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Ende eines langen Konfliktes

9. Juli 2011

Seit diesem Samstag der Südsudan unabhängig. Fast 50 Jahre tobte dort einer der blutigsten Bürgerkriege Afrikas. Für viele geht mit der Unabhängigkeit ein Traum in Erfüllung.

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Ein unterernährtes Kind in den Armen seiner Mutter (Foto: AP)
Die Bevölkerung litt unter dem KriegBild: AP

Offiziell begann der erste Krieg zwischen Nord- und Südsudan 1955, wenige Monate vor der geplanten Unabhängigkeit. Denn bereits damals fürchteten viele Einwohner des Südens, in einem unabhängigen Sudan nur Bürger zweiter Klasse zu sein. Kaum überraschend für viele Sudan-Kenner, denn die Spannungen zwischen Nord und Süd bestanden damals bereits seit Generationen. Während Ägypten und Großbritannien den Norden gemeinsam verwalteten, gehörte der Süden zur Kolonie "Britisch-Ostafrika". Die Aufteilung war mehr als Formsache - und hatte schwerwiegende Konsequenzen: "Der Zugang zur Staatsmacht war auf das Nildreieck, also auf Khartum und das Dreieck zwischen blauem und weißen Nil konzentriert", erklärt die deutsche Sudan-Expertin Elke Grawert vom Bonner Konversionszentrum. Im Süden hingegen gab es nur eine begrenzte Kolonialverwaltung in den Städten - die Briten überließen den Großteil des Gebietes also einfach sich selbst.

Bürger zweiter Klasse

Auch wirtschaftlich hatte die Teilung Folgen. "Investiert wurde vor allem im Norden", sagt Elke Grawert. Im Süden gab es dagegen kaum Infrastruktur, die Menschen lebten weiter als Kleinbauern und Viehhüter. Unter vielen Südsudanesen ging die Angst um, dass sich ihre Lage nicht bessern würde, wenn sie mit dem Norden in einem Staat zusammen leben müssten. Ein Auslöser genügte, damit Gewalt ausbrach. Soldaten aus dem Süden meuterten 1955. Sie wollten nach der Unabhängigkeit nicht unter arabischen Offizieren dienen. Die Soldaten bildeten die Keimzelle der Rebellenbewegung Anya-Nya. 1972 schlossen beide Seiten dann den Friedensvertrag von Addis Abeba. Die Rebellen hatten ihr Ziel erreicht: Durch den Vertrag bekam der Süden politische Autonomie und ein eigenes Parlament. Doch das Abkommen hielt kaum mehr als zehn Jahre.

Ein Kämpfer mit Mütze, Waffe und Patronengürtel (Foto: AP)
Ein SPLA-Kämpfer während des BürgerkriegesBild: AP

"Es gab immer wieder Eingriffe des Nordens in das politische Leben des Südens", sagt Alfred Lokuji, Historiker und Professor an der Universität von Juba im Südsudan. Als der Militärherrscher Numeirei, ein Nordsudanese, schließlich 1983 das Parlament in Juba auflöste und islamische Recht einführte, meuterten erneut Soldaten aus dem Süden. Die Regierung in Khartum schickte einen charismatischen Oberst, der mit den Soldaten verhandeln sollte: John Garang. Doch er schloss sich stattdessen den Meuterern an und gründete gemeinsam mit ihnen eine neue Rebellengruppe. Die Südsudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA) war geboren.

"Für einen 'Neuen Sudan'"

"Wir kämpfen für einen 'Neuen Sudan'" sagte Garang in einem Interview kurz nach der Gründung der SPLA. Die Truppe machte den Soldaten aus dem Norden das Leben schwer. Die Rebellen griffen Armeekonvois an, schossen Flugzeuge aus dem Norden ab und eroberten eine Reihe Städte im Süden. Doch ideologisch war sich die SPLA nicht immer eins. "Garang glaubte, dass der Sudan in einen "Neuen Sudan" vewandelt werden könnte. Das sollte ein säkularer Staat sein, in dem es keine Staatsreligion gibt. Es sollte ein Staat sein, in dem 'Afrikaner' und 'Araber' zusammen lebten", erklärt der Historiker Alfred Lokuji. Doch Garangs Idee traf nicht immer auf Gegenliebe - weder innerhalb der SPLA noch innerhalb der Bevölkerung. "Das Konzept war sehr intellektuell. Die meisten Menschen im Süden aber waren immer noch wütend, weil der Norden den Friedensvertrag von 1972 gebrochen hatte. Sie waren eher für eine Unabhängigkeit", erklärt Alfred Lokuji.

SPLA-Gründer John Garang (Foto: AP)
John Garang gründete 1983 die SPLABild: AP

Nach jahrzehntelangem Krieg begannen Vertreter der Regierung in Khartum und der SPLA über einen Frieden zu verhandeln. Als Vermittler agierten Diplomaten verschiedener afrikanischer Staaten unter kenianischer Leitung. 2005 einigten sich beide Seiten auf ein Friedensabkommen und versprachen zusammen in einem Staat zu leben - vorerst. "Wir teilen unseren Reichtum gerecht und liebevoll, und wir regeln unsere politischen Geschäfte freundschaftlich", versprach damals Staatspräsident Omar al-Bashir. Nach dem Friedensabkommen bekam der Süden weitreichende Autonomie und eine eigene Regierung. Zugleich bildeten die SPLA - inzwischen in Südsudanesische Volksbefreiungsbewegung (SPLM) umbenannt - und die nordsudanesische Regierungspartei NCP eine gemeinsame Koalitionsregierung in Khartum. John Garang wurde Vizepräsident. Der Friedensvertrag schrieb vor, dass diese Übergangsperiode sechs Jahre dauern würde. Anschließend sollte der Süden in einer Volksabstimmung entscheiden, ob der Sudan ein Einheitsstaat bleibt oder geteilt wird.

Fehlende Friedensdividende

Mehre Männer geben sich die Hände und halten eine Mappe in die Luft (Foto: AP)
2005 unterschrieben Vertreter von Nord- und Südsudan einen FriedensvertragBild: AP

Nur wenige Monate später kam ein heftiger Dämpfer: John Garang starb beim Absturz seines Helikopters. Sein Nachfolger Salva Kiir gilt eher als Befürworter der Unabhängigkeit. Zudem verbesserten sich die Lebensumstände der Menschen im Südsudan nicht wie erhofft. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt immer noch unterhalb der Armutsgrenze, über 70 Prozent können nicht lesen und schreiben, die Müttersterblichkeit bei der Geburt gehört zu den höchsten in Afrika. Daran hat sich seit dem Friedensschluss nur wenig gebessert. "Die versprochene und erhoffte Friedensdividende ist nicht eingetreten. Dafür sind nicht nur die beiden Regierungen, sondern auch die Politik der internationalen Hilfsorganisationen verantwortlich, die ihre Schwerpunkte nicht auf eine grundlegende sozio-ökonomische Entwicklung gelegt haben", konstatiert die Sudan-Expertin Elke Grawert.

Viele Menschen hoffen, dass sich ihre Lage verbessert, wenn der Süden am Samstag (09.07.2011) unabhängig wird. Entspechend klar fiel das Ergebnis der Volksabstimmung im Februar 2011 aus: Fast 99 Prozent votierten für die Unabhängigkeit des Südens. Somit ist nach mehr als 50 Jahren klar: Die Welt bekommt einen neuen Staat.

Autor: Daniel Pelz
Redaktion: Katrin Ogunsade