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Der Patriarch

22. Mai 2009

Der Reformer Deng Xiaoping war im Frühjahr 1989 der Mann im Hintergrund. Obwohl ohne Regierungsamt, liefen die Fäden bei ihm zusammen. Das Massaker hinterlässt einen dunklen Schatten auf seinem Lebenswerk.

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Deng XiapingBild: dpa

Nach 1989 mussten sich Chinesen, die öffentlich Flaschen zerschmissen, unter Umständen auf unangenehme Fragen durch die Polizei einstellen. Zerbrochene Flaschen waren ein Symbol des Protests gegen das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Eine kleine Geste, mit der die Menschen ihrem Unmut über die Rolle Deng Xiaopings während der Studentenproteste Luft machten. Dengs Rufname Xiaoping ("kleiner Friede") klingt im Chinesischen wie "kleine Flasche".

Schwarze oder weiße Katze

Touristen vor einem Porträt von Deng Xiaoping
Plakat in der Sonderwirtschaftszone Shenzhen.Bild: picture-alliance/ dpa

Als Deng Xiaoping Ende der siebziger Jahre an die Macht kam, war China ein wirtschaftlich und moralisch zerstörtes Land. Zehn Jahre ideologischer Kämpfe und willkürlicher Verfolgung lagen hinter den Chinesen. Deng selbst hatte die Kulturrevolution in der Verbannung verbracht. Seine Rückkehr nach Peking ließ viele Chinesen auf eine schnelle wirtschaftliche Erholung hoffen. Deng hatte sich bereits in den sechziger Jahren den Ruf als pragmatischer Wirtschaftspolitiker erworben. "Es kommt nicht darauf an, ob die Katze schwarz ist oder weiß, sondern darauf, dass sie Mäuse fängt", hatte er damals gesagt. Der Satz wurde zum geflügelten Wort in China.

Nach Maos Tod ging Deng als Sieger aus den Nachfolgekämpfen hervor. Schnell setzte er wirtschaftliche Reformen um, befreite die Politik aus der starren Ideologie der Kulturrevolution und begann, das Land nach außen zu öffnen. Innerhalb kürzester Zeit verbesserte sich die wirtschaftliche Lage der Menschen spürbar.

Der Mann mit dem Cowboyhut

Deng Xiaoping mit Cowboyhut
Deng bei seinem ersten Amerikabesuch 1979Bild: AP

Das Wohlwollen des Volkes eroberte Deng Xiaoping damals mit seinen Reformen, die Herzen der Welt mit einer kleinen Geste. Bei seinem ersten Amerikabesuch setzte Deng spontan einen Cowboyhut auf. Ein chinesischer Staatsmann im wilden Westen. Nichts symbolisierte die Öffnung Chinas mehr als dieses Bild. Dass Deng unter der Öffnung Chinas keineswegs eine politische Liberalisierung verstand, nahmen damals nur wenige wahr. Dabei hatte Deng von Anfang an kompromisslos auf die Forderung nach Demokratie reagiert. Auf Wandzeitungen hatten bereits 1979 mehrere Aktivisten politische Reformen gefordert. Die Regierung reagierte hart. Wei Jingsheng, der Prominenteste unter den Dissidenten, verschwand für Jahre hinter Gittern.

Als die Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens demonstrierten, bekleidete Deng Xiaoping kein Regierungs- oder Parteiamt. Seine einzige offizielle Position war Vorsitzender der Zentralen Militärkommission. Dennoch galt er als der eigentliche Machthaber in Peking. Noch im Mai 1989 bestätigte Generalsekretär Zhao Ziyang dem sowjetischen Staatschef Mikhail Gorbatschow, dass Deng weiterhin das Ruder in der Hand halte. Interne Dokumente der Führung, die nach dem Massaker in den Westen geschmuggelt wurden, legen den Schluss nahe, dass kaum einer von Chinas obersten Führern es wagte, dem Patriarchen zu widersprechen. Sie dokumentieren auch, dass er es war, der die Proteste als "Aufruhr" verurteilte und damit die harte Haltung der Partei vorgab. Auch die Verhängung des Ausnahmezustands wurde von ihm abgesegnet. Als sich sein langjähriger Vertrauter Zhao Ziyang öffentlich gegen die harte Linie der Partei stellte, wurde er abgesetzt - so wie zwei Jahre zuvor sein Vorgänger Hu Yaobang. Auch er hatte mit Sympathie auf Studentenproteste reagiert. Der Patriarch duldete keine Rebellion.

Kaiserliche Inspektionsreise

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China Peking Tiananmen Flasche
Auch für seine Anhänger ein Symbol: Trauernde mit Cola-Flasche 1997Bild: AP

Nach dem Massaker vom 4. Juni allerdings schien Dengs Einfluss zu schwinden. Das Politbüro wurde nun von den Konservativen dominiert. Mit seiner Forderung, die politische Situation nicht als Vorwand für eine Verlangsamung der Reformen zu nutzen, drang er nicht mehr durch. Die Regierung unternahm kaum noch wirtschaftliche Reformschritte. 1992 musste Deng, der inzwischen auf die neunzig zuging, ein letztes Mal seine Autorität in die Waagschale werfen. Mit einem Besuch in den weiter entwickelten Gebieten Südchinas demonstrierte er seine Unterstützung für die eingeschlagene wirtschaftliche Liberalisierung. Als "Nanxun", als "Reise in den Süden" ging der Besuch in die Geschichte ein – mit dem alten Wort für die Inspektionsreisen des Kaisers. Danach wagte niemand mehr, das Tempo der Wirtschaftsreformen in Frage zu stellen. Die chinesische Wirtschaft erlebte einen Wirtschaftsboom ohnegleichen, und um Deng wurde es still. 1997 starb er im Alter von 92 Jahren.

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Matthias von Hein