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Politik

Deutsche Leitkultur als Streitkultur

Heiner Kiesel
16. Mai 2017

Eine Initiative aus 28 Organisationen und Verbänden hat versucht, die schwelende Debatte um die Grundlagen des Zusammenlebens in Deutschland aufzuarbeiten. Was ist deutsch und was gehört zum Leben in der Bundesrepublik?

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Kunst für Flüchtlinge Oper Zaide
Integration durch Kultur: Opernprojekt mit Künstlern aus Afghanistan, Irak, Syrien und Deutschland in AugsburgBild: A.T. Schaefer

Der Konferenzraum im Gebäude schräg hinter dem Brandenburger Tor ist gerammelt voll, als Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eintrifft. Kein Wunder, denn bei dem Papier, um das es hier geht, haben Kirchen, Ministerien, Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaftsverbände unter der Leitung des Deutschen Kulturrates mitgearbeitet - insgesamt 28 Organisationen - als "Initiative kulturelle Integration".

Es geht um ein Lieblingsthema des Ministers - das hier aber niemand so nennen will. Außer ihm: "Beim Wort 'Leitkultur' habe ich mit dem Kulturrat offenbar eine Meinungsverschiedenheit. Ich finde das Wort gut, sie finden das Wort nicht gut." Er lächelt in den Saal hinein: "Sie können es von mir aus auch Leitbild nennen."

Bild am Sonntag Innenminister Thomas de Maiziere
Wirbel um einen schwierigen Begriff: De Maizière und die Leitkultur im Boulevard-BlattBild: Bild/Foto: DW/M. Fürstenau

Erst vor zwei Wochen hatte de Maizière (CDU) unter der Überschrift "Wir sind nicht Burka" zehn Thesen für eine deutsche Leitkultur vorgestellt. Ihm ging es dabei um Leistungsbereitschaft, den Wert des Händeschüttelns und eine abendländische Gesinnung. Damit hat er viele vor den Kopf gestoßen - Politiker von der SPD und den Grünen warfen ihm vor, die Gesellschaft zu spalten und Rechtspopulisten das Wort zu reden.

Von seinen Thesen rückt auch jetzt nicht ab. Er stellt sie vielmehr als wichtigen Anstoß zur Diskussion dar. "Streitkultur gehört zur Leitkultur", betont der Unionspolitiker. Und so freut er sich auch über die insgesamt 15 Thesen, die vorgestellt werden. Ein neuer Diskussionsbeitrag, der darstellt, worauf es den Deutschen und den in Deutschland lebenden Menschen ankommen sollte, um gut miteinander auszukommen.

Für Integration braucht es mehr als das Grundgesetz

"Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir den Begriff Leitkultur nicht verwenden", stellt der Geschäftsführer des Kulturrates Olaf Zimmermann klar, der die Gespräche in der "Initiative kulturelle Integration" geleitet hat. Er findet, er sei "verbrannt" und nicht mehr für eine sachliche Diskussion geeignet. Aber natürlich legt Zimmermann Wert auf den Faktor Kultur, wenn es um ein gelingendes Miteinander geht.

Die Kultur steht für die Autoren des Thesenpapiers auf einer Höhe mit der sozialen Integration und der durch Arbeit. Einig sind sie sich darin, dass Integration durch Gesetze und Verordnungen allein nicht klappt. "Wichtig ist für uns, dass das Grundgesetz, das gerade in seinen ersten 20 Artikeln unverrückbare Prinzipien des Zusammenlebens beschreibt, alleine nicht ausreichend ist, um einen gesellschaftlichen Zusammenhalt herzustellen", erläutert Zimmermann.

Händeschütteln
Schwierig: Verständigung über kulturelle Gepflogenheiten Deutschlands - zum Beispiel das HändeschüttelnBild: picture alliance/dpa/B. Pederden

Die Rolle von Kirchen und Religionsgemeinschaften wird in dem Thesenpapier als wichtig beschrieben, ebenso aber auch die Möglichkeit, ohne Religion leben zu können. Die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst werden betont. Sprache und Wissen über die Geschichte Deutschlands, besonders die Shoa - der millionenfache Mord an den europäischen Juden in der NS-Zeit -, werden als Faktoren für funktionierende Integration genannt.

Das Papier betrachtet die kulturelle Vielfalt als Stärke, äußert aber Verständnis dafür, dass sich Menschen in Deutschland im Zuge der Veränderungen durch Migration bedroht fühlen können. Von den Neuen wird erwartet, dass sie sich "konstruktiv mit den kulturellen Traditionen, Gepflogenheiten und Werten des aufnehmenden Landes auseinandersetzen" und diese dann auch respektieren. Punkt sieben hält fest: "Einwanderung und Integration gehören zu unserer Geschichte". Erst im Kleingedruckten darunter heißt es deutlich: "Deutschland ist ein Einwanderungsland".

Große Zufriedenheit mit den 15 Thesen zur Integration

In den Gesprächen nach der Vorstellung der Thesen äußern sich die Vertreter der beteiligten Organisationen und Verbände - nicht ganz überraschend - sehr zufrieden über das gemeinsame Werk. Und es muss wohl tatsächlich als Leistung anerkannt werden, dass Juden, Muslime, Christen, Kommunalpolitiker, Behörden, Sport- und Umweltverbände, Gewerkschafter und Unternehmer es schaffen, sich innerhalb weniger Monate auf eine gemeinsame Plattform zu einigen. "Ein gesellschaftlicher Meilenstein sind diese 15 Thesen sehr wohl", unterstreicht denn auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU).

Aydan Özoguz
Migrationsbeauftrage Aydan Özoguz vermisst ein Narrativ, das Deutschland positiv als Einwanderungsland darstelltBild: DW/H.Kiesel

Aydan Özoguz, die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, sieht in den Thesen eine Einladung zur Diskussion darüber, "was Integration und Migration auch über die Identität in diesem Land aussagen können". Aber das ist gar nicht so einfach bei dem Konsenspapier - denn ihm ist anzumerken, dass es niemandem weh tun sollte.

Innenminister de Maizière meldete weiteren Gesprächsbedarf an: "Was ist deutsch an dem, was uns zusammenhält und welche Rolle spielt der Patriotismus? Diese Punkte vermisse ich."