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PolitikEuropa

Lithium-Deal: Kuschelt die EU zu stark mit Serbien?

30. Oktober 2024

Die EU und Deutschland wollen in Serbien Lithium für E-Auto-Batterien fördern. Dort gibt es allerdings heftigen Widerstand dagegen. Auch die deutsche Energie-Expertin Claudia Kemfert sieht das Abkommen kritisch.

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Ein Demonstrant hält eine serbische Fahne hoch. Hinter ihm sind zahlreiche weitere Demonstranten zu sehen. Sie stehen vor Regierungsgebäuden in Berlin.
Protest in Berlin gegen den Lithium-Abbau in Serbien am 15.10.2024Bild: DW

Serbien soll ein wichtiger Lieferant des Leichtmetalls Lithium für die kriselnde europäische Autoindustrie werden. Darum hat die Europäische Union im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz in diesem Sommer in der serbischen Hauptstadt Belgrad ein Abkommen mit dem EU-Beitrittskandidatenland geschlossen. Damit soll die europäische Abhängigkeit von China bezüglich kritischer Rohstoffe verringert werden.

Für die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert ist der Serbien-Deal aus zwei Gründen problematisch: "Wir können unsere Umweltprobleme nicht verlagern. Wir dürfen nicht erlauben, dass man in Serbien Umweltschutzkriterien nicht einhält. Zudem muss man immer schauen, von wem man sich abhängig macht", erklärt die deutsche Umweltökonomin.

Eine blonde Frau (Claudia Kemfert) mit Brille schaut in die Kamera
Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Energieexpertin Claudia KemfertBild: DW

Kemfert ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Seit vielen Jahren ist die Professorin, die an der Leuphana Universität in Lüneburg Energiewirtschaft und Energiepolitik lehrt, eine der gefragtesten deutschen Expertinnen auf diesem Gebiet.

Serbische Schaukelpolitik zwischen Ost und West

Im Interview mit der DW verweist Kemfert auf die serbische Schaukelpolitik zwischen Ost und West: Auf der einen Seite verhandele das Land über einen EU-Beitritt. Auf der anderen Seite pflege Serbiens Präsident Aleksandar Vucic sehr gute Beziehungen zu Russlands Staatschef Wladimir Putin und habe sich den EU-Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen.

Luftaufnahme des geplanten Rio Tinto Lithium-Abbaugebiets im Jadar-Tal in Serbien. Man sieht grüne und braune Felder, Gehöfte und in der Ferne auch Dörfer. Eine schmale Straße durchschneidet das Tal im Vordergrund des Bildes.
Das Jadar-Tal in Serbien: Hier soll die britisch-australische Bergbaufirma Rio Tinto Lithium abbauenBild: Andrej Isakovic/AFP/Getty Images

Es sei gut für die EU, wenn sie weniger von China abhängig sei, bekräftigt Kemfert. Gleichzeitig müsse man in Bezug auf Serbien aber auch Probleme hinsichtlich demokratischer Defizite offen ansprechen. Als Beispiel nennt Kemfert die Unterdrückung der freien Presse in dem Westbalkanland.

Widerstand gegen Lithium-Abbau in Serbien

In Serbien gibt es seit Jahren Streit um den geplanten Abbau von Lithium im Jadar-Tal im Westen des Landes. Nach Protesten der Bevölkerung schien das Projekt vor zwei Jahren bereits vor dem Aus. Doch jetzt will die serbische Regierung den Weg für den Abbau des größten Lithiums Vorkommens Europas freimachen. Sie verspricht sich damit Milliarden-Einnahmen, denn Lithium ist als Bestandteil von Akkus für Elektroautos einer der zentralen Rohstoffe für die Energiewende.

Eine Reihe von Männern und Frauen stehen vor Journalisten und Journalistinnen, die auf Stühlen sitzen und fotografieren. In der Mitte stehen nebeneinander Bundeskanzler Olaf Scholz und der serbische Präsident Aleksandar Vucic. Hinter den Personen ist die Aufschrift Serbian Critical Raw Materials Summit 2024 zu sehen.
Bundeskanzler Olaf Scholz und der serbische Präsident Aleksandar Vucic umgeben von Vertretern der EU und der serbischen Regierung schließen am 19.07.2024 das Lithium-Abkommen abBild: Darko Vojinovic/AP Photo/picture alliance

Eine breite Allianz von Umweltaktivisten, Anwohnern, Anhängern der Oppositionsparteien, Studierenden, jungen und älteren Menschen kämpft gegen das Projekt. Die Menschen befürchten massive Umweltschäden. Ihr Hauptgegner ist der serbische Präsident Vucic, aber auch der britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto, der das Lithium abbauen will.

