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Deutsche Kegelbahnen im japanischen Kriegsgefangenenlager

Silke Ballweg12. Januar 2006

Wie während des Ersten Weltkriegs Beethoven, deutsche Kegelbahnen und deutscher Kuchen ihren Weg in ein japanisches Kriegsgefangenenlager fanden, zeigt demnächst ein japanischer Kinofilm. Mit dabei: Bruno Ganz.

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Bietet stets schauspielerische Glanzleistungen: Bruno Ganz, hier als Martin Luther

Konzentrierte Anspannung. Einige Tontechniker rennen noch eilig über den Platz, der Regisseur blickt zwischen Kameramännern und Bühne hin und her. Auf dieser stehen an diesem sonnigen und doch kalten Wintertag rund 70 Schauspieler, zumeist Laiendarsteller. Sie tragen braune Soldaten-Uniformen, einige blaue Matrosenanzüge.

Wir sind bei den Dreharbeiten zu einem Spielfilm über das einstige japanische Kriegsgefangenenlager Bando. Etwa tausend deutsche Soldaten wurden dorthin als Gefangene gebracht, nachdem Deutschland zu Beginn des Ersten Weltkriegs im Kampf gegen Japan seine Kolonie Tsingtau im Osten Chinas verloren hatte.

Utopie und Wirklichkeit

Regisseur des Films, der im Juni auch in die deutschen Kinos kommt: Masanobu Demme. Der agile 73-Jährige hat unter anderem bei Akira Kurosawa gelernt. Seinen Film über das

Kriegsgefangenenlager versteht er als Gegenpol zur heutigen politischen Wirklichkeit. "Der Film handelt davon", sagt er, "wie Menschen anderer Völker und anderer Sprachen friedlich miteinander umgegangen sind. Manche Kritiker werden vielleicht sagen, mein Wunsch von einem friedlichen Umgang sei eine Utopie, aber hier in Japan hat sich das immerhin ereignet."

Die Dreharbeiten finden in der Nähe des Dorfes Bando statt, nur wenige hundert Meter von jenem Ort entfernt, wo vor 90 Jahren das wirkliche Lager stand. Die deutschen Soldaten lebten damals fast drei Jahre lang hinter Stacheldraht. Für den Kinofilm mit weit mehr als tausend Darstellern sind aus Deutschland nur sieben professionelle Schauspieler engagiert worden. Der prominenteste unter ihnen: Bruno Ganz in der Rolle eines deutschen Hauptmanns.

Ganz meint, dass das die Deutschen einen solchen Film mögen werden und sehen wollen, weil sie gar nicht mehr wüssten, was im ersten Weltkrieg passierte. "Die Deutschen haben so zu tun mit dem Zweiten Weltkrieg", sagt Ganz, "dass sie den ersten vergessen haben. Und deswegen kann es sein, dass sie sagen: 'Was, es gab Lager auf japanischem Boden mit deutschen Gefangenen?' Das können sich die Leute in Deutschland gar nicht mehr vorstellen."

Kegelbahn und Orchester

Um die Langeweile im Lager zu vertreiben, organisierten die Gefangenen vor neunzig Jahren unterschiedlichste Beschäftigungen. Sie unterrichteten sich gegenseitig, in Sprachen etwa, Geschichte oder Mathematik. Sie bauten eine Kegelbahn, einen Saal, wo sie Theater spielen konnten, im Freien errichteten sie Recks zum Turnen. Weil sie an der Essenszubereitung beteiligt waren, durften sie schließlich auch einen Gemüsegarten anlegen, Schweine, Kühe und Hühner halten. Und schnell entstanden Kontakte zur Dorfbevölkerung.

"Die Deutschen haben den Japanern beigebracht, wie man Brot oder Kuchen backt", erklärt der Historiker Keisuke Hayashi. "Ein Japaner hat später sogar eine eigene Bäckerei aufgemacht, die er Deutsches Haus nannte. Aber die Japaner haben von den Deutschen auch gelernt, wie man Milch, Käse, Butter oder auch Wurst macht."

Im Lager wurde auch musiziert, zum Teil auf selbstgebastelten Instrumenten. Konzerte gab es mehrere pro Monat und am 1. Juni 1918 ereignete sich schließlich eine kleine Sensation. Das Gefangenenorchester in Bando führte Beethovens 9. Symphonie in Japan zum ersten Mal auf. Die Uraufführung darf natürlich auch im Film nicht fehlen. Damals wie heute wurden die Frauenstimmen des Chors für Männer umgeschrieben.

Die meisten Darsteller, Deutsche wie Japaner, wurden jedoch vor Ort rekrutiert. Es sind keine Schauspieler, sondern Menschen, die eigentlich anderen Berufen nachgehen. In den Drehpausen stehen sie zusammen, reden miteinander - und wenn es mit der Sprache nicht klappt, wird mit Händen uns Füßen gestikuliert.

Feind und Freund

"Meine Tochter hat mich angemeldet und ich bin sehr froh, dass ich eine Rolle bekommen habe", sagt ein Japaner. "Ich finde es großartig." Ein anderer meint: "Jeder läuft dir hinterher und winkt dir, das ist total klasse. Sie kommen dir total freundlich entgegen, haben uns ganz nett empfangen: 'Oh ja, Germany!', und sind sehr fröhlich, dass wir hier sind und dass zeigen sie auch."

Und so stellt sich beim Betrachten irgendwann das Gefühl ein: So muss es wohl auch damals, vor neunzig Jahren, gewesen sein. Deutsche und Japaner treffen in Bando aufeinander, aus Fremden werden Bekannte, und vielleicht auch Freunde.