Deutsche Autobauer setzen auf Diesel
5. Dezember 2018Wer in Deutschland ein Auto mit einem nicht ganz modernen Dieselmotor fährt, dem drohen im kommenden Jahr Einschränkungen. In 65 Städten und Kommunen wird der Grenzwert für Stickoxid von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft weiter überschritten. Gerichte haben angeordnet, dass es in diesen Regionen Fahrverbote für Dieselautos geben soll. Betroffenen Autofahrern bleibt kaum eine Wahl. Wenn sie mobil bleiben wollen, müssen sie sich ein neues Auto kaufen - oder bis 2020 warten.
So lange wird es nämlich dauern, bis sogenannte Hardware-Nachrüstungen machbar sein werden. Den Automobilbauern ist das nur Recht. Die Verursacher der Dieselkrise haben von Anfang an auf Zeit gespielt. In der Hoffnung, dass die meisten betroffenen Dieselfahrer irgendwann mürbe werden. Denn der Kauf eines Neuwagens lässt auch mit der in Aussicht gestellten Umtauschprämie die Kassen der Hersteller klingeln. Eine Nachrüstung verursacht ihnen lediglich Kosten.
Elektroauto? Nein, Diesel!
Für die Neuanschaffung hält der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) ein klare Empfehlung parat. "Wir werben dafür, dass der Dieselanteil wieder steigt", so VDA-Präsident Bernhard Mattes. Moderne Diesel-Pkw der Euro 6d-temp-Norm hätten auch auf der Straße sehr geringe Stickoxid (NOX)-Werte. "Schon heute gibt es über 1200 Modelle, Benziner und Diesel, auf dem Markt, davon kommen über 700 von deutschen Konzernmarken", sagt Mattes. Zwei Drittel der Diesel, die im November in Deutschland neu zugelassen wurden, sind laut VDA Euro-6d-temp.
Der zuletzt stark gesunkene Diesel-Anteil an den Neuzulassungen müsse schon aus Klimaschutzgründen wieder steigen, argumentiert Mattes. "Wir dürfen den Blick auf CO2 vor lauter Diskussionen über Stickstoffdioxid nicht verstellen". Diesel-Antriebe stoßen zwar mehr Stickstoffdioxid aus, verbreiten aber weniger klimaschädliches Kohlendioxid als Benziner. Die Zukunft des Autos sei zwar vor allem elektrisch, so Mattes, aber die Debatte dürfe nicht auf ein "entweder-oder" verkürzt werden. "Der Verbrennungsmotor wird noch lange gebraucht."
Es mangelt an Ladestationen
Aber wie lange noch? Volkswagen hat jetzt konkrete Ausstiegsdaten bekannt gegeben. "Im Jahr 2026 beginnt der letzte Produktstart auf einer Verbrennerplattform", sagte VW-Chefstratege Michael Jost auf einer Veranstaltung des Handelsblatts in Wolfsburg. VW setze künftig wie die gesamte Branche vornehmlich auf Elektroantriebe und rechne damit, die letzten Verbrenner etwa um 2040 zu verkaufen. Demnach dürften die letzten neuen Modelle als Benziner oder Diesel in den frühen 2030er-Jahren auf den Markt kommen.
VDA-Präsident Mattes sieht große Hürden beim Wachstum der Elektromobilität allerdings in den immer noch mangelhaften Rahmenbedingungen in Deutschland. Insbesondere die Ladeinfrastruktur müsse stärker ausgebaut werden. Derzeit hat Deutschland 13.500 öffentlich zugängliche Ladepunkte, nur 900 davon sind für das schnelle Laden geeignet. Während sich in Oslo 450 Einwohner eine Ladestation teilen, sind es in Berlin 4500. In vielen anderen EU-Ländern sei die Ladeinfrastruktur noch weniger ausgeprägt, so Mattes.
Jedes zweite Elektroauto in der EU kommt aus Deutschland
Der VDA-Präsident betont, die deutsche Automobilindustrie habe ihre Hausaufgaben gemacht. "Sie verdreifacht in den kommenden drei Jahren ihr Angebot an E-Modellen auf 100. Sie investiert bis dahin 40 Milliarden Euro in alternative Antriebe und sie ist Spitzenreiter bei alternativen Antriebspatenten." Weltweit kommt jedes dritte Patent im Bereich Elektromobilität und Hybridantrieb aus Deutschland.
