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Der türkische Weg in die EU

Bernd Riegert, Brüssel29. September 2005

Die EU will am Montag (3.10.) den Startschuss für die Beitrittsgespräche mit der Türkei geben. Der endgültige Verhandlungsrahmen ist noch nicht beschlossen, doch zentrale Eckpunkte der EU-Positionen stehen schon fest.

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Liegt Istanbul eines Tages doch noch in der Europäischen Union?Bild: AP

Die Europäische Union hat eine Hand an der Notbremse, wenn am Montag die Beitrittsgespräche mit der Türkei offiziell beginnen sollten. Die Verhandlungen können jederzeit unterbrochen werden, sollte die EU feststellen, dass es zu einer schwerwiegenden Verletzung der Grundprinzipen "Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit" kommt. So sieht es der rigide Verhandlungsrahmen vor, über den die 25 EU-Botschafter auf Vorschlag der EU-Kommission sich auch nach monatelangen Beratungen am Donnerstag (29.9.2005) nicht endgültig einigen konnten. Außenminister Abdullah Gül wollte sogar einen Boykott der Beitrittsverhandlungen nicht ausschließen. Österreich will noch den Begriff "privilegierte Partnerschaft" einfügen. Ankara hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es in keine Verhandlungen einwilligen werde, die nicht eine Vollmitgliedschaft zum Ziel haben.

Der zuständige Erweiterungskommissar Olli Rehn hält an dem Verhandlungsrahmen fest: "Dieser Rahmen bietet eine solide Grundlage für die rigorose und faire Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Es ist der strengste Rahmen, den wir je vorgelegt haben." Bis zuletzt ist das eigentliche Ziel der Verhandlungen umstritten. Um allen Bedenken Rechnung zu tragen, heißt es jetzt das gemeinsame Ziel der Verhandlungen sei der Beitritt, aber es handele sich um einen Prozess mit offenem Ende, dessen Ausgang nicht garantiert werden könne.

Ergebnisoffener Prozess

Bundesaußenminister Joschka Fischer hat sich für das
Ziel Vollmitgliedschaft eingesetzt:"Es gibt keinen Automatismus. Es ist ein offener Prozess, allerdings
auf ein klares Ziel hin und nicht auf Zielalternativen hin."

Sollte ein Beitritt am Ende eines mindestens zehnjährigen
Verhandlungsmarathons nicht gelingen, solle die Türkei möglichst vollständig durch starke Bindungen in den europäischen Strukturen verankert werden. Das kommt der "priviligierten Partnerschaft" recht nahe, die Österreich immer noch explizit in den Verhandlungsrahmen schreiben will.

In der Endphase des Ringens um den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Verhandlungsrahmens haben Frankreich und Österreich einen Verweis auf die Gipfelbeschlüsse von Kopenhagen aus dem Jahr
1993 durchgesetzt. Danach sei ein Kritierium auch die
Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union, mehr Staaten zu "verdauen". Douglas Alexander, der britische Europaminister und, glaubt, dass sich beide Seite bewegen werden: "Die Türkei, die irgendwann der Union beitreten wird, wird, offen gesagt, anders aussehen als die heutige Türkei. Es könnte sein, dass auch die Europäische Union sich verändern wird. Der Fortschritt, den die Türkei bis jetzt gemacht hat, ist außergewöhnlich. Die Regierung von Premier Erdogan bleibt weiteren Reformen verpflichtet."

Zypernfrage entscheidend

Haushalt, Institutionen und Verträge der EU müssen der Aufgabe angepasst werden, einen wirtschaftlich rückständigen Staat mit 70 Millionen Einwohnern zu verdauen. Der Verhandlungsrahmen sieht vor, dass das Recht türkischer EU-Bürger auf Freizügigkeit und Arbeitsaufnahme in anderen Mitgliedsstaaten auf Dauer beschränkt werden kann. Die Verhandlungen können wirklich beginnen, wenn sich das Verhältnis der Türkei und des EU-Mitglieds Zypern normalisieren. Das hat das europäische Parlament in einer Entschließung noch einmal deutlich gemacht. Die EU will im kommenden Jahr überprüfen, ob die Türkei die Zollunion mit Zypern umsetzt, dessen Norden es besetzt hält. Sollte das nicht der Fall sein, sollen die Verhandlungen unterbrochen werden.

EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn drängt Ankara mehr Einsicht zu zeigen: "Die Anerkennung aller Mitgliedsstaaten ist ein nötiger Bestandteil des Beitrittssprozesses. Deshalb unterstreichen wir, dass die Türkei ihre Beziehungen zu allen Mitgliedern so schnell wie möglich normalisieren muss."

In den nächsten Monaten wird die EU-Kommission zunächst eine Art Kassensturz machen und den Stand der Reformen in der Türkei überprüfen. Danach beginnt eine Regierungskonferenz aller 25 EU-Staaten, inklusive Zyperns, mit der Türkei, so Douglas Alexander, der britische Europaminister: "35 Verhandlungskapitel müssen abgeschlossen werden. Weitere Reformen werden notwendig sein. Einige Mitgliedsstaaten haben bereits Referenden zum Beitritt angekündigt."

EU-Beitritt hat strategische Bedeutung

Die 35 Kapitel umfassen sämtliche Politikfelder der EU und 80.000 Seiten Gesetzestexte und müssen jeweils einstimmig gebilligt werden. Jedes Mitgliedsland hat also theoretisch 35 mal ein Vetorecht. Danach wird ein Beitrittsvertrag aufgesetzt, der dann von den Mitgliedsstaaten und der Türkei ratifiziert werden muss. Zurzeit sind laut Meinungsumfragen 70 Prozent der EU-Bürger gegen einen Beitritt.

Die Europäische Union sieht in der Aufnahme der Türkei eine strategische wichtige Einbindung eines säkularen, aber islamisch geprägten Landes in die westliche Wertegemeinschaft, so Bundeskanzler Gerhard Schröder, der sich zuletzt im deutschen Wahlkampf für die Türkei stark gemacht hat: "Wenn wir es schaffen, die Türkei so fest an den Westen zu schaffen, dass sie nicht mehr los kann, wenn wir es schaffen, einen nicht-fundamentalistischen Islam zu verbinden mit westlichen Werten, dann haben wir in Deutschland einen Sicherheitszuwachs, der gar
nicht aufzuwiegen ist."

Türkei erhofft sich wirtschaftliche Fortschritte

In der Türkei allerdings werden als Hauptgrund für den angestrebten Beitritt eher wirtschaftliche Gründe genannt. Schließlich ist die Türkei seit 1952 sicherheitspolitisch durch die NATO schon lange an die USA und Europa gebunden. Vor 46 Jahren stellte die Türkei den ersten Aufnahmeantrag in die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Jetzt wird der historische Schritt getan, der das Antlitz der Europäischen Union für immer verändern könnte, denn schließlich wäre die Türkei heute schon der zweitgrößte Mitgliedstaat nach Deutschland.