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Deutsche Konzerne und ihr Xinjiang-Problem

19. Mai 2021

Der Gesetzgeber fährt schwere Geschütze auf, um die Einhaltung der Menschenrechte in den globalen Lieferketten deutscher Unternehmen zu erzwingen. Dabei gerät das China-Geschäft der Autobauer immer stärker ins Visier.

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Symbolbild Autos deutscher Herstellung in China
Bild: picture-alliance//Volkswagen/dpa/F. Gentsch

Profitieren westliche Unternehmen von der menschenrechtswidrigen Behandlung unterdrückter Uiguren in China? Nehmen sie es billigend in Kauf, wenn Zwangsarbeiter in ihren chinesischen Zulieferbetrieben ausgebeutet werden? Diese Vorwürfe kommen immer wieder auf, wenn in Studien von Menschrechtsorganisationen wie Human Rights Watch über den erzwungenen Arbeitseinsatz von Angehörigen verfolgter ethnischer Minderheiten aus Chinas Unruheprovinz Xinjiang berichtet wird.

Aber längst geht es nicht mehr um den Einsatz uigurischer Zwangsarbeiter beim Anbau von Baumwolle, dem wichtigsten Agrarprodukt Xinjiangs, das von westlichen Textilproduzenten verarbeitet wird. Mittlerweile sind auch große Technologie-Konzerne wie Apple oder Hewlett Packard ins Visier geraten - und deutsche Autobauer.

Sie könnten schon bald wie andere deutsche Unternehmen wegen der Menschenrechtsverletzungen in der Provinz in Chinas Nordwesten gezwungen sein, ihre dortigen Aktivitäten zurückzufahren oder sogar ganz einzustellen. Das ist eines der zentralen Ergebnisse eines Gutachtens der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags. Darin werden die Folgen des geplanten Lieferkettengesetzes für deutsche Unternehmen unter die Lupe genommen. Das seit Jahren von der Großen Koalition geplante Projekt eines "Sorgfaltspflichtengesetzes" für Lieferketten sollte eigentlich an diesem Donnerstag im Bundestag verabschiedet werden.

Infografik Karte Chinas Internierungslager für Uiguren

Verabschiedung im Bundestag verschoben

Mittlerweile wurde der Termin aber verschoben - vor allem in den Reihen der Unionsfraktion gibt es noch erheblichen Diskussionsbedarf. Denn die Unterdrückung und Verfolgung der muslimischen Minderheit der Uiguren in Xinjiang durch die chinesischen Behörden hat nach Auffassung der Juristen der Wissenschaftlichen Dienste weitreichende Auswirkungen auf die Aktivitäten deutscher Firmen in der autonomen Region.

"Mit Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes erscheint - unter Anwendung der gesetzlich verankerten Kriterien - eine Pflicht deutscher Unternehmen zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu ihren chinesischen Zulieferern fast unausweichlich", schreiben die Autoren.

Denn wenn das Lieferkettengesetz ab 2023 in Kraft tritt und es irgendwo in den verzweigten Lieferketten chinesischer Zulieferer zum Einsatz von Zwangsarbeitern kommt, kann es richtig teuer werden. Dann drohen deutschen Unternehmen Bußgelder von bis zu zwei Prozent ihres weltweiten Umsatzes. Sogar einzelnen Mitarbeitern deutscher Unternehmen könnten nach dem Lieferkettengesetz strafrechtliche Konsequenzen drohen, unterstreichen die Rechtsexperten der Wissenschaftlichen Dienste. So drastisch, wie in dem von der grünen Bundestagsfraktion in Auftrag gegebenen Gutachten waren die Folgen des geplanten Lieferkettengesetzes bisher noch nicht durchdekliniert worden.

