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Deutsch-indische Beziehungen: "Alles klar, alles gut!"

25. Oktober 2024

Inmitten von geopolitischen Spannungen setzt Deutschland auf die Vertiefung der deutsch-indischen Partnerschaft. Doch eigentlich ging es bei den siebten Regierungskonsultationen zwischen beiden Ländern um noch mehr.

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Plakat mit Scholz und Modi am Straßenrand, ein Motorroller fährt vorüber
Scholz und Modi, derzeit allgegenwärtig auf Neu Delhis StraßenBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Wer dieser Tage durch Neu Delhi fährt, wird dem kühlen Blick des deutschen Bundeskanzlers nicht entkommen. Entlang mehrerer großen Straßen der indischen Hauptstadt hängen Plakate mit dem Gesicht des prominenten Gastes aus Deutschland. Olaf Scholz und seine Minister kamen mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach Neu Delhi, um für mehr Zusammenarbeit zu werben.

Berlin umwirbt Indien

Am Ende gab es 27 Vereinbarungen, bei den es um Kooperation in Forschung, bei erneuerbaren Energien und bei der Sicherheit ging. Scholz drückte auch aufs Tempo beim Freihandelsabkommen, das seit 17 Jahren zwischen Indien und der EU verhandelt wird. "Jetzt ist die Zeit, das nach so langen Jahren der Verhandlungen zum Abschluss zu bringen", sagte Scholz nach den Gesprächen in Neu Delhi.

Die Bundesregierung warb auch um indische Fachkräfte. Knapp 140.000 Inder arbeiten schon in Deutschland, doch es sollen weit mehr werden, vor allem in der Pflege und IT-Branche. Während in Indien - mittlerweile dem bevölkerungsreichsten Land der Welt - jeden Monat rund eine Million Arbeitskräfte neu auf den Arbeitsmarkt kommen, braucht Deutschland solche händeringend.

Hubertus Heil und ein Inder mit Turban zeigen in Richtung der Kamera
Charmeoffensive mit potentiellen Fachkräften? Bundesarbeitsmnister Heil mit Indern am Rande eines Cricketspiels in Berlin (14.10.2024)Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Bei der Wirtschaft ging es aber auch um Investitionen, da man angesichts der politischen Entwicklung in China mehr diversifizieren will. Indien ist da eine gute Alternative. Das Land sei "ein Stabilitätsanker in Südostasien", sagte Olaf Scholz anerkennend bei einer Pressebegegnung mit Ministerpräsident Narenda Modi.

Indien - ein Player mit viel Potential

Experten sprechen von einer Neubewertung Indiens durch die Bundesregierung, was die kürzlich veröffentlichte Indien-Strategie nur bestätigt. Während Deutschland bei China eher eine defensive Haltung einnimmt, liest sich das Papier zu Indien wie eine Ode an den Pragmatismus. Kritische Punkte im Bezug auf den wachsenden Nationalismus werden nur am Rande erwähnt. Stattdessen dreht sich alles um die Frage: Wie nutzen wir schnellstmöglich die Chancen der Annäherung?

Indien und Deutschland suchen neue Partnerschaft

Indiens Wirtschaftsprognosen beeindrucken - und wenn das Wachstum weiterhin stabil bleibt, könnte es 2030 Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt überholen. Deutschland sieht darin viel Potential. Wie schnell die deutsche Wirtschaft darauf reagieren wird, ist allerdings unklar. Die Investitionen im benachbarten China sind nach wie vor ums Mehrfache höher. "Am Ende wird man beide brauchen. Das große Interesse an China wird bleiben, aber Indien wird ein zunehmend interessanter Spieler", sagt Christian Kastrop vom Berliner Think Tank "Global Solution Initiative". "Player wie Indien sind für Deutschland nicht nur ökonomisch interessant, sondern auch politisch."