Umweltgefahren beim Lithiumabbau

Viel Unmut gibt es auch gegen die deutsche Bundesregierung, die sich in Serbien das dringend benötigte Leichtmetall für die heimische Autobranche sichern möchte. Gleichzeitig möchte sie damit ihre Abhängigkeit vom Lieferanten China reduzieren.

"Es ist auf der einen Seite gut, dass Deutschland die Importe von Lithium diversifiziert. China hat ein Monopol, kontrolliert die gesamte Wertschöpfungskette. Auf der anderen Seite ist es schlecht für den Umweltschutz in Serbien, weil der Abbau von Lithium mit Umweltgefahren einhergeht. Das kritisieren die Umweltschützer zu Recht", so Claudia Kemfert im Gespräch mit der DW.

Proteste gegen EU-Deal zum Lithium-Abbau in Belgrad

Seit Wochen demonstrieren Zehntausende in Belgrad und anderen Städten in Serbien gegen den Abbau von Lithium. Mit den Slogans "Neces kopati" - zu Deutsch: "Du wirst nicht graben" oder "Rio Tinto, raus aus Serbien" leisten sie heftigen Widerstand gegen das geplante Projekt im Jadar-Tal.

"Sie wollen aus Serbien eine schmutzige Bergbaukolonie machen", rief die bekannte Schauspielerin und Umweltaktivistin Svetlana Bojkovic bei einem Massenprotest im vergangenen August (2024) in Belgrad entrüstet. Umweltschützer kritisieren unter anderem, dass der Lithium-Abbau das Grundwasser mit Schwermetallen verunreinige und daher eine Gefahr für die Trinkwasserversorgung darstelle.

Kritik: EU biedert sich Serbien an 

Die Sorgen der serbischen Bevölkerung müsse man ernst nehmen, betont die deutsche Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert: "Deutschland hat auf jeden Fall Verantwortung für die Einhaltung des Umweltschutzes in Serbien."

Menschen nehmen in der serbischen Hauptstadt Belgrad an einer Demonstration gegen den Lithium-Abbau teil
Demonstration in Belgrad am 10.08.2024 gegen den Abbau von Lithium und die damit verbundenen UmweltzerstörungenBild: Darko Vojinovic/AP/dpa/picture alliance

Präsident Vucic hat das Vorhaben von Rio Tinto zur Chefsache gemacht. Er verspricht seinem Land Wohlstand und ein auf Lithium beruhendes Wirtschaftswunder. Pro Jahr sollen serbischen Medien zufolge etwa 58.000 Tonnen Lithium abgebaut werden. Das reiche für 1,1 Millionen E-Autos und würde damit 17 Prozent des europäischen Bedarfs decken.

In Serbien sollen Batteriefabriken und Elektroautofabriken entstehen, Menschenrechte und Umweltstandards sollen dabei geachtet werden, so der mächtigste Mann Serbiens. 

Die Kritikerinnen und Kritiker des Deals werfen der EU vor, sich Vucic wegen der Rohstoff-Partnerschaft anzubiedern. Dem serbischen Präsidenten werden nämlich seit Jahren der Abbau demokratischer Standards und des Rechtstaats vorgeworfen. Durch den Lithium-Deal werde das zunehmend repressive Regime in Belgrad mit einem Schlag zum Zukunftsgaranten für den europäischen Green Deal, so die Kritiker.

”Weißes Gold” – warum Lithium so wertvoll ist

Ein Mann mit Glatze, der einen Anzug trägt, steht vor einer Leinwand, auf der "Europa u fokusu" steht - der Name der kroatischen TV-Sendung der DW
Srecko Matic Redakteur, Autor, Reporter, vor allem für DW Bosnisch/Kroatisch/Serbisch