Der Fleischkrieg
17. Mai 2007Ärger gibt es zwischen der EU und Moskau ohnehin reichlich: Die Unruhen in Estland wegen des Kriegerdenkmals, die Energiefragen, die Raketenpläne der Amerikaner und die harsche Reaktion Moskaus. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hätte beim EU-Russland-Gipfel in Samara viele Wogen zu glätten - das eigentliche Problem scheint aber gammeliges Fleisch zu sein.
"Kriegserklärung"
Polens Außenministerin Anna Fotyga wertete noch einen Tag vor Gipfelbeginn das russische Embargo gegen polnisches Fleisch als "Kriegserklärung". Der außenpolitische Sprecher des russischen Föderationsrates, Michail Margelow, konterte ähnlich heftig, das polnische Veto gegen ein EU-Rahmenabkommen mit Russland sei "ein sinnloser Aufstand gegen den Lauf der Geschichte". Sein Land werde auch weiter die Grenzen für Fleisch aus Polen geschlossen halten.
Seit Herbst 2005 besteht in Russland Einfuhrverbot für polnisches Fleisch. Es sei umdeklariertes Gammelfleisch gefunden worden, dass über Polen nach Russland gekommen sei, wie es hieß. Grundsätzlich habe man ja nichts gegen Fleisch aus Polen. "Wir beanstanden nur den Re-Export von Fleisch aus Drittländern wie Indien und Südamerika. In der EU ist dieses Fleisch ja auch verboten", sagt der für die Kontakte zur EU zuständige russische Präsidentenberater Sergej Jastrschembski. Zeitweise drohte Moskau sogar einen generellen Importstopp für Fleisch aus der EU an.
400 Millionen
Alle Schlichtungsversuche der EU scheiterten bisher. Sie schickte Tierärzte in polnische Schlachthäuser, die Russen zweifelten anschließend aber daran, dass die Unbedenklichkeitszeugnisse für die Exporte echt seien. Eine russische Prüfung von polnischem Fleisch Ende April 2006 habe nochmals ergeben, dass es umetikettiert, neu verpackt und dann nach Russland exportiert werde. In Warschau hält man die Gründe für vorgeschoben. Polen beklagt Ausfuhrverluste von jährlich 400 Millionen Euro - und übt sich im Gegenzug in eiserner Blockadepolitik. Ein Kooperationsabkommen zwischen Russland und der EU will Polen so lange per Veto auf Eis legen, bis die Fleischexporte wieder aufgenommen werden können.
Dieser Streit zwischen Polen und Russland hat inzwischen zu heftiger Verstimmung zwischen Brüssel, Warschau und Moskau geführt. Das Thema hatte bereits den letzten EU-Russland-Gipfel in Finnland getrübt, als wegen des polnischen Vetos nicht mit den Verhandlungen über das Partnerschaftsabkommen begonnen werden konnte. Auch die Energiepolitik zwischen der EU und ihrem wichtigsten Lieferanten sollte hierin neu geregelt werden.
Premierminister Kaczynski warf den anderen EU-Ländern vor, in dem Konflikt Loyalität verweigert zu haben. Warschau hat sich mit dieser Haltung nicht viele Freunde gemacht. In Brüssel verweist man darauf, dass Polen selbst bisher nicht besonders viel getan habe, um den Konflikt beizulegen. Der EU-kritische Kurs Warschaus sorgt in Brüssel ohnehin für Kopfschütteln. Unter den Zwillingsbrüdern Lech und Jaroslaw Kaczynski fällt die polnische Vertretung durch viele "Neins" auf: Polen sprach sich etwa zunächst gegen verpflichtende Klimaschutzziele aus, und auch die Pläne der deutschen Ratspräsidentschaft zur Wiederbelebung der EU-Verfassung durchkreuzte Warschau: Deutschland strebte einen Abschluss bis 2009 an, Polen sprach sich für eine Ratifizierung "erst nach 2009" aus.
Provokationen
Die Spannungen mit Russland wurden schon von der vorigen Führung geerbt, die mit der offenen Unterstützung der Orangenen Revolution in Kiew Putin verärgert hatte. Seitdem lähmen gegenseitige Provokationen die Beziehungen. Statt auf Befriedung setzt Warschau auf Konfrontation: Das Raketenprogramm der Amerikaner wird demonstrativ begrüßt. Kaczynski wirbt in Brüssel für einen EU-Beitritt der Ukraine. Polen widersetzt sich allen Pipeline-Plänen und Verteidigungsminister Radoslaw Sikorski vergleicht die Verständigung in Sachen Ostsee-Pipeline mit dem Hitler-Stalin-Pakt. Beim Versuch, die Abhängigkeit Polens von den russischen Erdöl-und Erdgaslieferanten aufzubrechen, war Kaczynski zuletzt im Alleingang in Zentralasien unterwegs - mit dem Wohlwollen Washingtons zwar, doch ohne Absprache mit der EU. Zuletzt bekräftigte die Regierung Kaczynski die Schleifung von acht sowjetischen Denkmälern - wenige Tagen nachdem Putin in seiner Ansprache zum 62. Jahrestag des Kriegsendes davor gewarnt hatte, Monumente für die sowjetischen Kriegshelden zu entehren.
"Unprofessionelle Regierungen"
Ein Nachgeben einer Seite im "Fleischkrieg" scheint Beobachtern dann auch beim EU-Russland-Gipfel unwahrscheinlich. Nur müsse deswegen ja nicht das Verhältnis EU-Russland schlecht sein, sagte der EU-Beauftragte des Kremls, Sergej Jastrschembski, am Mittwoch in Moskau. Man dürfe Probleme einzelner Staaten wie Polen und Estland nicht auf die Gesamtbeziehungen ausweiten. Einige neue EU-Mitgliedsländer hätten "unprofessionelle, junge Regierungen", die eigene "Komplexe" auf die EU-Russland-Ebene zu übertragen versuchten. "Das erkennen auch unsere altbewährten Partner in der EU", betonte Jastrschembski einen Tag nach dem Besuch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier Anfang der Woche in Moskau. (sams)