Der Tag, an dem Hitler sterben sollte
20. Juli 2019"Die Behauptung dieser Usurpatoren, dass ich nicht mehr lebte, wird jetzt in diesem Augenblick widerlegt, da ich zu Euch, meine lieben Volksgenossen, spreche", dröhnt Hitlers Stimme durch die Empfangsgeräte in die Wohnzimmer Nazideutschlands. Um ein Uhr nachts des 21. Juli 1944 steht fest: Der Führer ist nicht tot, der Putsch ist gescheitert.
Rund 12 Stunden vorher stellt Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg während einer Lagebesprechung in der Wolfsschanze einen Aktenkoffer gefüllt mit einem Kilogramm Sprengstoff in der Nähe von Adolf Hitler ab. Dann verlässt er unter dem Vorwand, einen wichtigen Anruf aus Berlin entgegennehmen zu müssen, den Raum.
Zehn Minuten später: Hitler lehnt sich weit über die große Landkarte auf dem Eichentisch, der in der Mitte des Besprechungsraums steht, um mit seinen Generälen die militärische Lage in der Sowjetunion zu erörtern. Dann explodiert der Aktenkoffer. Vier Menschen sterben, Hitler überlebt und ist nur leicht verletzt. Der massive Kartentisch rettet ihm das Leben.
Von Stauffenberg kann aus der Wolfsschanze fliehen und fliegt - in dem Glauben, Hitler sei tot -zurück nach Berlin, um mit seinen Mitverschwörern das Naziregime zu stürzen.
Operation "Walküre" scheitert
Während von Stauffenberg in der Luft ist, warten seine Mitverschwörer in der Reichshauptstadt ungeduldig auf den Befehl, das Ersatzheer zu mobilisieren. Unter dem Vorwand, die SS habe Hitler getötet und plane einen Staatsstreich, soll die Wehrmacht im gesamten deutschen Reich SS und Gestapo verhaften, das Regierungsviertel besetzen und die Macht an sich reißen. Von Stauffenberg und Co. wollen einen Seperat-Frieden mit den Alliierten aushandeln und damit den grausamen Krieg endlich beenden, so der Plan.
Doch statt des ersehnten Codeworts "Walküre" funkt General Erich Fellgiebel aus der Wolfsschanze: "Es ist etwas Furchtbares passiert, der Führer lebt." Die Militärs im Bendlerblock sind ratlos und treffen eine folgenschwere Fehlentscheidung: Sie warten ab. Erst als von Stauffenberg rund drei Stunden später in Berlin landet und beteuert, Hitler sei durch seine Bombe getötet worden, läuft Operation "Walküre" an.
Doch der Umsturzversuch endet in einer Katastrophe: Befehle zur Festnahme von SS und Gestapo werden nur langsam an das Ersatzheer übermittelt. Manche Fernschreiben erreichen ihre Empfänger erst am späten Abend. Auch die geplante Abriegelung des Regierungsviertels und die Übernahme der Rundfunk-Zentralen scheitern.
Gleichzeitig sickern immer mehr Berichte von Hitlers Überleben durch. Bereits am frühen Abend versichert nun auch der Deutschlandsender, dass Hitler das Attentat überlebt habe. Innerhalb weniger Stunden zerbricht der Kreis der Widerständler. Einige verweigern Befehle, andere machen sich aus dem Staub oder wechseln die Seiten.
Hitler holt zum Gegenschlag aus
Während in Berlin das Unternehmen "Walküre" in sich zusammenzufallen droht, bereiten die Überlebenden in der Wolfsschanze den Gegenschlag vor. Innerhalb weniger Stunden werden Truppen in Berlin mobilisiert, die den Umsturzversuch niederschlagen sollen.
Die Widerständler sind schnell ausgemacht. Gegen 23 Uhr wird der Gebäudekomplex Bendlerblock, wo sich das Heeresamt befand und das Attentat geplant wurde, von Hitlers Truppen besetzt. Kurz nach Mitternacht werden von Stauffenberg und weitere "Verschwörer" im Hof standrechtlich erschossen. Tausende vermeintliche Mitwisser und Regimegegner werden in den Wochen und Monaten nach dem Attentat verhaftet, Hunderte von ihnen hingerichtet oder in den Selbstmord getrieben.
Damals Verräter, heute Helden
Bis zum Untergang des Dritten Reiches bemüht sich die NS-Propaganda, die Attentäter des 20. Juli 1944 als Volksverräter zu brandmarken - mit Erfolg. Denn selbst nach der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten bleibt das Bild von Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seinen Mitstreitern ein negatives. Öffentliche Gedenkveranstaltungen sind selten. Bis weit in die 1950er Jahre hinein lehnt eine große Mehrheit der Westdeutschen es ab, Straßen oder Schulen nach den Widerständlern zu benennen.
Und auch in der DDR werden sie nicht etwa als antifaschistische Freiheitskämpfer gefeiert. Schließlich waren viele der "Verschwörer" jahrelang glühende Anhänger Hitlers gewesen. Es sei vor allem der kommunistische Widerstand und die mächtige Rote Armee des großen sowjetischen Bruders gewesen, die Nazideutschland in die Knie gezwungen hätten, meinte man in Ostberlin.
Im Westen setzt ab den 1960er Jahren ein Umdenken ein. In zahlreichen Gedenkfeiern wird seitdem neben anderen Widerständlern auch von Stauffenberg und seinen Mitstreitern gedacht. Eine dieser Veranstaltungen soll die Ermordeten besonders ehren: Seit 20 Jahren legen Rekruten der Bundeswehr im Innenhof des Bendlerblocks, dem Ort an dem unter anderem von Stauffenberg erschossen wurde, ihr Gelöbnis ab - immer am 20. Juli.