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Mode-Metropole

18. Januar 2012

Inoffiziell geben Berliner Hipster deutschlandweit den Ton in Sachen Modetrends an. Aber auch der offizielle Modebetrieb in der deutschen Hauptstadt hat zu alter Stärke wiedergefunden. Die Fashionweek zeigt das.

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Model auf dem Laufsteg für "Sisi Wasabi" im Juli 2007 (Foto: AP)
Seit 2007 gibt es wieder einen Catwalk in BerlinBild: AP

Manche Leute, zugegebenermaßen vorwiegend in esoterisch angehauchten Kreisen, sprechen von einem Geist, der eine Stadt ausmache. Wer dieser Geist genau sein soll, das sei dahingestellt. Im Fall Berlin aber kann man sagen, dass der Mode-Geist vergangener Jahrhunderte wieder wach und äußerst lebendig geworden ist.

Seinen großen Auftritt hat dieser Geist seit einigen Jahren regelmäßig auf der im Januar und Juli veranstalteten Modewoche, neudeutsch: Fashionweek.

Fünf Messen in vier Tagen

Typische Streetware auf der "Bread & Butter" (Foto: dpa)
Typische Streetwear auf der "Bread & Butter"Bild: picture-alliance/dpa

Von Mittwoch (18.01.2012) an bis zum 21. Januar 2012 findet die zehnte Ausgabe der vielbesuchten Mode-Veranstaltung statt. Die Fashionweek besteht - genau genommen - aus fünf Einzelmessen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht die "Mercedes Benz Fashion Week" in einem langen Zelt am Brandenburger Tor. Hier werden schicke Kollektionen bekannter Designer und Label vor aufgeregtem Publikum auf dem klassischen Catwalk, also Laufsteg gezeigt - so wie das in New York, Mailand, Paris und London auch gemacht wird.

Berlins Modezar Michael Michalsky (Foto: DW-TV)
Berlins Modezar Michael MichalskyBild: 2011 Getty Images

Bei der "Bread & Butter" auf dem ehemaligen Gelände des Flughafens Tempelhof steht die sportlichere Streetwear im Mittelpunkt - übrigens ein immer wichtiger werdendes Segment der Mode, gerade auch für Berlin. Die Grenzen zwischen diesen beiden Mode-Segmenten seien fließend, sagte jüngst Berlins Modezar Michael Michalsky in einem Zeitungsinterview, und würden weniger von den Kunden, sondern eher von den Branchenleuten gezogen.

Um die eher schicke Kundschaft kümmert sich auf der Berliner Modewoche auch die "Premium"-Messe. Die "Seek" widmet sich dem Nachwuchs. Auf der "Bright" dreht sich alles um Street- und Skatewear. Daneben finden dutzende kleinere Mode-Veranstaltungen in Hotels, Konzerträumen und Galerien statt.

Highlight für die Tourismuswirtschaft

"VisitBerlin", die offizielle Tourismus- und Marketing-Gesellschaft Berlins, rechnet mit 200.000 zusätzlichen Besuchern zur Fashionweek, die für 100 Millionen Euro Umsatz in Hotels, Restaurants und Kultureinrichtungen sorgen sollen.

"Doch es zählen nicht nur die wirtschaftlichen Effekte", sagt Christian Tänzler, Pressesprecher bei "VisitBerlin", "sondern auch der Imagegewinn für die Stadt". Vor zehn Jahren sei es noch unvorstellbar gewesen, dass Berlin als bedeutende Modestadt wahrgenommen wird. Aber das habe sich geändert. Heute sei das Interesse aus dem In- und Ausland riesig. "Denn es gibt in der deutschen Hauptstadt eine einzigartige Mischung aus Mode und Avantgarde."

Wie alles begann

Modeausstellung am Kaiserdamm Berlin-Charlottenburg (Foto, um 1925)
So wurde im Jahr 1925 Mode für die Dame präsentiertBild: picture-alliance/akg-images

Avantgardistischer als anderswo war die Modeszene in Berlin wohl schon immer, wenn auch anfangs auf einem ganz anderem Gebiet: 1837 wurden in der aufstrebenden preußischen Stadt an der Spree erstmals Kleidungsstücke in Standardgrößen auf Vorrat für ein anonymes Publikum hergestellt. Das war damals die weltweite Geburtstunde der industriellen Mode-Produktion und löste einen wahren Modeboom in der Stadt aus. Schon 1849 arbeitete jeder fünfte Berliner im Textil- und Bekleidungsgewerbe. Mode aus Berlin wurde zum Qualitätssiegel - der "Berliner Mantel" zum Beispiel erlangte Weltruhm.

