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Der Preis der Inneren Sicherheit

Nicole Diekmann, Jan Oltmanns, tagesschau.de2. September 2002

Drei der Attentäter vom 11. September hatten in Hamburg ein Doppelleben geführt. Ein Grund für die deutsche Politik umfangreiche Sicherheitspakete zu verabschieden - nicht ohne Kritik.

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Bild: Das Fotoarchiv

So plötzlich und unvermittelt die Anschläge in New York und Washington kamen, sie mussten doch – hier waren sich die Experten einig – von langer Hand geplant gewesen sein. Die Spur führte schnell auch in westliche Staaten, bereits wenige Tage nach den Anschlägen war klar: Drei der Todespiloten hatten vor der Tat in Hamburg gelebt und dort als so genannte Schläfer ein Doppelleben geführt.

Präventiver Staat statt bürgerlicher Freiheit?

Die Nachricht löste in Deutschland hektische Aktivität aus und setzte das Dauerthema Innere Sicherheit einmal mehr auf die politische Agenda. Die Tatsache, dass die Attentäter hier unbehelligt und unerkannt hatten leben können, erschütterte das Sicherheitsgefühl vieler Bürger. Mit einer Fülle von Gesetzen versucht die Bundesregierung seitdem, den Menschen das Vertrauen in den Staat zurückzugeben.

Im Eilverfahren legte die Regierung nur wenige Wochen nach den Anschlägen zwei Sicherheitspakete auf, ebenfalls im Höchsttempo passierten diese mit den Stimmen von SPD, Grünen und Union Bundestag und Bundesrat. Die beschlossenen Maßnahmen sollen vor allem präventiv wirken: Sie räumen den Sicherheitsbehörden weitgehende Befugnisse ein, die es ihnen ermöglichen sollen, mutmaßliche Terroristen zu identifizieren, bevor diese ihre Tat begehen können.

Schulterschluss der Parteien

Die Reaktion der Politik, auf eine vermeintliche oder reale Bedrohung im Inneren mit schärferen Gesetzen zu reagieren, ist nicht neu. Ungewöhnlich aber ist die Geschwindigkeit, mit der sie auf den Weg gebracht und die seltene Einigkeit, mit der sie beschlossen wurden. Vor dem 11. September wären diese Maßnahmen sicherlich auf eine heftige Gegenwehr der Öffentlichkeit gestoßen: Dies hat seinerzeit der Protest gegen die Notstandsgesetze, die Volkszählung und den Großen Lauschangriff gezeigt.

Innenminister Otto Schily hatte bereits kurz nach den Anschlägen klar gemacht, dass einige Datenschutzbestimmungen seiner Meinung nach die Innere Sicherheit gefährdeten und einer zügigen Änderung bedürften. Eine Einstellung, die bei der Union mit Beifall aufgenommen wurde. "Bei uns brauchen Sie keine Überzeugungsarbeit zu leisten", erklärte etwa Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. Der grüne Koalitionspartner, traditioneller Verfechter der Bürgerrechte, meldete zwar Bedenken an. Schließlich stimmten aber auch die Grünen der Gesetzesvorlage zu.

Kritik kam von PDS und FDP. PDS-Vizechefin Petra Pau etwa warnte, der "verheißene Zugewinn an Sicherheit" werde mit einem "signifikanten Verlust an Freiheit bezahlt". Die FDP beanstandete, in der Eile seien die Mitwirkungsmöglichkeiten der Opposition übergangen worden. Prominente Liberale – etwa die frühere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger - warnten davor, die Rechte der Bürger zu vernachlässigen.

Bürger unter Generalverdacht?

Tatsächlich greifen die neuen Gesetze massiv in das Recht auf Datenschutz ein: Das Gesetzeswerk ermöglicht es dem Verfassungsschutz, künftig bei Kreditinstituten sowie Finanz-, Luftfahrt- und Telekommunikationsunternehmen Kundendaten abzufragen. Zudem wird die Möglichkeit eröffnet, neben Lichtbild und Unterschrift ein weiteres biometrisches Merkmal wie Fingerabdruck oder Handgeometrie in Pässe und Personalausweise aufzunehmen. Endgültig soll dies in einem Bundesgesetz festgelegt werden. Nie zuvor in Nachkriegsdeutschland ist den Sicherheitsbehörden die Sammlung und Weitergabe personenbezogener Daten in diesem Ausmaß gestattet worden.