China Xinjiang Lager
Vom australischen Think Tank ASPI veröffentlichtes Satelliten-Foto eines Lagers in XinjiangBild: Sentinel 2, ESA

Globale Konzerne im Fokus

Dass auch deutsche Unternehmen vom Zwangsarbeiter-Einsatz ihrer Zulieferer zumindest indirekt profitieren - davon ist der australische Think Tank Australian Strategic Policy Institute (ASPI) überzeugt. Die Vorwürfe im Report "Uyghurs for Sale", den das ASPI im März 2020 veröffentlichte, haben es in sich:

"Die chinesische Regierung hat den Massentransfer von Uiguren und anderen Angehörigen ethnischer Minderheiten aus der nordwestlichen Region Xinjiang in Fabriken im ganzen Land möglich gemacht. Unter Bedingungen, die stark auf Zwangsarbeit hindeuten, arbeiten Uiguren in Fabriken, die Teil der Lieferketten von mindestens 82 bekannten globalen Marken im Technologie-, Bekleidungs- und Automobilsektor sind, darunter Apple, BMW, Gap, Huawei, Nike, Samsung, Sony und Volkswagen", lautet die Analyse des australischen Think Tanks.

Zwischen 2017 und 2019 seien nach Recherchen der ASPI-Studienautoren mehr als 80.000 Uiguren aus Xinjiang zum Arbeitseinsatz in Fabriken in ganz China gebracht worden, zum Teil direkt aus einem der Internierungslager, die Chinas Staats- und Parteiführung heute beschönigend "Berufsbildungszentren" nennt, nachdem Peking ihre Existenz jahrelang bestritten hatte.

China Xinjiang Dabancheng Uiguren Umerziehungslager
Umerziehungslager in Dabancheng in der Provinz XinjiangBild: Reuters/T. Peter

Lückenlose Überwachung 

"In den Fabriken weit weg von zu Hause leben sie typischerweise in abgesonderten Schlafsälen, unterziehen sich außerhalb der Arbeitszeiten organisierten Chinesisch- und Ideologie-Schulungen, sind ständiger Überwachung ausgesetzt und dürfen nicht sich nicht religiös betätigen", beschreibt die ASPI-Studie die Lebensumstände der muslimischen Zwangsarbeiter. Immer wieder tauchten im Westen chinesische Regierungsdokumente auf, die beschreiben, dass internierte Uiguren und Angehörige anderer Turkvölker "spezielle Betreuer zugewiesen bekommen und nur begrenzte Bewegungsfreiheit haben", ist im ASPI-Report zu lesen.

Der deutsche Ethnologe Adrian Zenz bringt Chinas Vorgehen in diesen Umerziehungslagern auf den Punkt: "Das sind geschlossene Anstalten, umgeben von Mauern, aus denen sie nicht herauskommen. Die Menschen sind dort drei Monate lang fest untergebracht, werden militärisch gedrillt und sie bekommen 'politische Bildung'. Erst danach geht es um berufliche Bildung. Das ist in Tibet teils genauso. Das Problem ist der Mangel an Freiwilligkeit."

Nach der Zeit in den geschlossenen Lagern geht es oft direkt in die Fabriken in anderen Regionen der Volksrepublik. Die ASPI-Forscher gehen davon aus, dass weit mehr als die in der Studie genannten 80.000 Uiguren im Arbeitseinsatz im riesigen Reich der Mitte sind.

Schwierige Beweisführung

Wer sich die Ergebnisse der australischen Studienautoren genauer anschaut, bekommt allerdings auch einen Eindruck davon, wie schwer es ist, die Wege von Uiguren aus Xinjiang in den Lieferketten westlicher Unternehmen nachzuverfolgen:

"Im November 2017 wurden mehr als 500 uigurische Arbeiter aus dem Bezirk Guma in Xinjiang zu Highbroad Advanced Material in Hefei, in der Provinz Anhui, versetzt. Im Jahr 2018 wurden 544 junge Uiguren aus dem Bezirk Guma zur Highbroad-Tochtergesellschaft Hefei Fuying Photoelectric, ebenfalls in Hefei, versetzt", heißt es dort.