Jüdische Textilgeschäfte am Hausvogteiplatz im Jahr 1930
Das Herz der Berliner Mode schlug am Hausvogteiplatz - hier 1930 bei ersten Übergriffen auf die jüdischen GeschäfteBild: picture-alliance

In den 1860er-Jahren übernahmen erstmals "Vorführfräuleins" das Präsentieren der Kreationen. 1902 fand die erste offizielle Modenschau statt, wenig später startete die erste Modewoche unter dem Namen "Die Durchreise". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete sich - im harten Konkurrenzkampf mit Paris - das noch heute übliche Modebusiness heraus.

Bis zum Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Berlin zum führenden europäischen Modezentrum und verkaufte sich erfolgreich als "Modestadt".

Geteilte Stadt

Von der jüdisch geprägten Mode-Wirtschaft war nach dem Krieg kaum etwas übrig geblieben. Das einstige Mode-Zentrum am Hausvogteiplatz lag nun im sowjetisch besetzten Teil der Stadt. Und dennoch ging es schnell wieder aufwärts.

Modenschau vor d. Brandb. Tor, 1960 Mode: Damenmode 1960. - Modenschau mit Modellen von Heinz Oestergaard vor dem Brandenburger Tor in Berlin (Foto von 1960. E: Fashion Show)
Modenschau von Heinz Oestergaard vor dem Brandenburger Tor im März 1960Bild: picture-alliance/akg-images

Schon in den 1950er-Jahren war Berlin wieder der wichtigste deutsche Produktionsstandort für Mode. Designer wie Heinz Oestergaard entwarfen Mode auf Weltniveau.

Doch mit dem Mauerbau und der Teilung der Stadt 1961 endete dieser hoffnungsvolle Neuanfang. Denn die billigen Schneiderinnen aus Ost-Berlin fehlten und viele Firmen verließen die Frontstadt des Kalten Krieges. Der Modestandort Berlin war tot. Nur in Ost-Berlin gab es noch das DDR-Modeinstitut, das international allerdings wenig Erfolg hatte.

Ost-Berliner Avantgarde

In den Bezirken Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain gründeten sich in den 1980er-Jahren avantgardistische Modetheater, die selbstgeschneiderte Mode in schrägen Shows präsentierten und recht populär wurden. Sie hießen "Allerleirau", "Zeitgeist" oder "ccd". Mit ihnen begann das experimentelle Zusammenspiel von Mode und Kunst, das noch heute den typischen Berliner Modestil ausmacht.

Nach dem Fall der Mauer kamen in den 1990er-Jahren Designer aus ganz Deutschland und Europa ins angesagte Berlin, arbeiteten in billigen Hinterhof-Ateliers, nähten Techno-T-Shirts, entwarfen erste Kollektionen und zogen neugierige Blicke auf sich.

Im Jahr 2003 zog schließlich die "Bread & Butter" von Köln nach Berlin - das war der Durchbruch für die neue Modemetropole. Vier Jahre später kam die "Mercedes Benz Fashion Week" hinzu und sorgte für internationalen Glamour, Stars und große Firmen.

Der Geist ist aus der Flasche

Der britische Schauspieler Rupert Everett auf der Fashionweek Juli 2007 (Foto: dpa)
Viele Prominente wie der britische Schauspieler Rupert Everett kommen extra zur Fashionweek nach BerlinBild: picture-alliance/dpa

Deutschlandweit hat sich Berlin seinen Spitzenplatz in der Mode wiedererobert. Hier gibt es die meisten Modeläden und Boutiquen. Die Fashionweek ist die größte Modemesse Deutschland. Fast 4000 Unternehmen mit 12.000 Beschäftigten sind nach Angaben der Investitionsbank Berlin in der deutschen Hauptstadt ansässig.

Die Umsätze liegen mit knapp zwei Milliarden Euro allerdings noch hinter München. Was auch daran liegt, dass Berliner Mode oft vergleichsweise günstig ist und nicht von einer Schickeria, sondern von jungen Leuten geprägt wird. Dafür sorgen auch die neun Modeschulen der Stadt, die immer neue Designer ausbilden und auf den Markt entlassen. "Mode ist nicht, wenn irgendwelche Trullala-Tussis in irgendwelchen tollen Kleidern herumlaufen", sagte Michael Michalsky in einem DW-Interview bei der letzten Fashionweek. "Berlin is real und real ist cool."

Es spricht viel dafür, dass sich Berlin als führender Modestandort dauerhaft etabliert. Denn es gibt eine hervorragende Mode-Infrastruktur. Zudem ist das internationale Interesse an der dynamischen Kreativität in der Stadt riesig, immer mehr junge Menschen aus der ganzen Welt ziehen nach Berlin. Außerdem ist die Berliner Kundschaft wohlhabender geworden, was gut für die Umsätze ist, obwohl viele junge Designer ihren Hauptumsatz längst in Asien und Amerika machen. Und schließlich gibt es ja noch den Mode-Geist der Stadt, der wohl zur deutschen Metropole dazugehört wie die Curry-Wurst und das Brandenburger Tor.

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Peter Stützle