Vor allem aber richten sich die Maßnahmen gegen Ausländer. Für diese werden bereits Ausweise mit biometrischen Daten eingeführt. Fingerabdrücke von Asylbewerbern können künftig automatisch mit den Daten des Bundeskriminalamtes abgeglichen werden. Der Verfassungschutz erhält einen erweiterten Zugriff auf Asyl- und Ausländerdaten: Als extremistisch geltende Ausländer werden ausgewiesen, dasselbe gilt für Ausländer, die eine Organisation unterstützen, die ihrerseits internationalen Terrorismus stützt. Was als "internationaler Terrorismus" gilt, wird allerdings nicht definiert. Kritiker befürchten, dies werde von den jeweiligen außenpolitischen Interessen Deutschlands abhängen. Zudem sehen sie sicherheitspolitische Entwicklung als Ausdruck eines neuen staatlichen Misstrauens gegen Nichtdeutsche.

Männlich, islamisch, reiselustig gesucht

Dass bei der Terrorismusbekämpfung Deutsche weitgehend unbehelligt bleiben, während Ausländer dem informationellen Zugriff der Geheimdienste ausgesetzt sind, wird deutlich, wenn man einen Blick auf den offiziellen Kriterienkatalog zur Rasterfahndung wirft: Nach dem 11. September führten die Länder auf der Basis eilig verabschiedeter Gesetze eine "präventive Rasterfahndung" nach möglichen "Schläfern" durch. Universitäten, Ämter und Privatbetriebe wurden um die Daten all jener Mitarbeiter gebeten, die in das Raster: "männlich, arabisch, technischer Studiengang, rege Reisetätigkeit, legaler Aufenthaltsstatus in Deutschland und finanziell unabhängig" fallen. Ein Raster, das auf viele der in Deutschland lebenden Muslime zutrifft, Irrtümer wahrscheinlich macht und gerade die Nichtverdächtigen verdächtigt.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland berichtete dann auch kurze Zeit nach der Einleitung der Fahndung über Beschwerden muslimischer Familien, deren Häuser grundlos durchsucht, die in der Nacht zum Verhör abgeholt worden oder zwei bis drei Tage festgehalten worden seien. Dies führe dazu, dass bei den in Deutschland lebenden Arabern das Vertrauen in die Sicherheitspolitik des Staates schwinde.

Zudem ist die Effizienz der Rasterfahndung fraglich. Zwar gaben einige Unternehmen und Universitäten willig Daten in die Rasterfahndung. In Hamburg etwa gingen binnen zehn Tagen die Daten von mehr als 10.000 Studenten an die Behörden. Der erhoffte Erfolg aber stellte sich bislang nicht ein: Zwar wurden im Juli sieben Männer in Hamburg wegen des Verdachts auf Planung terroristischer Anschläge festgenommen. Bereits Stunden später mussten sie aber wieder auf freien Fuß gesetzt werden.

Notwendige Maßnahmen bergen Gefahren

Angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus kann der Staat nicht untätig bleiben. Doch bewegt sich die Politik auf einem schmalen Grat zwischen legitimer Reaktion und autoritärer Überwachung. Im Februar dieses Jahres warnte der "Interdisziplinäre Arbeitskreis Innere Sicherheit" – ein Zusammenschluss aus Sozialwissenschaftlern, Kriminologen und Juristen - vor einem Überwachungsstaat.

Von der Hand zu weisen ist diese Warnung nicht: Es drängt sich die alte Frage auf, wer die Kontrolleure kontrolliert und ob die demokratischen Institutionen in der Lage sind, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Gelingt dies nicht, dann droht ein Fundament der Demokratie – die garantierte Freiheit des Individuums ungeachtet seiner ethnischen Herkunft oder Religionszugehörigkeit – einzustürzen.