Der neue Riese im Indopazifik-Raum sieht sich längst in Gesprächen mit Vertretern des Westens als die Stimme des Globalen Südens. Indien ist Mitglied der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, neu dazu kamen kürzlich: Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate) und der G20 (wichtigste Industrie- und Schwellenländer). Außerdem beansprucht es ähnlich wie Japan, Deutschland und Brasilien einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Der indische Ministerpräsident unterhält gute Beziehungen zu Ländern, mit denen andere nicht mehr sprechen, wie Russland.

Narendra Modi und Olaf Scholz gehen gemeinsam nebeneinander
Partner oder schon freunde? Bundeskanzler Scholz (r.) und Ministerpräsident ModiBild: Markus Schreiber/AFP/Getty Images

Scholz und Modi - zwei Pragmatiker

Modi legt großen Wert darauf, dass Indien neutral bleibt und somit verurteilte sein Land bisher nicht den russischen Angriff auf die Ukraine. Wenige Tage vor dem deutsch-indischen Gipfel in Neu Delhi kehrte Modi vom BRICS-Gipfel im russischen Kasan zurück, wo er erneut den russischen Präsidenten Wladimir Putin umarmte.

Scholz sieht es pragmatisch - vielleicht auch, weil er in der diplomatischen Balance von Modi auch eine Chance sieht. Der Inder bot sich als Vermittler bei den Bemühungen für ein Ende des Krieges an. "Es ist gut, dass zum Beispiel ein Land wie Indien den festen Willen hat, hilfreich zu sein, um dabei weiterzukommen", sagte Scholz zu Modis Vorschlag und fügte hinzu: Indien könne "auch wirklich eine gute Rolle spielen". Als der Kanzler den Satz sagt: "dieser Krieg muss endlich ein Ende finden", nickt Modi neben ihm.

Scholz warnt davor, die wachsende Bedeutung und den anderen Blick der Länder des Südens als Problem zu sehen. Deutschland, Europa und die so genannten klassischen Industrieländer müssen sich darauf einstellen, dass Indien, Südafrika oder Brasilien die Partner für die Welt von morgen seien. "Diese Partnerschaft muss man jetzt vorbereiten", so der Kanzler.

Militärische Kooperation immer enger

Das hört man gerne in Neu Delhi, wo es einige Erwartungen an Deutschland gibt: "Indien will für Deutschland der Partner der Wahl sein", sagte Ummu Salma Bava vom Centre for European Studies an der Jawaharlal Nehru University im Gespräch mit der DW. Die Erwartungen gehen in Richtung Wirtschaft, aber auch Verteidigung.

Bei den Regierungskonsultationen ging das offenbar auf. Unter den unterzeichneten Vereinbarungen war ein Geheimschutzabkommen, das einen vertraulichen Informationsaustausch zwischen Behörden und Unternehmen ermöglicht. Außerdem wollen Indien und Deutschland künftig auch militärisch enger zusammenarbeiten.

Mehrere Interkontinentalraketen präsentiert während einer Militärparade
Indien will mit China militärisch mithalten - Peking demonstriert seine Fähigkeiten auf einer Militärparade (Archivbild)Bild: Jason Lee/REUTERS

Indien braucht modernste Waffen. Der Nachbar im Norden, China, modernisiert im rasanten Tempo sein Militär, Indien will nachziehen, um seine Grenze sowie lebenswichtige Handelskorridore im Indopazifik besser zu schützen. Bisher kauft Neu Delhi einen Großteil seiner Waffen in Russland, doch diese Abhängigkeit würde man dort gerne reduzieren. Die Bundesregierung hatte zuletzt einen Deal über den Bau von sechs modernen U-Booten für die indische Marine abgeschlossen.

Lange war Berlin wegen der strengen nationalen Gesetze für die Ausfuhren sensibler Militärtechnologie zurückhaltend, doch das Interesse an einem stabilen und militärisch von Putin unabhängigen Indien ist auch in Deutschland groß. Beide Ländern führen auch aktuell gemeinsame Manöver im indopazifischen Raum durch. In Neu Delhi freut man sich darüber. Oder wie Narendra Modi es bei dem Pressetermin mit Olaf Scholz auf Deutsch auf den Punkt brachte: "Alles klar, alles gut!"