ASPI zufolge produziert das Unternehmen Highbroad Advanced Material in Hefei Hintergrund-Beleuchtungsmodule und LCD-Komponenten, die in Telefonen, Laptops oder Autos verbaut werden. Bei Hefei Fuying Photoelectric handele es sich um eine Tochtergesellschaft von Highbroad. Der Großteil des Umsatzes von Highbroad stammt laut ASPI aus der Belieferung des chinesischen Unternehmens BOE Technology Group, einem der größten Display-Hersteller der Welt.

Bei ihren weiteren Schlussfolgerungen stützen sich die ASPI-Rechercheure auf offizielle Angaben auf den Webseiten chinesischer Unternehmen: "Laut der Website von Highbroad zählen LG Display und Japan Display zu ihren Kunden. Highbroads Stellenanzeigen und ein chinesischer LCD-Industriedirektor behaupten, dass zu den Endkunden von Highbroad auch andere Smart-Device-Firmen wie Dell, Lenovo, Samsung und Sony sowie Automobilhersteller wie BMW, Jaguar, Land Rover, Mercedes-Benz und Volkswagen gehören", so die Informationen im Anhang der "Uyghurs for Sale"-Studie. Dort wird auch angeführt, dass das Unternehmen Jaguar LandRover mitgeteilt habe, "dass es nachgeforscht hat und bestreitet, dass in seinen Lieferketten Komponenten von Highbroad verwendet werden."

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Volkswagen-Werk in Urumqi in der Provinz XinjiangBild: picture-alliance/dpa/S. Scheuer

Dementi von deutschen Autobauern

Kurz nach Erscheinen der Studie dementierten auch die deutschen Konzerne Daimler, BMW und Volkswagen die in der Studie erhobenen Verbindungen zu chinesischen Zulieferern, die im Verdacht stehen, Uiguren menschenrechtswidrig zu beschäftigen. BMW teilte dem Branchenblatt Automobil Produktion Anfang März 2020 mit, von den ASPI-Autoren nie kontaktiert worden zu sein. Bosch äußerte sich detailliert zu den Vorwürfen aus der australischen Studie und gab an, keinerlei Lieferantenverhältnis zum Unternehmen Sichuan Mianyang Jingweida Technology zu haben, das laut ASPI-Studie 2018 aus "Xinjiang transferierte Uiguren" beschäftigt haben soll.

Im Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste tauchen noch mehr prominente Firmen-Namen aus Deutschland auf: "Medienberichten zufolge stehe auch der Siemens-Konzern wegen seiner Geschäfte in Xinjiang in der Kritik. Der Konzern arbeite mit dem chinesischen Rüstungszulieferer CETC zusammen, der nach einem Bericht von Human Rights Watch Technologie für die Massenüberwachung der uigurischen Minderheit ('Überwachungs-App') entwickelt hat."

Die beschuldigten Unternehmen hätten auf solche Vorwürfe mit diversen Stellungnahmen, Dementi oder Zugeständnissen reagiert, ist weiter zu lesen: "Das Reaktionsspektrum kann hier nur ansatzweise abgebildet werden. So dementierte die Firma Hugo Boss, Baumwolle aus Xinjiang zu verarbeiten." Zumeist werde, fassen die Gutachter zusammen, aber "jede Verbindung zu etwaiger Zwangsarbeit bei Zulieferbetrieben abgestritten."

China boykottiert westliche Bekleidungs-Firmen
Auch H&M gehört zu den westlichen Textilfirmen, die in China unter Druck gerietenBild: STEPHEN SHAVER/newscom/picture alliance

Mehr Problembewusstsein bei VW?

