationalpark. Aber manchmal beschleicht sie ein mulmiges Gefühl und sie fragt sich, wieviel Gift ihre Familie über das Grundwasser und die im Garten gezogenen Tomaten, Paprika und Zucchini wohl aufnimmt. Ein Wegzug kommt für sie aber nicht in Frage: "Wo sollen wir denn hingehen? Meine Schwiegereltern wohnen hier, die sind schon alt, die können wir nicht einfach woanders hinpflanzen."

Neapel Vesuv Müll
Der Vulkan und der Müll: Auch am Vesuv gibt es illegale DeponienBild: Franco Origlia/Getty Images

Weggehen, aufgeben – das kommt für die "donne vulcaniche" aus Boscoreale nicht in Betracht. Sie lehnen sich auf, rebellieren und machen sich im Ort viele Feinde. Die lokalen Politiker haben sie mit Polizeigewalt von Gemeindesitzungen ferngehalten, denn sie wollen die Müllhalde schließen und kämpfen sowohl vor Gericht als auch mit spektakulären Protestaktionen gegen das Vergessen. Seitdem der Müll nicht mehr zum Himmel stinkt, ist das Medieninteresse gesunken und keiner fragt mehr danach, was langfristig getan wird, um die Entsorgungsprobleme zu lösen.

Protest gegen illegale Mafia-Müllkippen in Neapel
Vielen Menschen in Neapel reicht es - sie protestieren gegen die Mafia-MüllkippenBild: picture-alliance/dpa

Zahlenkrimi um Tumore

Nur hin und wieder tauchen in den italienischen Medien Zahlen auf, die alarmieren. In einigen Gegenden Kampaniens sind Tumorerkrankungen in den vergangenen Jahren unverhältnismäßig gestiegen, doch gesichertes flächendeckendes Datenmaterial liegt nicht vor. "Das wissen die Politiker zu verhindern", sagt Mina Esposito grimmig. Auch Umweltschutzorganisationen sorgen sich um Flora und Fauna im Nationalpark angesichts der Verklappung von Müll zweifelhafter Herkunft. Denn das Regierungsdekret von 2008 wurde nicht wieder aufgehoben und erlaubt die Einlagerung von Abfällen ohne die sonst notwendigen Prüfungen. Ursprünglich für den akuten Notstand in Neapel geschaffen, ist es nun das Feigenblatt einer Politik, die sich um die Verantwortung drückt. Denn wer sich mit der Müllentsorgung beschäftigt, hat über kurz oder lang mit der Camorra zu tun. Zu lukrativ ist das Geschäft, als dass die organisierte Kriminalität darauf verzichten würde.