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Der Weg zur "Grünen Wirtschaft" ist weit

Matilda Jordanova-Duda
21. Februar 2022

Für den grünen Umbau von Wirtschaft und Energieversorgung fehlen viele Tausend Fachkräfte. Wer soll die ehrgeizigen Pläne von Wirtschaftsminister Habeck umsetzen? Ein Ausbau der Lehre und mehr Zuwanderung sollen helfen.

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BdT | Deutschland | Photovoltaik-Park liefert Strom für die Deutsche Bahn
Bild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Allein für den Neubau von Photovoltaikanlagen brauche es rund 200.000 zusätzliche Fachkräfte - sowohl im Ingenieursbereich als auch im Handwerk, hat Professor Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft ausgerechnet. "Wir haben unendlich viele offene Positionen", sagt auch Kerstin Andreae, Geschäftsführerin des Bundesverbands der Energiewirtschaft (BDEW).

Um mehr Nachwuchs für ein Studium mit dem Schwerpunkt "Regenerative Energien und Energieeffizienz" zu gewinnen, hat deshalb ein Netzwerk aus Hochschullehrern und -lehrerinnen Ende Januar zum ersten Mal einen gemeinsamen Infotag unter dem Namen StudyGreenEnergy organisiert. Auf einer interaktiven Landkarte konnten sich Interessenten informieren, welche Studiengänge es im deutschsprachigen Raum gibt, einen virtuellen Einblick in die Werkstätten und Labore erlangen und mit den Lehrkräften reden.

Das Netzwerk (FAHS) existiert seit 2005 und umfasst rund 130 Lehrkräfte unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie. "Die unterschiedlichen Schwerpunkte bei den Studiengängen zeigen die ganze Vielfalt der Branche: Wir empfinden uns nicht als Konkurrenz, sondern ziehen an einem Strang", sagt Prof. Klaus Vajen von der Uni Kassel als FAHS-Sprecher. Im Juni soll es einen weiteren Infotag geben, später vielleicht auch jedes Jahr zwei. Zwischendurch können sich die potentiellen Bewerber und Bewerberinnen auf der interaktiven Landkarte umschauen.

Wasserstoff betriebenes BHKW
Optimierungen eines wasserstoffbetriebenen Blockheizkraftwerkes an der Technischen Hochschule Amberg-WeidenBild: OTH Amberg-Weiden

Das Image entscheidet mit

"Wir sind ein Frühwarnsystem": Prof. Sandra Rosenberger unterrichtet an der Hochschule Osnabrück "Nachhaltige Energietechnik". Sie sieht eine deutliche Diskrepanz zwischen der Anzahl der Studierenden und dem Arbeitsmarktbedarf. Industrie, Stadtwerke und Projektentwickler suchten händeringend Leute.

Studierende, die ihre Abschlussarbeit in einem Unternehmen schreiben, blieben dann einfach da "Sie bekommen unglaublich attraktive Angebote und kommen oft gar nicht wieder, um ihren Master zu machen und erst recht nicht, um zu promovieren".

Diese Erfahrung teilen auch ihre Kollegen beim FAHS. Das Problem sei unter anderem durch die Politik verursacht, die den Ausbau der Erneuerbaren Energien im letzten Jahrzehnt ausgebremst hatte. "Große Windkraft- und Solarunternehmen haben Tausende Stellen abgebaut: Das hat viele abgeschreckt", vermutet Prof. Peter Vennemann von der Fachhochschule Münster. "Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wurde von der Bundesregierung lange nicht als Hoffnungsträger, sondern als Kostenfaktor diskutiert", kritisiert Prof. Vajen: "Es gab bis 2011 deutlich mehr Studienplatzbewerber und danach einen Einbruch. Das Image ist ein entscheidender Punkt".

Mehr Interesse bei Ausländern

"MINT-Fächer gelten als trocken und mathematisch und für die Umsetzung der Energiewende nicht unbedingt notwendig", weiß Prof. Rosenberger aus zahlreichen Schulprojekten. Die Jugendlichen glaubten, Technik gebe es genug, nur die Politik müsse sich noch bewegen. "Wir müssen deutlich machen, dass noch viel mehr Technik nötig ist und die attraktive Arbeitssituation erläutern".

Hoffnung setzen die Netzwerker in die ausländischen Studierenden, "die wir eventuell hier halten können". Das Interesse aus dem Ausland an den einschlägigen Studiengängen sei sehr groß. Zudem hat Deutschland sehr liberale Regelungen für Absolventen und Absolventinnen hiesiger Hochschulen, die Arbeit suchen.

Das wird aus der Sicht deutscher Startups nicht reichen. Fast ein Drittel der Gründer bezeichnen die Personalsuche laut ihres Bundesverbands bereits als die größte Hürde. Viele dieser Jungunternehmen sind in der Cleantech-Branche oder wollen die Digitalisierung vorantreiben und den Energieverbrauch senken.

In den kommenden Monaten wollen die Startups im Schnitt neun Mitarbeitende rekrutieren. Schon heute kommen 28 Prozent der Beschäftigten in den jungen Technunternehmen aus dem Ausland. Mehr als ein Fünftel der Gründer und Gründerinnen haben selbst eine Migrationsgeschichte.

Rosenberger Solarthermiemodul
Studierende in Osnabrück diskutieren mit Sandra Rosenberger (Mitte) die Standortwahl einer SolarthermieversuchsanlageBild: Uni Osnabrück

Startups fordern ein Tech-Visum

David Hanf, beim Heizungsbau-Startup Thermondo für Finanzen und Personal zuständig, sieht einen harten internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe. Hanf fordert bessere Rahmenbedingungen: attraktivere Möglichkeiten für Mitarbeiterbeteiligung und unkomplizierte Visa-Verfahren. Etwa "ein Tech-Visum, das im Falle eines abgeschlossenen Arbeitsvertrags innerhalb von 30 Tagen gewährt wird. Wir sind als Land attraktiv und wir sind ein Land, welches Zuwanderung braucht und begrüßt. Häufig sind es die Dauer und die Komplexität der Verfahren, die Startups bremsen"".

Für akademisch Gebildete hat Deutschland sehr fortschrittliche Regelungen im internationalen Vergleich und hat in den letzten Jahren mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz den Arbeitsmarkt auch für Migranten mit beruflicher Bildung geöffnet. Allein: Die Umsetzung lässt noch zu wünschen übrig. Zudem mindern die Corona-Reisebeschränkungen und der heruntergefahrene Botschaftsbetrieb den Zuzug von Qualifizierten.

Gleichwertige Bildungsabschlüsse bleiben wichtig

"Einreiseregeln sind nicht alles, vor allem für umworbene Fachkräfte", so der Sachverständigenrat Integration und Migration (SVR). Eine große Rolle spielen auch das Nettoeinkommen, die Lebensbedingungen und die Willkommenskultur. "Wir brauchen eine bessere Informationsvermittlung, eine kürzere Dauer der Visaverfahren und sonstiger Anträge und Förderung, z. B. für das Deutschlernen".

Auf den Nachweis gleichwertiger Bildungsabschlüsse darf man nicht verzichten, empfiehlt der SVR, denn diese gewährleisteten den Verbraucherschutz und erleichterten den Arbeitgeberwechsel. Die Experten plädieren jedoch dafür, gezielte Nachqualifizierung zu ermöglichen und Berufserfahrungen anzurechnen.