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Ziemlich neue Freunde

Daphne Grathwohl14. Mai 2012

Nach Sarkozy steht der konservativen deutschen Kanzlerin nun der Sozialist Hollande gegenüber. Das muss kein Nachteil sein: Schon früher arbeiteten Regierungschefs unterschiedlicher politischer Couleur gut zusammen.

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Frankreichs neuer Präsident François Hollande im Auto (Foto: REUTERS)
Bild: Reuters

Ein vertrauter Spaziergang am Strand von Deauville, konspirative Treffen und Telefonate, vielsagende Blicke auf Pressekonferenzen – an diese Bilder wird man sich erinnern, wenn man an "Merkozy" denkt, also an das deutsch-französische Duo aus der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Man wird sich daran erinnern, wie sie in vielen Nachtsitzungen über der Lösung der Euro-Krise brüteten, wie sie versuchten, den europäischen Karren gemeinsam aus dem Schuldensumpf zu ziehen.

"Merkozy" ist Geschichte

Doch diese Zeiten sind vorbei. Der konservative Sarkozy ist abgewählt, zugunsten des Sozialisten Francois Hollande. Der wird nach seiner Amtseinführung am Dienstag (15.5.2012) in Paris noch am gleichen Abend in Berlin erwartet. Es wird sich zeigen, ob aus "Merkozy" auch "Merkollande" werden kann. Solche Namenskombinationen sind nicht neu: Als der Sozialist François Mitterand beispielweise den SPD-Kanzler Helmut Schmidt in seiner Politik zum Nato-Doppelbeschluss unterstützte, bezeichnete die Presse das Politiker-Duo als "Schmitterand".

Noch enger allerdings arbeiteten Regierungschefs beider Länder zusammen, die gerade nicht derselben politischen Richtung angehörten – und das liege daran, dass Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich für die europäische Zusammenarbeit positiv seien, erklärt Claire Demesmay, die bei der Berliner Gesellschaft für Auswärtige Politik für deutsch-französische Beziehungen zuständig ist: "Wir arbeiten gut zusammen, weil wir unterschiedliche Positionen vertreten und dadurch die ganze Europäische Union abbilden können."

Illusion der Nähe

Wichtig sei dabei die Fähigkeit, Kompromisse eingehen zu können, meint die Wissenschaftlerin. Außerdem könne man die deutschen und die französischen Konservativen ebenso wenig vergleichen wie die deutschen und französischen Sozialdemokraten respektive Sozialisten. "Bei der Zusammenarbeit von Regierungen gleicher Couleur gibt es das Risiko, dass man eine Illusion der Nähe schafft, die dann zu Missverständnissen führt", so Claire Demesmay. So sehen die französischen Sozialisten etwa die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) ganz anders als die Sozialdemokraten in Deutschland: Erstere forderten, dass die EZB auch Geld an Staaten zahlt, letztere halten das für undenkbar.

Die deutsch-französische Freundschaft ist die Basis der europäischen Integration, wie schon 1950 der damalige französische Außenminister und spätere erste Präsident des Europäischen Parlaments Robert Schuman erklärte: "Die Vereinigung der europäischen Nationen erfordert, dass der jahrhundertealte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht wird. Das begonnene Werk muss in erster Linie Deutschland und Frankreich erfassen."

Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte anfänglich mit René Coty und Vincent Auriol zwei parteilose Gegenüber auf Regierungschef-Ebene. Dann folgte Charles de Gaulle. "Adenauer und de Gaulle haben die Versöhnung zwischen den beiden Ländern eingeleitet und die Basis der deutsch-französischen Beziehungen und damit für Europa gelegt", sagt Claire Demesmay. Anfang 1963 unterzeichneten die beiden Staatschefs den Elysée-Vertrag, der den Grundstein der deutsch-französischen Zusammenarbeit insbesondere in außen- und sicherheitspolitischer sowie in europapolitischer Hinsicht legte. Ein weiterer Schwerpunkt war die gemeinsame Jugend- und Kulturpolitik.

Die Beziehungen zwischen Charles des Gaulle und seinen deutschen Amtskollegen Kurt Georg Kiesinger beziehungsweise Ludwig Erhardt waren - trotz gleicher konservativer Ausrichtung - nicht besonders intensiv. Auch der sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt fand mit dem konservativen französischen Präsidenten Georges Pompidou überwiegend keine gemeinsame Linie.

