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Der Sturz von Sanaa

Kersten Knipp20. Januar 2015

Die schiitischen Huthis haben den Sitz der jemenitischen Regierung in Sanaa gestürmt. Die Kämpfe drohen nicht nur den Jemen, sondern die ganze Region ins Chaos zu stürzen. Das könnte Auswirkungen bis nach Europa haben.

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Huthi-Rebellen stürmen Präsidentenpalast im Jemen, 19.1.2015 (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Triumph war absehbar. Bereits seit Monaten kontrollierten die Huthis weite Teile der jemenitischen Hauptstadt Sanaa. Immer weiter waren sie zuletzt auch in das Regierungsviertel eingedrungen, am Dienstag stürmten sie den Regierungssitz. Der Eroberung waren heftige Gefechte mit den Regierungstruppen vorausgegangen. Verschiedene Medien berichten von Explosionen rund um den Regierungspalast. Wo sich der regierende Präsident Rabbo Mansur Hadi befindet, ist derzeit unklar. Kurz vor dem Sturm hatte er noch vor einem Zusammenbruch des jemenitischen Staates gewarnt.

Dieser könnte nun unmittelbar bevorstehen. Denn der Sturm der Huthis wird nicht ohne Antwort bleiben. Sollten die regierungstreuen Truppen es nicht schaffen, den Präsidentenpalast wieder zurückzuerobern, könnten dem Land schwerste Unruhen bevorstehen.

Ein brüchiger Vertrag

Huthi-Rebellen stürmen Präsidentenpalast im Jemen, 20. 1. 2015 (Foto: AP)
Ein Huthi-Rebell in der Nähe des Präsidentenpalastes in SanaaBild: picture alliance/AP Photo

Dabei hatte es noch vor wenigen Monaten so ausgesehen, als könnten sich die sunnitisch dominierte Zentralregierung und die schiitischen Huthis auf einen gemeinsamen politischen Nenner einigen. Im September 2014 hatten beide Seiten einen Vertrag unterzeichnet, der die Grundlage für die Bildung einer "Regierung der nationalen Einheit" sein sollte. Ebenso hatten sich beide Parteien auch auf einen neuen Ministerpräsidenten geeinigt. Zusätzlich sollte der Präsident zwei Berater ernennen - einen aus dem schiitisch dominierten Norden und einen aus dem überwiegend von Sunniten bewohnten Süden des Landes. In der neu zu bildenden Regierung sollten die Huthis ebenso viele Minister stellen wie ihre größten Widersacher, die Vertreter der sunnitschen Al-Islah-Partei, die im politischen Sanaa den Ton angeben.

Doch kaum war der Vertrag unterzeichnet, tauchten die alten Differenzen wieder auf. Beide Parteien sahen sich durch den Vertrag benachteiligt und fühlten sich immer weniger an ihn gebunden. Die Kämpfe schienen schon beigelegt, da brachen sie aufs Neue aus.

Keine konfessionellen Rivalitäten

Hintergrund der Kämpfe sind Macht- und Beteiligungskonflikte. Zahlreiche schiitische Familien im Norden leben ebenso in Armut wie ihre sunnitischen Landsleute im Süden. Beide leiden darunter, dass ein Großteil des nationalen Einkommens in die Hauptstadt Sanaa fließt. Für die Randprovinzen bleibt vergleichsweise wenig übrig.

Entsprechend deutlich hatte der Huthi-Sprecher Mohammed al-Bukhaiti bereits vor einiger Zeit erklärt, dass es sich nicht um einen konfessionellen Konflikt handele. "Die Frage, mit wem wir paktieren, haben wir nie auf Grundlage konfessioneller Kriterien entschieden", sagte er in einem Interview mit dem Fernsehsender Al-Dschasira. "Zwar sind wir uns bewusst, wer wir sind. Doch die Konfession spielt bestenfalls eine zweitrangige Rolle."

Kämpfe in Sanaa 19.01.2015 (Foto: Reuters)
In der Defensive: die Truppen der RegierungBild: Reuters/K. Abdullah

Auswirkungen auf die Region

Das Chaos im Jemen bedroht nun immer stärker auch die Stabilität Saudi-Arabiens. Das Königreich hatte bereits vor Monaten die Grenzen zum Jemen befestigt. Dort sieht es sich durch zwei Gruppen bedroht: Einmal die Huthis, die über die Grenze hinweg familiäre Beziehungen zu den Schiiten in Saudi-Arabien haben. Und durch die Milizen der Terrororganisation "Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAP), die als eine der stärksten und modernsten Gruppen des Al-Kaida-Netzwerks gilt.

Sollten sich die Huthis in Sanaa halten, könnte das für Saudi-Arabien ein weiterer Anlass sein, die Beziehungen zu seinem größten regionalen Konkurrenten, dem Iran, zu verbessern. Teheran hat sich in den letzten Monaten als eine der entschiedensten Kräfte im Kampf gegen die sunnitische Terror-Organisation "Islamischer Staat" (IS) präsentiert. Entsprechend sind auch die USA an verbesserten Beziehungen mit dem Iran interessiert. Das gefällt der saudischen Regierung wenig: Über Jahrzehnte galt sie als der wichtigste Partner der USA in der Region. Nun muss Saudi-Arabien seine Grenzen sowohl im Süden als auch im Norden sichern. Dort muss es sich vor Angriffen des IS wehren. Vor wenigen Tagen hatten IS-Milizen zwei saudische Grenzschützer ermordet. Der steigende Druck könnte das Land dazu drängen, seine außenpolitischen Beziehungen, aber auch seine unklare Haltung zum religiösen Fundamentalismus zu überdenken.

Mögliche Konsequenzen auch für Europa

Im Jemen selbst dürfte vor allem AQAP von dem Ansturm der Huthis profitieren. Die Regierung schwächelt - und mit ihr der Staat. Das erlaubt AQAP, ihren Einflussbereich noch weiter auszudehnen und weitere Anhänger zu rekrutieren. Dies wäre nicht allein für die Region, sondern auch für Europa eine Gefahr. Denn AQAP gilt als eine Rekrutierungsbasis für europäische Dschihadisten, die im Jemen ausgebildet und dann zurück in die Heimat geschickt werden. Dort sollen sie sich auf Anschläge in ihren jeweiligen Ländern vorbereiten. Auf den Todeslisten von AQAP stand auch Stéphane Charbonnier, der Redaktionsleiter des Satiremagazins Charlie Hebdo. Gelingt es darum nicht, den Jemen zu befrieden, könnte das auch Auswirkungen bis nach Europa haben.

Die Bevölkerung ergreift die Flucht, 19.1. 2015 (Foto: Reuters)
Zivilisten auf der FluchtBild: Reuters/K. Abdullah