Grundsätzlich müssen sich die Autobauer wohl keine Sorgen um ihr Geschäft machen. Das Institut für Verkehrsforschung beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt kommt in einer aktuellen Studie zum Ergebnis, dass die individuelle Mobilität weiter zunimmt. 2040 würden Pkw in Deutschland nicht weniger Kilometer zurücklegen, sondern mit 700 Milliarden Kilometern elf Prozent mehr als im Jahr 2010.
VDA mit den Verkaufszahlen zufrieden
2018 wurden in Deutschland rund 3,4 Millionen PKW neu zugelassen. Das war ein Minus von einem Prozentpunkt. Angesichts des neuen Abgasprüfstandards namens WLTP, der durchaus Probleme gemacht habe, sei das erfreulich, so VDA-Präsident Mattes. Die Hersteller mussten im September ihre Produktion drosseln, weil sie noch nicht für alle Modelle die Genehmigung hatten. Für das nächste Jahr rechnet der VDA mit etwas weniger als 3,4 Millionen Neuzulassungen und einem weiteren Minus von einem Prozent. Das sei aber mehr als der Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre.
Inzwischen spüren die Autobauer den Gegenwind, der durch den Handelskonflikt zwischen China und den USA entfacht wurde. Der Export deutscher Hersteller aus den USA nach China sei in den ersten zehn Monaten dieses Jahres um ein Drittel zurückgegangen, heißt es von Seiten des VDA. "Der chinesische Pkw-Markt ist seit Monaten rückläufig", stellt Mattes fest. Der Auto-Weltmarkt stagniere bei rund 85 Millionen Neuzulassungen für PKW.
Deutsche Autobosse in Washington
Auch die von US-Präsident Donald Trump angedrohten Importzölle auf deutsche Autos sind noch nicht vom Tisch. Am Dienstag waren die Chefs von Volkswagen, Daimler und der Finanzvorstand von BMW nach Washington gekommen, um mit US-Präsident Donald Trump zu sprechen. Von Seiten der Autobosse hieß es anschließend, das Gespräch sei "konstruktiv" gewesen und man habe "einen großen Schritt vorwärts gemacht, um die Zölle zu vermeiden".
VDA-Präsident Mattes beurteilt den Besuch im Weißen Haus etwas anders: "Sie haben über ihre Pläne für den US-Markt gesprochen, nicht über Handelsfragen", sagte der VDA-Chef. Das sei nicht unüblich, auch in Deutschland rede die Industrie mit der Regierung über ihre Standortpläne. Auch die Bundesregierung beeilte sich am Mittwoch, das Gespräch der deutschen Auto-Manager mit US-Präsident Trump zu relativieren. "Diese Gespräche haben einen unternehmerischen Hintergrund", betonte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin. "Sie sind von handelspolitischen Überlegungen klar zu trennen." Auf politischer Ebene liege die Zuständigkeit für Handelsfragen bei der EU-Kommission. Trotzdem sei es erfreulich zu hören, dass das Treffen in einer guten Atmosphäre verlaufen sei.
Elektromobilität kostet über 100.000 Jobs
Vor welchen Umbrüchen die Autobranche steht, machen aktuelle Zahlen deutlich, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am Mittwoch vorstellte. Demnach werden durch die Umstellung von Verbrennungs- auf Elektromotoren Zehntausende Jobs verschwinden. "Im Jahr 2035 werden knapp 114.000 Plätze aufgrund der Umstellung auf den Elektroantrieb bei Pkws verloren gegangen sein", erklärte das Institut. Der Wirtschaft dürften bis dahin rund 20 Milliarden Euro verloren gehen, was rund 0,6 Prozent des realen Bruttoinlandsproduktes entspreche.
Eine Studie der IG Metall und der Autobranche war bereits im Juni zu dem Ergebnis gekommen, dass bei einem Umschwung auf Elektroautos - in einem noch relativ günstigen Fall - unter dem Strich rund 75.000 von derzeit 210.000 Jobs in der Antriebstechnik wegfallen könnten.
Die IAB-Untersuchung geht nun davon aus, dass allein im Fahrzeugbau 83.000 Arbeitsplätze wegfallen. "Andere Branchen geraten ebenfalls in Mitleidenschaft und müssen über 30.000 Stellen abbauen." Zugleich dürften fast 16.000 neue Jobs geschaffen werden, etwa im Bauwesen, bei Stromversorgern oder in Teilen des Dienstleistungsbereiches und des Verarbeitenden Gewerbes.