Kerneuropa und Kamingespräche

Eine neue Ära der deutsch-französischen Beziehungen brach 1974 an, als Helmut Schmidt von der SPD Kanzler wurde und auf den französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing von der bürgerlich-liberalen Union pour la démocratie française (UDF) traf. Die beiden Spitzenpolitiker hatten mit der Ölkrise und ihren Folgen zu kämpfen und hegten - trotz unterschiedlicher politischer Prägung - ähnliche wirtschaftspolitische Handlungsstrategien. Auch deshalb etablierten sie die informellen Kamingespräche der G7 auf Schloss Rambouillet. Und sie legten unter anderem den Grundstein für ein europäisches Währungssystem, das schließlich zur gemeinsamen Währung führte, dem Euro.

Einen wohl noch engeren Zusammenschluss beider Staaten schufen Helmut Kohl und François Mitterand, die ebenfalls unterschiedlichen politischen Strömungen angehörten. Unter ihrer Ägide entstanden zukunftsweisende europäische Gremien und Instrumente: 1986 begründete die Durchsetzung wirtschaftlicher Grundfreiheiten - des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, des freien Personenverkehrs und des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs - den europäischen Binnenmarkt. Bis heute ist er die wirtschaftliche Basis der Europäischen Union.

Versöhnung, Kooperation und Freundschaft

Die EU wurde mit dem Vertrag von Maastricht 1992 gegründet, ebenfalls in der Ära Kohl-Mitterrand, und auch die im Elysée-Vertrag zugrunde gelegte sicherheitspolitische Zusammenarbeit wurde ausgeweitet: Seit 1988 treffen sich beim deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungsrat halbjährlich die Außen- und Verteidigungsminister beider Länder, und der französische Generalstabschef und der Generalinspekteur der Bundeswehr. Ebenso wurde der Wirtschafts- und Finanzrat ins Leben gerufen. Und nicht zuletzt stellten sich die beiden Staatsmänner auf dem Schlachtfeld von Verdun gemeinsam der schwierigen Vergangenheit der beiden Staaten.

In der Zeit, in der der Franzose Jacques Chirac und der Deutsche Gerhard Schröder auf Regierungsebene zusammenarbeiteten, institutionalisierte sich die Kooperation weiter: Die so genannten Blaesheim-Treffen zwischen den Regierungschefs finden seit 2001 etwa alle acht Wochen statt - bis heute. Über den Vertrag von Nizza und die Reform der europäischen Institutionen sollen beide dagegen gestritten haben.

Frankreich-Expertin Claire Demesmay glaubt letztlich, dass die meisten deutsch-französischen Regierungschefs auch ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt hätten - auch wenn das für die gute Zusammenarbeit nicht unbedingt erforderlich sei.


Der französische Präsident Francois Mitterrand (l) und Bundeskanzler Helmut Kohl (r) reichen sich über den Gräbern von Verdun die Hand (Foto: dpa)
... ebenso wie Mitterrand und Kohl, die sich in Verdun die Hände reichtenBild: picture-alliance/ dpa
Bundeskanzler Konrad Adenauer (li) und Staatspräsident Charles de Gaulle umarmen sich nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags (Foto:ddp /AP)
Adenauer und de Gaulle stehen für die deutsch-französische Aussöhnung...Bild: AP
Robert Schuman, der ehemalige Außenminister Frankreichs (Foto: ddp /AP)
Ein Europäer der ersten Stunde - Robert SchumanBild: AP
Dr. Claire Demesmay, Leiterin des Programms Frankreich und deutsch-französische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
Glaubt, dass auch Hollande und Merkel gut kooperieren werden - Frankreich-Expertin Claire DemesmayBild: DGAP
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy auf dem Roten Teppich vor dem Bundeskanzleramt in Berlin bei ihrem ersten Treffen 2007. (Foto: ddp /AP)
Erst lief er stockend, dann wie geschmiert - der deutsch-französische Motor unter Merkel und SarkozyBild: FRANKA BRUNS/AP/dapd