Hatte VW-Chef Herbert Diess noch 2019 in einem BBC-Interview gesagt, ihm sei nicht bewusst, dass es Umerziehungslager für rund eine Million Uiguren gebe, geht der Konzern mittlerweile offener mit dem Problem der Menschenrechtslage am Standort seines Werks in Urumqi, der Hauptstadt der Region Xinjiang, um. Volkswagens China-Chef Stephan Wöllenstein, der auch Mitglied im VW-Markenvorstand ist, räumte im November 2020 gegenüber der ARD ein: "Natürlich kennen wir diese Reports, natürlich nehmen wir sie ernst und sie sind auch besorgniserregend aus unserer Sicht."

Wöllenstein bestätigte, dass man 2019 Berichten über Zwangsarbeit bei chinesischen Zulieferern nachgegangen sei: "Das hat sich nicht erhärtet, wir haben das ganz genau geprüft. Wir haben auch andere Supplier auf diesen Verdacht hin überprüft." Forderungen von Menschenrechtsaktivisten und Politikern der Grünen, das Werk in Urumqi zu schließen, wies Wöllenstein zurück. Wirtschaftlich könnte das VW verkraften, schließlich ist das Werk in Xinjiang der kleinste von 33 VW-Produktionsstandorten in China. Dort werden gerade einmal bis zu 50.000 Autos pro Jahr produziert - und zwar das Billigmodell Santana für den chinesischen Markt. Wöllenstein glaubt, dass das "Davonstehlen aus der Xinjiang-Provinz weder die Themen unserer 600 Mitarbeiter und ihrer Familien lösen wird, noch dass es das politische Thema in einer besseren Art und Weise lösen wird."

Baumwollanbau in China - Ernte
Gefragter Rohstoff: Baumwolle aus XinjiangBild: picture-alliance/ dpa

Unklare Formulierungen, unerwünschte Folgen

In Deutschland laufen Wirtschaftsverbände unterdessen weiter Sturm gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung, auch wegen seiner teils schwammigen Formulierungen und ungeklärten zivil- und strafrechtlichen Folgen oder Haftungsfragen. So kritisiert die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dass beispielsweise das Wort "angemessen" 49 Mal im Gesetzentwurf stehe.

Und nach Einschätzung von Ökonomen wie Gabriel Felbermayr könnte das Gesetz entwicklungspolitisch sogar mehr schaden als nutzen. "Wenn Unternehmen jede Lieferbeziehung überwachen müssen, ist das teuer und schafft Risiken", wird der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft von der Welt zitiert. "Dann reduzieren deutsche Unternehmen die Anzahl ihrer Lieferanten", was sie in Krisenfällen anfälliger mache. Für Anbieter aus armen Ländern etwa in Afrika werde es zudem noch schwieriger, in eine deutsche Lieferkette eingebunden zu werden. Am Ende verschlechtere das Gesetz die Situation der Menschen in armen Ländern, warnt Felbermayr.

Selbst Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, die seit langem gegen Kinderarbeit, überlange Arbeitszeiten und Hungerlöhne gekämpft haben und sich für bessere Umweltstandards einsetzen, sehen mögliche Negativ-Effekte für die, die eigentlich durch das Gesetz geschützt werden sollen.

Man dürfe nicht den Blick auf diejenigen verlieren, die in den globalen Lieferketten eine Rolle spielen, fordert Mathias Mogge, Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe und verweist gegenüber der DW auf Kleinbauern in Entwicklungsländern. "Wenn die Standards irgendwann so hoch sind, dass die großen Firmen sagen, diese Kleinbauern können den Standard nicht liefern, deswegen gehen wir woanders hin." Oder wenn man das sich das Beispiel Kakao und Kinderarbeit anschaue: "Wenn die großen Firmen einfach sagen, dann gehen wir dahin, wo es sicher ist. Da brauchen wir dann nicht groß zu kontrollieren." Deshalb müsse auch immer die Entwicklungsperspektive berücksichtigt werden, unterstreicht Mogge. Man dürfe nicht nur schauen, "wie können wir das am besten kontrollieren, was deutsche Firmen international tun."

Thomas Kohlmann
Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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